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QUICKSILVER

V.A.

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Für diese Kolumne habe ich mir vorgenommen, in Erinnerung an die seligen Zeiten, in denen unser nunmehr leider nur virtuelles Blättchen noch in jedem ordentlichen Club dieses Landes gedruckt am Draht hing, wieder auf die seinerzeitige Beschränkung der mir zur Verfügung stehende Zeichenzahl zurückzukommen und also meine Meinung zu den aktuellen releases möglichst knapp zusammenzufassen. Wobei schon eine solch lange Einleitung damals wohl den Unwillen der Chefredaktion hervorgerufen hätte...
Also: Im düster-kalten Nebel der KellerClubs brummt SLIKBACKs "Attrition" (Planet Mu) aus den Boxen. Nervöse beatKonstruktionen und verwaschene samples . Genau wie im OstLondon der Spät90er. 4
183 Zeichen, nicht schlecht.
Gleich nebenan ballert die "s/t"-LP (Rock Is Hell) der PHENOMENAL WORLD in selbige. Was wie ein avancierter Sleaford Mods-BackgroundTrack beginnt, wird zu DarkStep wird zu "bliberdublub" wird zum schleppenden BigBeatExperiment wird zu (des)organisiertem PunkImproChaos vom Feinsten. 5
281 Tacken, mehr als 300 sollten’s ja bitte nicht sein. OK.
Auch den Norwegern von EINMAL IMMER fiel kein Titel für ihr gleichfalls nur auf Vinyl (bei Playdate) erscheinendes Debut. Der LoopKunst mit VocoderSchleifen und einer ausgeprägten Vorliebe für Farben (die Stücke heißen Black, White, Cyan, Azure, Violet und Darkred – vielleicht sind Einmal Immer ja Synästheten?) merkt man die Herkunft vom Jazz an. Besonders schick: das auf einem angenehmen NebelhornDrone mit rundherum geschichteten zarten BesenschlagzeugHihatSchlägen basierende "Darkred", das sich in einem wundervollen UntergangsGrummeln und Drum’n’BassHektik auflöst. 4
Das waren 574 Anschläge – wir hören lieber auf zu zählen...
Die Slowenen von ETCETERAL hegen ähnliche Vorlieben: Jazz, DanceNoise und ein seltsamer BandName. Auf "Kimatika" (Glitterbeat) treffen jedenfalls mehr oder minder nervöse BeatKonstrukte auf fette BassSaxLinien und schräg blubbernde KrautSynths. Gibt’s physisch übrigens auch nur als LP. 5
Aber wir hatten wir uns ja gerade aus dem Club in die DroneBar geschlichen. Dort laufen von AKI ONDA mit feinen DynamikÄnderungen strukturierte NoiseEtuden. Auf "In the Depth of Illusion: A Soundtrack for Nervous Magic Lantern" (Room 40) bricht schon mal abrupt ein TieftonBrummen oder ein scharfkantiges Heulen über die mit jeder Menge SprachSamples und FieldRecordings garnierten ElektronikDrones herein. Vinyl-only, klar. 4
Eine, wenn nicht sogar die drone-Meisterin ist die Italienerin DUCHAMP, deren letzten Berliner Auftritt ich buchstäblich verpennt habe. Sie ist ebenfalls mit einer neuen LP (nein, nix CD auch hier!) am Start. Die heißt "The Wild Joy" (Torto Editions/Ramble/Atena) und ist genau das: eine ruhige, Genre-gerecht vermeintlich statische, wilde Freude! Perfekt passt auch der StückTitel "The Shape of Time" (ein wundervolles Bild für diese Form von Musik), in dem der vermeintlich immobile Klang über die Zeit unmerklich und doch beständig ge- und verformt wird. "Fulaxos" beginnt dann sogar mit so etwas wie einer BassLinie, aber auch die wird zu einem statisch-monolithischen Dokument schierer Schönheit. 5
Wieder etwas bewegter, wenngleich inhaltlich ziemlich nachdenklich (machend) sind die "Radium Girls" (Bureau B), die PHEW, ERIKA KOBAYASHI und DIETER MOEBIUS gemeinsam portraitieren. Um die japanischen SprechTexte wurde eine flott rhythmisierte ElektroMischung gelegt, aber die Geschichten von den Fabrikarbeiterinnen die in den 20ern (nicht nur) in US-amerikanischen Fabriken die Zifferblätter von Uhren mit radioaktiver Farben bemalten (und von den Risiken dieses Tuns natürlich nichts ahnten), sind natürlich tragisch – da muss man die Worte gar nicht verstehen, Musik transportiert vieles. Auch das "Manhatten Project" und die daraus hervorgegangenen Vernichtungsmaschinen "Little Boy And Fat Man" werden besungen (bzw. besprochen) – das dann sogar auf Englisch, mit einer Mischung aus Entsetzen und Erstaunen. Und ja, das ist eine re-issue, 2012 firmierte man allerdings noch als Project Undark. 4
Auf dem gleichen Label erscheint eine neue Folge Kosmischer KlangSchätzchen, für die jüngste Ausgabe der Silberland-compilations untersuchte man bei Bureau B die entspannt-ambiente SpielForm, wie sie von Cluster & Eno beim opener "Ho Renomo" vielleicht zunächst noch nur gestreift, spätestens mit Riechmanns "Abendlicht" aber zu voller Blüte getrieben wird. Dass aber sogar der Plan (mit der 88-Sekunden-Fingerübung "Die Wüste" hatten die Planer ihre 83er "Die Letzte Rache"-LP eröffnet) und der Pyrolator zu Ambient werden, überrascht doch (und stimmt auch nicht wirklich, denn das von Pyrolators "Inland"-Album stammende "Minimal Tape 1/8" ist eher ein recht abrupt endender drone). Aber egal, ob die kuratorische Klammer nun greift oder nicht "Silberland Vol 3 - The Ambient Side Of Kosmische Musik – 1972-1986" (Bureau B) ist eine schöne Kopplung, die sogar Fausts AmbientAder dokumentiert (herrlich der Name von deren Beitrag: "Lampe an, Tür zu, Leute rein!" - schade nur, dass der "bureau b edit" hier gerade mal ein Drittel der Originallaufzeit umfasst). 4
Und auch EGOEXPRESS erfahren mit "A Piece Of The Action (1995-2005)" (Bureau B) eine angemessene Würdigung ihrer alten Ladomat 2000-Großtaten, in re-masterten Fassungen bzw. neuen edits. Schlaue, aber höchst clubtaugliche Musik – unvergessen etwa ihr "Weiter", in dem sie sogar Dirk von Lowtzow zum Grooven brachten: die Hamburger Schule im Studio 54. Und überhaupt nicht "Hohl von innen"! 5
Wieder etwas weiter zurück gehen wir mit der nächsten Neuausgabe einer Legende: "Time Says Helay" (Lost Albums) meinten MYRNA LOY anno 1991 (und mein Sweatshirt mit dem Covermotiv liegt praktisch ungetragen irgendwo auf dem Dachboden - die Liebste fand es schon damals zwar grafisch gelungen, aber inhaltlich inakzeptabel). Wir hören dunklen WavePop mit einer erotisch konnotierten psychedelischen Note, zwischen AvantgardeStrukturen und GothicBombast schwankend und doch recht entschlossen. Knapp 35 Jahre später lässt sich festhalten, dass das Material sehr gut gealtert ist (was man ja leider wirklich nicht von allen Alben sagen kann, die man damals gut fand) und gerade durch die hier ergänzten "Live-Versionen, Rough Mixe, Dub-Versionen und B-Seiten" wird klar, welches Potential die fotoscheue Band um den Sänger mit der markant hohen, aber kraftvoll-ausdrucksstarken Stimme hatte. Nicht alles davon wurde damals gehoben: 2 Jahre später gab’s noch "Immerschön" (das genau wie die 89er Debut-LP "I Press My Lips In Your Inner Temple" ebenfalls eine NeuEdition verdienen würde), dann war der Komet verglüht und die Musiker verschwanden von der Bildfläche. Fand ich damals schade, finde ich heute schade – aber wir haben ja jetzt diesen schönen ErinnerungsDownload hier. 5
Vielleicht liegt es an einem Anflug von Nostalgie, dass mich einige Passagen von ANNE PACEOs neuer CD "Atlantis" (Jusqu'a la Nuit) irgendwie an Maanam erinnern (am meisten bei "Setna") - auch wenn die Polen meist deutlich wave-rockiger unterwegs waren. Hier regiert eher kraftvoller ArtPop mit einer nicht zu leugnenden JazzNeigung, der sich in seinen verträumten Momenten auch nicht vor großen Gefühlen scheut: "Inside" ist z.B. ein hoch-intimer PopSong mit wundervoll überblasenem Saxophon und auch "Au Large" schwebt träumerisch dahin. "Aube Marine" hingegen lebt von fein austarierten Bläsern und einem voodoohaften DrumBeat, was übrigens kein Wunder ist, denn Paceo ist ja auch eine erfahrene (Jazz)Trommelerin. Was für Entdecker. 5
Auch den skizzenhaften, leicht Shoegaze-angehauchten VersonnenheitsAvantPop der LOVERS mögen wir sehr, gerade wegen der gelegentlichen Ausflüge in Richtung Experiment. Ihren "Lettres d’amour" (Thanatosis) merkt man die vielfältige Erfahrung, die Sängerin Linda Oláh und GitarrenMann Giani Caserotto in diversesten Zusammenhängen gesammelt haben, jedenfalls bei jedem Ton an. 5
Dass ich CAMILLA SPARKSSS für eine grandiose und extrem einfallsreiche Künstlerin halte, ist kein Geheimnis, mit ihrem neuen Album "ICU RUN" (On The Camper) – die Großschreibung scheint wichtig zu sein! – stellt sie ihre Begabung einmal mehr unter Beweis. Nachdem uns die Schweizerin zuletzt mit einer höchst opulenten LP samt herrlichem retrofuturistischem BastelSet überrascht hat, wird nicht Atem geholt, sondern mit voller Kraft weitergemacht. Unter dem Motto "I Like The Noise" zersägt sie mit elektronischen Mitteln die Idylle, nur um sie in neuer – oft aber fremdartiger - Schönheit wieder zusammenzusetzen. Das Ganze ist deutlich technoider ("Stanger", "Damage") als gewohnt, aber keineswegs banal. Und ihr Outfit auf dem Cover ist wieder einmal extravagant/extraordinaire! 5
Zum Schluss habe ich noch 4 "Vorgänge" auf dem Tisch, die in keinen der bisherigen Zusammenhänge so recht passen wollen. Mit dem DL "Next Level Avoidance" (Room40) etwa finden wir nämlich zur Tiefenentspannung. Der Australier ERIK GRISWOLD unterlegt seine nicht uninteressanten Verschränkungen aus präpariertem Klavier und AnalogSynth gelegentlich mit einem SanftPluckerElektroRhythmus (Wild West). Nicht umsonst heißt eines der Stücke "Poly Cascade" und auch der Titel "Ghost Of Ravel" ist nicht falsch gewählt. 4
Dann haben wir den/die Kanadier WHITNEY K, der/die auf "Bubble" (Fire) in einen leicht folkigen SiSoRock immer mal wieder – ob nun bewusst oder nicht – Zitate aus der Pop- und RockHistorie einflechten. Ein SuperSänger, der doppelt Glück hat (stimmlich kommt er nämlich als eine Art jugendlicher Lou Reed-Widergänger daher und die Texte, die er zu intonieren hat, sind alles andere als flach), trifft auf eine fein eingespielte Begleitband, die zwischen jaulender SlideGuitar und trockenem Schlagzeug alle Register zu ziehen weiß. "the perfect soundtrack for a Raymond Carver book club", sagt das Info dazu. 5
Sowohl Band- wie Plattenname gefallen mir bei "Doomscrolling mit Kurt"(Empathie) von den HIGGS CHICKS auf Anhieb. Meinen dadurch geweckten Erwartungen wird das als "Kraut-Country zwischen Blues, Folk und digitaler Unruhe" annoncierte Klangwerk dann aber doch nicht ganz gerecht. Manches atmet hier den Muff der "guten handgemachten Musik", anderes will sich zu geschmeidig an die Moderne schmiegen ("Würmchen"). Dennoch glitzert zwischen all dem die eine oder andere DoomGrass-Perle. 3
Bis zum Ende vor mir her geschoben habe ich das neue Album von KARL DIE GROẞE. Denn "Aufgehoben" (Backseat) finde ich musikalisch zwar durchaus interessant, aber textlich scheint mir Karl (trotz Homebase im – zumindest früher – hoch Ironie-fähigen Leipzig) die ironische Leichtigkeit einer Dota, mit der sie oft verglichen wird, zu fehlen. Dafür regiert bei Karl lyrische Emotionalität: "Dreh dich nicht um" ist ein schönes Duett mit Dreiviertelblut als Gästen, in dem deren Sänger Sebastian Horn sich sehr schön an die Stimme von Karls Wencke Wollny schmiegt. Wenn sie es wie in "Voyager" dann mal etwas (textlich) experimenteller versucht, wirkt das (vielleicht noch) ein wenig bemüht und angestrengt. Es bleibt dabei: Karl die Große kann wunderbare (Nicht?)Liedeslieder wie "Zerquetschte Tomaten" schreiben, bleibt für meinen Geschmack aber im Gestus (in jedwedem Sinn) zu lethargisch. Die Zielgruppe mag das aber offenbar...3

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