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Im letzten Monat mussten wir aus einer ganzen Reihe von hier nicht näher auszuführenden Gründen diese kleine Kolumne ja ausfallen lassen, deshalb stürzen wir nun umso hungriger in Richtung TanzBoden:ZEITGEIST FREEDOM ENERGY EXCHANGE, kurz ZFEX, heißt ein Projekt um den in Berlin lebenden Australier Ziggy Zeitgeist, das auf "inspire-radicalise" (Energy Exchange) voller 50iesSciFi-Spaß und unkomplizierter SoulJazzMomente ("Sylvester" mit der grandiosen GastStimme von Desney Bailey) über straighte beats smoothe SpaceDiscoSounds schichtet. 4
Die SNAPPED ANKLES hingegen verleihen ihrem "Hard Times Furious Dancing" (Leaf) einen leichten bis deutlichen EBM-Touch. DAF lebt, in Süd-London. 4
BELLA WAKAME besteht aus dem Trommler Andi Haberl (aus dem Notwist/Alien Transistor-Kosmos) und Flo Zimmer (u.a. Driftmachine) am ModularSynth. Ihre rosafarbene "s/t"-LP (Umor-Rex) zeugt ebenfalls von musikhistorischer Fachkenntnis: "To Win Love" ist mit seinem motorischen Beat und den SynthPatterns beinahe Neu!-mäßig, wohingegen sich "The Island Of Unknowns" auch auf einer Platte des legendären und viel zu früh dahingeschiedenen incoming!-Labels (also einer SpezialPlattform für Neo- oder DigiDub) wohlgefühlt hätte. 5
Soliden elektronischen MaghrebGroove sind wir von AMMAR 808 beinahe gewöhnt, da macht ihr neues Werk "Club Tounsi" (Glitterbeat) keine Ausnahme. Wieder mit interessanten Gastgesängen, z.B. von der gekonnt autogetuneten Mariem Bettouhami. 4
Klassischen, lustig-verspielten AfroPop mit freundlichen vocals, bei "Inner-Cosmic-Imagination" auch mit psychedelisch-elektronischen Exkursen und bei "Ready To Love" oder "Send It" mit gar nicht mal so nervigen FlötenStößen hören wir auf "Healing Voices" (W.E.R.F.) von ESINAM & SIBUSILE XABA. Insbesondere rhythmisch hochinteressant. 4
Auf DZ'OBs "The Playground" tanzen fröhliche Schalmeien, ElektroBläser, ebensolche Streicher und überhaupt jede Menge kunterbunter Kram, der mit Folk recht wenig, mit moderner TanzMusik aber sehr viel zu tun hat, auf einem elektronischen BeatGerüst herum. Einiges erinnert (jedenfalls mich) sogar an die KlassikRomantik eines Tschaikowski (was seine Wurzeln dann sicher in einem hier öfter mal zitierten sowjetischen PropagandaStummFilm hat). Dazu dann aber BreakBeats und ein KontrabassSaxophon - das ist schon cool: z.B. bei "Six ate the avalanches in the rye" (die Stücke beginnen lustigerweise jeweils mit dem Zahlwort ihrer tracknummer; aber irgendwie hat das auch mit Kinderabzählreimen zu tun und das wiederum bezieht sich – wie das ganze Album – auch auf das Leid der KriegsKinder in der Ukraine). Da werden um eine flotte BassDrum herum lustige ElektroSchnipsel und StreicherLoops gestrickt und eine launige Oboe und/oder ein Fagott quietschen darunter vor sich hin. 4
Der sonst so lebenspralle BalkanBeat kommt etwas glattgebügelter, BigBand-hafter daher, wenn FANFARE CIOCARLIA FEAT. ADRIAN RASO feststellen: "The Devil Rides Again" (Asphalt Tango). Spaß macht dieser RomaStomp aber immer noch, z.B. mit einem überraschenden "Jolene"-Cover. 3
Die Amerikanerin MEI SEMONES pflegt auf "Animaru" (Bayonet) das Erbe des verspielten, aber konsequenten BossaNovaElektroPops, das z.B. die in Deutschland leider viel zu wenig beachtet gebliebene Isabel Antena in den 80ern und 90ern auf Crépuscule zelebrierte. In Japan war das alles wesentlich beliebter und hat sogar - wie man bei dieser Platte sehr schön nachhören kann - auch im US-PopGedächtnis deutliche Spuren hinterlassen. Bei einigen Songs, z.B. bei "I can do what I want", verschiebt sich der Fokus auch mal deutlich in Richtung IndiePop. 4
Wenn sich EDDIE MARCON auf einem "Carpet Of Fallen Leaves" (Morr) räkeln, gibt es zunächst wenig mehr zu hören als eine AkustikGitarre und japanischen JungMädchenGesang. Sorgsam gezupfte NylonSaiten und hingehauchtes Wimmern - ich fand es zunächst doch ein wenig langweilig. Später werden die Arrangements aber etwas opulenter, ein dramatisches BeckenZischen kommt hinzu oder Flöten, sogar ein kleines Glockenspielchen, eine BassGitarre und ein Schlagzeug. Bei "Tonderu" wird das dann beinahe zu einem klassischen PopSong und alles in allem sehr angenehm. 4
Als eine Art Japanese Easy Listening könnte man die "Heatwave" der NEW FOSSILS bezeichnen. Auf ihrer dritten Platte "Ecosphere" (Morotva) mischen die Budapester aber auch (weiter) ModernJazz und eine gute Prise Pop in den gelungenen SoundMix. 4
Heterogene Ideen aus IndiePop, "PostRave" und AlternativeRock mit interessanter DamenStimme und flexibler Begleitung zwischen Gitarren und elektronischem Gebimmel erwarten den Hörer während der "Open ing Night"(Kill Rock Stars) von KINSELLA & PULSE, LLC. Und: ja, zwischen "Open" und "ing" gehört hier tatsächlich ein Leerzeichen! 4
Zwischen fröhlich-bläsergetriebenem SixtiesPop, überdrehtem VaudevilleZeugs, Second-line-Stomp, 50er-Italien-Anbetung und 20er/30er/40er-Jahre-Schlager-Remake bewegt sich die "Off-off-Broadway-Kapelle" LOS POPPOS auf "Hallo Universe" (gutfeeling). Trotz (wieso trotz?) des durchaus spürbaren TheaterHintergrunds (das Ganze hatte vor Jahren seine Wurzeln in der musikalischen Untermalung einer Komödie) ist das zuallererst mal wirklich lustige Musik. 4
Auch wenn ihr Konzert im Berliner Privatclub zumindest für mich und den mich begleitenden Musikfachmann eine kleine Enttäuschung war (die textsichere crowd hingegen hatte sichtlich Spaß), gefällt mir die vierte Platte von THE BUG CLUB immer noch. "Very Human Features" (Sub Pop) ist flotter, trashiger IndieRock: ich höre hier Velvet Underground und die Young Marble Giants, beide on speed, heraus – mein KonzertKollege erkannte eher Devo. Egal: Gitarre-Bass-Drums und Mann/Frau-Gesang (Geschrei): das funktioniert – wie gesagt als Konserve besser als live – schon. 4
Die weitgereiste US-Amerikanerin MEKA verbeugt sich auf "The Rabbit" (Dumont Dumont) mit streichersattem, bei allem Schmerz aber doch auch mit einer gewissen Fröhlichkeit dahin perlenden MelanchoPopFolk und schöner AltStimme vor Vashti Bunyan und Joan Baez. "The Rabbit still returns". 5
Zwar bin ich seit meinen JugendJahren mit einem BluesRockTrauma belastet (Stichwort: MöchtegernHippies in der Zone!), aber was der gut gelaunte Finne Micke Bjorklof mit seinen Kollegen abzieht, finde ich schon recht charmant. Gleich zwei CDs schickt der Mann zu seinem 60. an den Start: MICKE & LEFTY FEAT. CHEF spielten für den Deutschlandfunk "Live On Air" ein 25-Stücke-Set und mit seiner Band BLUE STRIP präsentiert Micke noch einige "Outtakes" (beide Hockahey!) der bisherigen Alben. Komplett oldschool, mit verspielter Gitarre, Mundharmonika und Schellenkranz – mal eher akustisch, mal mehr elektrisch. 3/3
Heinz Ratz zelebriert und pflegt mit STROM & WASSER das Raubein-Klischee etwas (zu) arg. Rein inhaltlich ist sein "Plan C" (Traumton) natürlich durchweg unterschriftsfähig, aber in der Umsetzung etwas zu old-fashioned und "cool". Und wenn wir dann bei "Wie kann man so verliebt sein" in die Kategorie "Fetziges RockSax" abrutschen, bin ich einfach mal raus. Aber weil’s für eine gute Sache ist: 3.
Erfrischen wir uns einfach mit einigen Prisen feinen Lärms: "If Your Mirror Breaks"(Ex), die neue Scheibe von THE EX, ist für deren Verhältnisse beinahe, ähm, "poppig". Dennoch regiert hier der ge- und beliebte perkussive, trockene "Ex"-Sound aus schneidenden Gitarren und ungerade scheppernden drums, wie sie ihn über die Jahre perfektioniert haben. Das übrigens immer wieder auch unter tätiger Mithilfe von Mr. Albini, weshalb sie das Werk dem jüngst verstorbenen MischpultGott widmen: This one’s for Steve! 4
PURPLE TRAP sind Keiji Haino, Bill Laswell und Rashied Ali - drei GroßMeister des Lärms, der KlangForschung, der Freiheit. "The Stone" (Karl) haben sie genau dort live aufgenommen: auf der Bühne von John Zorns legendärem Schuppen in Greenwich Village. Das tönende Ergebnis ist gar nicht so unverwandt zu The Ex: Die sperrige Gitarre, ein wildes Schlagzeug und Laswells BassExperimente machen den Stein sehr heiß! 5
Anderen Krach in einer ebenso angenehmen Ausprägung liefert LANDROSE ab. Das ist das SoloProjekt des Brüsseler KnöpfchenDrehers (heute vielleicht auch MausSchiebers) und SchlagzeugBerserkers David Temprano. Der verknüpft auf "Brut"(Hyperjungle) wildes Trommeln mit heftigst verzerrter Elektronik und eins ist klar: Hier ist im Studio (oder eben am Laptop) jemand an den GeneralTempoRegler gekommen und hat so ein schwer überpitchtes, dennoch wundervolles Chaos aus Beats und Samples angerichtet. Verzerrte SprachFetzen, skurrile SynthSounds und immer auf HighSpeed – mich erinnert "Brut" an die kurze Gabber(Hoch)Zeit, aber vielleicht ist das ja auch die DiscoFassung von Merzbow. 5
Vom NoiseMeister himself gibt es auch – nein, nichts wirklich Neues, aber doch etwas eher Seltenes; nämlich die Musik zu einem Theaterstück. Knapp 30 Jahre ist es her, dass Masami Akita für eine Truppe namens Romantica bzw. für deren auf de Sades "Historie de Juliette" fußende Inszenierung "Akutoku no Sakae/Bitoku no Fuko" seine Elektronik malträtierte. Das CD gewordene Werk heißt "The Prosperity Of Vice, The Misfortune Of Virtue" (Room 40), also genau so wie der Untertitel des Romans ("Die Vorteile des Lasters") und seines Pendants "Justine" ("Das Missgeschick der Tugend"). Wer 1996 nicht bei der i/CHE-OriginalEdition zugeschlagen oder einfach noch nicht genug MERZBOW im Schrank hat – das ist guter Stoff zwischen Noise und Minimal. 5
Auch THE SWANS lassen (einem) gern mal die Ohren bluten, wenn auch auf andere Weise als Merzbow. Michael Gira und die seinen fanden auf ihrer letzten Tour tatsächlich die Muße, neue Songs zu konzipieren, spielten diese dann im Berliner Soundfabrik-Studio ein und fertig war eine zwei Stunden dauernde dunkle NoiseBluesMesse mit hochgradig lärmenden Ausbrüchen. Ehrlich gesagt habe ich persönlich mich aber mit "Birthing" (Mute) trotzdem ein wenig gelangweilt. 3
Und mit THROBBING GRISTLEs "Live at the Volksbühne Berlin, New Year's Eve 2005" (beide Mute) kommt fast zeitgleich noch ein Monument alter AvantgardeHelden in die Läden. Wer sich die Ende letzten Jahres erschienene Box "TG Berlin" nicht leisten kann oder will, hat nun die Gelegenheit, den Mitschnitt als separate DLP oder CD zu erwerben. Aber auch wenn TG hier – wie Genesis P-Orridge beteuert – zum ersten Mal in der (seinerzeit auch schon 30jährigen) Bandkarriere überhaupt eine Zugabe spielten (die unvergleichliche "Hamburger Lady" hat nichts von ihrer hypnotischen Kraft verloren): auch diese 5 Viertelstunden semi-heidnischer AntiMusikEkstase sind mir hier und da lang geworden... 3
Keine re-issue, kein Archivmaterial, sondern brandneu ist PETER BAUMANNs "Nightfall" (Bureau B). Baumann war in deren prägenden Jahren Mitglied bei Tangerine Dream und das hört man dieser gediegenen, tief in der Tradition der Berliner Schule wurzelnden SynthPlatte auch an. 4
Auch ganz neu: "The Minute Hours | Les Heures Secondes" (Humpty Dumpty/three:four) von HALF ASLEEP. Das ist (wie vorhin Landrose) ein belgisches Projekt, allerdings ein wesentlich ruhigeres. Das Werk erinnert mit seinem fein hingeheulten Satzgesang anfangs an eine KlavierVersion von hackedepiciotto, anderes wirkt mit FlötenTrillern und Kloster-haften vocals semi-historisch. Interessant! 4
Die Italienerin MIRIAM übersetzt auf ihrem Solo-Debut "Sing-A-Beast" (Disspatio) einen Tierpark in Musik - jedoch nie lautmalerisch/zitierend, sondern stets in einem höherem, gelungen "übertragenen" Sinne. Dazu schichtet sie z.B. die Ankündigung "Domani è la giornata mondiale del pangolino" vielsprachig (un)verzerrt übereinander, um daraus dann ein verträumtes ElektroStück werden zu lassen. Das folgende "Istrice Serenade" ist eine schöne Verschränkung aus einer dunklen BassStimme, elektronischer Klimperei und dem SilbenGesang von Miriam. Und "Sex in The Sargassi" findet offenbar unter strenger Berücksichtigung der Lehren der TantraMeister statt, denn in dieser viertelstündigen ElektronikEtude lassen sich alle sehr viel Zeit, konzentrieren sich auf die Kleinigkeiten und stehen (dadurch?) auch musikalisch kurz vorm Abheben. 5
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