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Den werdenden Sommer begrüßen wir mit etwas, das mich über weite Strecke an jene gar nicht mal so unterkomplexe Neue (Kinder)Musik erinnert, mit denen in den 70ern so mancher Trickfilm unterlegt wurde (zumindest im Osten und in meiner womöglich trüben Erinnerung). Jedenfalls weckt "Der Tanz aller" (Futura Resistenza) von FELIX KUBIN z.B. mit seinen Marimba-Verschränkungen in "Dämonen der Zerstreuung" in meinen Synapsen solcherlei Assoziationen. Die an anderer Stelle auftauchenden Samples aus alten LehrFilmen dann wieder andere… 4Etwas weniger theoretisch, aber auch wohldurchdacht ist die nun folgende Überraschung. Überraschung, weil ich nicht mehr damit gerechnet hatte, dass sich NITRADA nochmal ins Studio begeben. Nach zwei sehr schönen Alben Anfang des Jahrtausends hatte man in Hamburg mit Kindererziehung und ähnlichem alle Hände voll zu tun, so dass für Musik keine (oder kaum) Zeit blieb (das Problem kenne ich übrigens nur zu gut, wobei bei mir noch ein gewisses (klein)bürgerliches ParallelWeltLeben hinzukommt). "Everything That Is Not Counted Will Be Lost" (2nd) ist daher ein sehr erfreuliches Lebenszeichen voll von wunderbarem PostRock. Musik, zu der die Gedanken fließen dürfen, in die man sich aber komplett hineinfallen lassen kann; zarte elektronische Knister(An)Teile und warme Verschränkungen mit dem gewissen feeling des Analogen - irgendwo zwischen Neu! und Tortoise. Den bei "We Dance In The Chaos" auftauchenden (allerdings nur mittelguten) Gesang brauche ich da gar nicht (wirklich störend ist er aber natürlich auch nicht). Im schön bewegten "No hymn for nobody" schweben dann gegen Ende hin die Gitarren sogar etwas heftiger, Riff-hafter über den elektronischen patterns. 5
Nun müssen wir einige kräftige Sprünge hinlegen, denn der Weg von der abstrakt-verträumten Nitrada-Schönheit zur ungarischen EsoFolkPsychElektronik von MANSUR ist kein kurzer. "Pentatonic Ruins" (Denovali) heißt die neueste Veröffentlichung, in deren Zentrum Martina Horvaths Stimme steht. 4
Der nächster Hüpfer führt uns zu einer Art DubBalkanBrass. Denn zumindest in weiten Teilen ist "Soon In Your Village" (Asphalt Tango) genau das: ein fetter, mal dubbig-relaxter, oft aber herrlich ungerade stampfender DabkeGroove mit flatternden Bläsern, exaltiertem Gesang und hörbar viel Spaß. Die in Slowenien beheimatete, gleichwohl international besetzte Kapelle trägt den lustigen Namen HARIS PILTON & THE BALKAN VOODOO ORCHESTRA und eine gewisse Prise Magie ist hier auch Programm. Z.B. wenn sich in "No Brass No Love" ein gewisser Doggy Brasco im "Neo Rodeo"-style mit Laibachscher GrummelStimme durch einen von Bläsern getragenen "funeral love song" schlängelt. Inkl. einer Kollaboration mit den grandiosen La Cherga und einem Gastauftritt der famosen "Ufoslavians" als BackgroundChor: "Alo Alo Ciganko"! 5
Und "Hopp!" sind wir schon in Marokko, von wo der in Genf lebende Songwriter GEORGE LEITENBERGER etliche OriginalKlänge mitbrachte und diese in sein Straßen(Sänger)Tagebuch namens "A road-trip through Morocco" (Silberblick) einflocht. Dazu spielt er einen gut abgehangenen Modern Blues, der auch Spuren von Folk oder Country und vielleicht sogar eine Prise Rock enthalten kann. Leitenbergers Vision, das in seinen Sound zu hüllen, der "edgy und roady" ist, "Schlaglöcher und Straßenschotter inklusive", darf dabei als gelungen gelten. Zwar ist der Mann kein großer Sänger (das war z.B. Leonard Cohen auch nicht), aber ein guter, solider Songschreiber. 4
Eine erweiterte Neuauflage erfährt POLLYANNAs selbstverlegte EP "Man Time (Deluxe)". Die Französin orientiert sich mit ihren lethargischen, gern mit einer wunderschönen traurigen Posaune verzierten LoveSongs allerdings eher an US-amerikanischen Vorbildern – vielleicht an PJ Harvey. Auch leichte (Alt)Country-Anleihen ("Railroad Boy") hören wir hier. Oder das sehr gelungene, sich bei aller Sparsamkeit in der Instrumentierung doch recht opulent dahinschleppende "Four Seasons" … Bien joué, Madame! 5
Ein weiterer Sprung bringt uns ins ElektroLand. Als erstes begegnen wir da einem düsteren offenen Leichenwagen, aus dem eine Art IndustrialPostPunkMetalSloMoEBM dröhnt. Gesteuert wird der "Convertible Hearse" (Mothland/EXAG') von einem aus Atlanta stammenden Doppel-Dreier namens CDSM (was man zu Celebrity Death Slot Machine erweitern darf). Hier schimmert ein wundervoller KORG MS20-Sound aus dem tönende Kaleidoskop, dort (bei "National TV") klebt ein schmieriges Sax (das hier – weil durch einen scharfen RechnerBeat konterkariert und gleichsam geerdet – tatsächlich mal passt) und überhaupt werden mit diesem SynthSoundPop alle Grenzen gleich mehrfach überschritten. 4
Auch das US-Trio THE WANTS liebt es elektronisch-heftig(er). Ihr "Bastard" (STTT) beginnt relativ verhalten mit "Void Meets Concrete", dreht mit "Data Tumor" leicht in Richtung "hymnischer Rock" und verwirrt ein wenig mit ewig langen Pausen zwischen den tracks. 3
Entspannter und deutlich weniger düster, keineswegs aber gedanken- oder gar einfallslos ist der fröhliche elektronische FolkPop von ByDS, einem Berliner Pärchen, das laut Info seit 24 Jahren gemeinsam lebt und liebt und "Our Long Weekend" zelebriert. Auch diese feine DIY-Platte ist selbstverlegt und voller gekonnt zusammengeschraubter Schätzchen zwischen Elektro(Trash)Pop und StraßenKunst - "I Think I Think I Think I Think, I’m Your Fan"! 5
Bureau B durchforstet derweilen weiter tapfer den Sky-Katalog nach vergessenen Schätzen. Ob die "Inventions" von Adelbert VON DEYEN and Dieter SCHÜTZ wirklich ein solcher sind, mag jeder selbst entscheiden – mir fehlt in und an diesem original anno 1983 veröffentlichten Elektronikalbum ein wenig das über "solide" Hinausgehende, das Besondere. Kurz gesagt: Berliner Schule in einem leicht NDW-haften KlangKleid, also Tangerine Dream meets Rheingold. 3
DIETER SCHÜTZ’ 85er Soloalbum "Voyage" hingegen schwebt in zeittypischen New-Age-Wolken. Wobei es dem MultiInstrumentalisten hier durchaus gelingt, Esoterik mit ein wenig SynthAvantgarde zu verschneiden. 4
Für eher entbehrlich halte ich hingegen das seinerzeit nur als 12" erschienene "Ich suche dein Gesicht" von einem Duo namens SILBERSTREIF – da mögen einige Verwirrte noch so hohe Preise für die Original-Maxi bezahlen. Auf der um drei seinerzeit (meiner Meinung nach völlig zu recht) unveröffentlicht gebliebene Stücke und eine "Kurze Version" des Titelsongs erweiterten re-issue kämpfen schwachbrüstige Synths mit einfallslosen ComputerBeats und GitarrenResten, dazu gelangen dünne Verzweiflungstexte zwischen LiebesKummer und dämlichen statements wie "Ich will deinen Körper" zum Vortrag. Peinlicher waren die schlimmsten Ost-Möchtegern-NDWler auch nicht...2
Wettgemacht wird dieser kuratorische Ausrutscher aber durch eine angemessene Edition von "Cluster II"(alle Bureau B), dem – wer hätte das gedacht! – zweiten Album des großartigen, aus Dieter Moebius und Hans-Joachim Roedelius bestehenden ElektroKrautDuos CLUSTER. Nach der (zu) streng limitierten "Anniversary Edition" zum 50. "Geburtstag" des erstmals 1972 veröffentlichten Albums kommt nun eine reguläre re-issue auf CD und LP in die Läden. Weniger sperrig als die (von mir beinahe noch mehr verehrte) Vorgängerformation KLUSTER (mit Conrad Schnitzler) erschufen Moebius/Roedelius hier eine Dreiviertelstunde hochwertiger AmbientElektronik mit semiklassischen Elementen und letzten Spuren von KrautRock. 4
Zum Abschluss noch ein letzter Sprung in die weite Welt der Weltmusik. Dort tummelt sich aktuell z.B. HOLLY HOLDEN, der mit "al andar" (Audiomaze) eine schöne Verschmelzung von modernem SynthPop und Lateinamerikanischem gelingt, bei der auch einige Freunde aus Londons Latin-Szene (u.a. Teotima-Chef Greg Sanders und Will Fry von Jungle) mitgeholfen haben. Mit dunkel-klarer Stimme singt Holden dazu auf Spanisch und Englisch u.a. über "Libertad" (sehr schöne Trompeten hier!), "Amor Incondicional" und "This Body Liquid". 4
Eher an traditionellem Fado orientieren sich auf "Terra Mãe" (Atlantic Curve) LINA_ & JULES MAXWELL. Aber auch die Portugiesin gibt sich nicht mit dem bloßen Nachspielen des Überlieferten zufrieden, sondern flicht gemeinsam mit dem irischen Komponisten Maxwell (dem einen oder anderen vielleicht von seinen Arbeiten mit Lisa Gerrard ein Begriff) gelungen PopElemente hinein. Der Titelsong schwelgt in elegischen SynthStreicherWolken, in "Milagres" zuckt zuweilen ein kurzes elektronisches Pluckern durch das KlangBild und mit der PianoBallade "When Are They Coming" entlassen uns die beiden sehr zufrieden aus ihrer Welt. 4
Und schließlich ist da auch noch der senegalesische KoraMeister KADIALY KOUYATE, der auf "Tona" (ARC) nicht nur virtuos seine HarfenLaute bedient, sondern auch herzergreifend dazu singt. Unterstützt von diversen PerkussionsMitteln, einem Akkordeon, zuweilen auch etwas Oud, Gitarre oder Keyboard und dem wundervollen (Kontra)Bass von Davide Mantovani bindet der Mann hier einen wirklich bunten Blumenstrauß mit Blüten aus Jazz, Pop und World. 4
Rock & Pop
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