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ANDREAS KNIE

Wo kommen bloß die vielen Autos her und wie werden wir sie wieder los?

(Alexander Verlag, 195 S., 20,00 Euro)

Der Berliner Soziologe Knie befasst sich schon seit Jahrzehnten mit Mobilitätsthemen, konkret immer wieder mit der Frage, die sich auch dieses kleine Buch stellt. Denn: wenn auf den Straßen Deutschlands heute 50(!) Millionen(!!) Autos herumstehen (und nur gelegentlich auch mal herumfahren), muss doch etwas schief laufen – oder? Aber die Wirklichkeit ist kompliziert, das bemerke ich gerade selbst. Mich hat das Schicksal nach langen Jahren des beinahe ausschließlichen Bahn- und Radfahrens nämlich auch wieder zum Autofahrer gemacht – ökonomische Aspekte sieg(t)en schnell über meinen schwachen Idealismus (dennoch und vielleicht sogar deshalb bin ich nach wie vor ein großer Gegner des Dienstwagenprivilegs!). In seinem Buch spürt Knie zunächst genau solchen Entwicklungen nach, indem er das Mobilitätsverhalten einer "Berliner Familie, deren Geschichte über viele Jahre hinweg aufgezeichnet wurde" ganz plastisch nachverfolgt: aus autolosen Kreuzbergern wurden über die Jahre Stadtrand-Patchworkfamilien mit diversen PKW (ja, in jüngster Zeit nahm deren Zahl dann wieder ab, aber ganz ohne geht’s noch nicht): "Das Auto im Kopf". Die historischen Wurzeln der Fixierung auf den motorisierten Individualverkehr sieht Knie dabei im 3. Reich – die Nazis propagierten unter dem griffigen Slogan "Kraftfahrt tut not!" sehr erfolgreich die Massenmotorisierung. Das entsprechende Kapitel enthält detailreiche, faktenuntersetzte Informationen zur Geschichte der Autobahnen, zur Entwicklung der PKW-Anzahl und zu deren medial-kultureller Einrahmung (sehr aufschlussreich z.B. die hier der Deutschen Reichsbahn zugewiesene Rolle). Dann geht es um die "soziale Wirkung" des Autos – Tochter Lydia aus o.g. Familie ist irgendwann in Kreisen unterwegs, in denen ein eigenes Auto schlicht "uncool" (und sowieso unpraktisch) ist, was – neben technischen, wirtschaftlichen und soziologischen Aspekten – einer der Gründe für Knies These, wonach sich das Auto mittelfristig selbst abschafft, ist. Dass "Busse und Bahnen" keine wirkliche Alternative sind, wird auch deutlich. "Das Auto in der Politikfalle" und als Gegenstand ganz konkreter Kapitalinteressen. Doch das und auch die – nebenbei völlig absurde – Selbstverständlichkeit, mit der Autofahrer öffentlichen Raum für privaten Besitz einfordern, wird zunehmend thematisiert und hinterfragt. "Die Autogesellschaft wird also nicht im Sturm abgeschafft, sondern sie erodiert und löst sich gleichsam von innen auf." Schließlich werden noch Konzepte für die dringend erforderliche "Verkehrswende" untersucht; das "Hub & Spoke"-Konzept für einen funktionierenden ÖPNV mit (s)einer Verzahnung von Daseinsfürsorge und (gewinnorientierten) Privatunternehmen ist da nur einer von mehreren dargelegten Ansätzen, autonomes Fahren und die Digitalisierung der Mobilität inklusive. Kurz: auch wenn dieses Buch überzeugte Autofahrer nicht zu Bahncard-Kunden machen wird – seinen klugen, differenzierten und wenn überhaupt, dann höchstens ein ganz klein wenig ideologischen Argumenten kann man sich schwer entziehen.
Weitere Infos: www.alexander-verlag.com/programm/titel/wo-kommen-bloss-die-vielen-autos-her---und-wie-werden-wir-si


September 2025
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