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HANS-PETER DE LORENT

Goebbels' Schatten

(Goya, 541 S., 28,00 Euro)

Ein wenig irreführend sind die Untertitel "Die Naumann-Verschwörung - Ein Tatsachenroman" schon, denn zum einen kommt die eigentliche "Verschwörung" kaum vor – und wenn doch, dann recht kurz und beinahe nebensächlich wirkend. Auf Tatsachen beruht der Roman (wenn man den Text denn so nennen möchte) hingegen unbedingt, sogar auf äußert gründlicher und sicher anstrengender Recherchearbeit (im Nachwort geht der Autor kurz auf die zu bewältigende Stoffmenge bei der Sichtung von Archivalien und beim Durcharbeiten der Sekundärliteratur ein). Aber von vorn: es geht um Goebbels' persönlichen Referenten und späteren Staatssekretär im NS-Propagandaministerium Dr. Werner Naumann. Von Hitler wohl stets mit "Doktor" angesprochen, beauftragte ihn jener unmittelbar vor seinem Selbstmord mit den Worten: "Ich setze auf Sie, dass Sie diesen Bunker verlassen und den nationalsozialistischen Geist nach draußen tragen." Das macht Naumann als überzeugter Nazi nur zu gern. Nach der geglückten Flucht aus den Trümmern der Reichskanzlei taucht er zunächst in Burg unter. Das Netzwerk der alten Kameraden funktioniert, man freut sich über jeden "Überlebenden", trifft sich hier und dort und organisiert nicht nur das eigene Überleben, sondern auch die Vernetzung und Bündelung der "Getreuen". Nach einem Jahr siedelt er nach Franken über, wo er Maurergeselle wird und quasi vom Baugerüst aus die Nürnberger Prozesse verfolgt. Gleichzeitig tritt er wieder in Kontakt mit seiner Ehefrau – aus Furcht vor Entdeckung zunächst konspirativ. Dann zeigt das Netzwerk seine Kraft, ein erfolgreicher Ex(?)-Nazi verhilft Naumann zu einer nicht allzu arbeitsintensiven, aber ordentlich bezahlten Geschäftsführer-Stelle und einer angemessenen Unterkunft in seiner Düsseldorfer Villa (und nebenbei zu einer Liaison mit der Gattin und baldigen Witwe des Villenbesitzers). Von dort aus organisiert Naumann "Freundeskreise", Gesprächsrunden und bald auch öffentliche Vorträge, in denen die Möglichkeiten ausgelotet werden, das Vermächtnis des Führers auf möglichst legalem Weg umzusetzen. Dazu wird überlegt, die ohnehin Nazi-durchsetzte NRW-FDP zu "übernehmen" und so über den Umweg des ungeliebten Parlamentarismus doch wieder zu einer "Einparteienlösung" zu gelangen. Die Briten finden das irgendwann denn doch befremdlich und verhaften die Gruppe um Naumann, der Prozess verläuft aber im Sande. Am Ende landet Naumann bei Harald Quandt (der Sohn aus Magda Goebbels’ erster Ehe hat den Krieg recht unbeschadet überstanden und ist Erbe diverser Unternehmen), der ihn zum Direktor bei Busch-Jaeger in Lüdenscheid macht. Eine ebenso beeindruckende wie erschreckend folgerichtige LebensGeschichte also, die hier erzählt wird. Und doch nur im letzten Drittel die einer "Verschwörung", zumindest ansatzweise. Denn auf den ersten 200 Seiten schildert de Lorent in übertriebener Ausführlichkeit die letzten Tage im Führerbunker, dann die Flucht durch die zerstörte und weitgehend im Chaos versunkene Reichshauptstadt, über 100 Seiten die Kriegsverbrecher-Prozesse und schließlich die politischen Nachkriegsaktivitäten Naumanns (um die es laut Untertitel eigentlich hauptsächlich gehen sollte). Leider kann ich mit dem Stil des Hamburger Ex-Oberschulrats de Lorent wenig anfangen, denn er verwechselt hier die Genres "Roman" und (literarische) "Biografie". Neben vielen sicher gut dokumentierten Fakten und historischen Persönlichkeiten werden fiktive (gleichwohl glaubhafte) Charaktere eingeführt, authentische Zitate aus Dokumenten und Zeitungen (insbesondere rund um die Nürnberger Prozesse) füllen Seite um Seite und stehen neben möglichen, aber doch erfundenen (und oft etwas hölzernen) Dialogen. Keine der Figuren gewinnt eine über die biografischen Fakten hinausgehende künstlerische Tiefe, dem überaus nüchternen Text fehlt jede Emotion, dramatische Spannung und erzählerische Wucht. Selbst die im Grunde hoch skandalöse "Verschwörung" bleibt eigenartig trocken und wirkt eher wie ein aus dem Ruder gelaufener politischer Diskussionskreis. Hier hätte ich mir (bzw. de Lorent) mehr sprachliche Kraft und Phantasie gewünscht – oder den Mut(?), den Stoff als "richtige" Biografie aufzuarbeiten (dazu würde auch der Schreibduktus besser passen). Fazit: thematisch wichtig und sehr interessant, als Roman aber gescheitert.
Weitere Infos: www.jumboverlag.de/goebbels-schatten-die-naumann-verschwoerung/index.php?productId=3665


September 2025
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