
(Propyläen, 269 S., 22,00 Euro)
Dass die "Germanen" als solche nie existierten, ist inzwischen - zumindest in weiten Teilen – wissenschaftlicher Konsens, auch wenn einige verwirrte Rechtsesoteriker immer noch historisch und archäologisch längst widerlegten Unsinn verbreiten. Und sie mit den "Ur-Deutschen" gleichzusetzen, ist mindestens ebenso dumm (die bemitleidenswerten Dumpfbacken in entsprechend Fraktur-beschrifteten Walhalla-T-Shirts sind in diesem Zusammenhang ohnehin nicht ernstzunehmen). Eher schon einte die Vielzahl an Völkern und Stämmen jenseits des römischen Limes eine gemeinsame oder zumindest eng verwandte Sprache. Ein populärwissenschaftlicher Überblick zum aktuellen Forschungsstand wäre da also höchst angeraten und Karl Banghard, hauptberuflich Direktor des Archäologischen Freilichtmuseums Oerlinghausen im Teutoburger Wald (einer 1936 – also in einem alles andere als ideologiefreien Umfeld – eröffneten Einrichtung zur Erinnerung an die "germanische" Ur- und Frühgeschichte), legt mit diesem Taschenbuch genau diesen vor. In (manchmal fast zu) flotten Formulierungen nimmt er seine Leser mit "auf ein Roadmovie zu den Menschen, die von den Römern als Germanen bezeichnet wurden" und sein Drehbuch hat er dabei an konkreten geografischen Orten ausgerichtet (wir reisen von "Kronwinkel, Bayern, 60 v. Chr." über "Lindow, England, um 250 n. Chr." nach Czulice, Polen, um 400 n. Chr."). Auch wenn er einigen neuen wissenschaftlichen Methoden etwas skeptisch gegenüber steht ("Hier wird wie bei allen genetischen Deutungen abzuwarten sein, wie historisch valide sie sich erweisen."), werden die "Germanen" als erstaunlich egalitäre und durchaus nicht rein Männer-dominierte (Frauen als Runenritzerinnen, als Ärztinnen) Gesellschaft(en) beschrieben. Als offenkundiger Praktiker vertraut er dem Handfesten: "Fährtenlesen ist die älteste Form des Geschichtenerzählens: Man muss genau entziffern, was in die Erde geschrieben ist.". Diese Position unterstreicht Banghard (an dieser Stelle sehr zu recht) in jenem etwas reißerisch "Voodoo im Thüringer Becken" betitelten Kapitel, in dem er sich mit der "Spur der Rituale" beschäftigt: "Germanische Gruppen haben ihre Nachwelt in der Regel nicht mit monumentalen Kultbauten belästigt". Auch das Archäologie-immanente Problem, dass (neue) Sichtweisen und Interpretationen immer nur auf Zeit "richtig" sein können, hat Banghard offenbar verstanden: "Geboten wird eine schnelle, offene Erzählung und kein in Stein gemeißeltes Germanenhandbuch." stellt er deshalb schon in der Einleitung klar. Auch die oben kurz, im Buch aber hinreichend ausführlich beschriebenen Denkfehler und die mythologische Besessenheit, aus denen die extreme Rechte ihr politisches und agitatorisches Kapital zu schlagen sucht, werden sauber und vor allem auch für Laien nachvollziehbar korrigiert. Kurz: das ist kein Buch für "Wotan statt Jesus"-Aufnäher-Träger, aber eines für Geschichtsinteressierte.Weitere Infos: www.ullstein.de/werke/die-wahre-geschichte-der-germanen/paperback/9783549100905