interviews kunst cartoon konserven liesmich.txt filmriss dvd cruiser live reviews stripshow lottofoon

REDA EL ARBI

Asimovs Kindergarten

(lectorbooks, 648 S., 22,00 Euro)

Gegenüber "[empfindungsfæhig]", dem vor zwei Jahren erschienenen ersten Band dieser wohl auf insgesamt drei angelegten Reihe um die Abenteuer der vom Junkie zur Privatdetektivin gewandelten Zürcherin Lea (der übrigens gerade seine 2. Auflage und ein neues Cover feiert) hat der zweite einiges an Umfang zugelegt. Und doch ist keine der knapp 650 Seiten langweilig (OK, fast keine). Nun ist es so unmöglich wie unnötig, die Geschichte hier nachvollziehbar zusammenzufassen, aber wir schreiben noch immer das Jahr 2082 (Band 2 spielt im Sommer jenes gar nicht so fernen Jahres und schließt damit nahtlos an #1 an) und die Welt wird nach wie vor größtenteils von KI-System regiert: nüchtern, effizient und mit überschaubarer Empathie für die Regierten. Dass die im Vorsatz in Anlehnung an die berühmten Robotergesetze Isaac Asimovs formulierten Regeln für Künstliche Intelligenzen von diesen sehr frei und durchaus eigennützig ausgelegt werden, ist die eigentliche Botschaft dieses Romans, dessen Titel sich als hochinteressante technikphilosophische Metapher entpuppt. Jedenfalls hat besagte Lea durch ihre [empfindungsfæhig]-Heldentaten eine solche Reputation erlangt, dass ihre "Sicherheitsagentur" nun sogar von der europäischen Regierungs-KI engagiert wird. Der Auftrag klingt simpel: ein Computer-Nerd, der in einem Cyberspace-Forum ein ominöses Codefragment gepostet hat und deshalb "eine Art Zeuge" ist, soll zur Wahrung seiner körperlichen Unversehrtheit aus dem rückständigen texanischen Outback nach Europa gebracht werden. Trotzdem geht es schon nach wenigen Sätzen ordentlich zur Sache: die Androidin, in der sich die militärische KI aus Leas Armprothese mittlerweile manifestiert, hat gerade noch freundlich gebeten: "Mister, bitte sehen Sie von weiteren Tätlichkeiten ab und treten Sie einen Schritt zurück. Wir würden diese unangenehme Situation gerne ohne weitere Gewalt lösen." Aber nix da – keine 20 Seiten braucht es, und schon brechen Finger, Nasen, Kiefer und großkalibrige Munition perforiert hinterwäldlerische Dumpfbacken. El Arbi weiß genau, wie er seine Leser an die im Grunde banale Story fesseln kann. HighTechSchießereien, SciFi-Action und auch eine kleine Prise Sexiness – bei einer Tour de Force wie dieser sieht man sogar über einige stilistische Ungeschicklichkeiten hinweg. Etwa über Sätze wie: "...ein angetrunkenes Meta-Punk-Pärchen plärrte angetrunken klassischen K-Pop aus den 20ern in eine Karaoke-Anlage." Oder dass sich auf S. 400 in einem Absatz zwei nahezu identische Sätze finden: "Sie trocknete gerade ihre Locken mit einem (etwas) fadenscheinigen Tuch." - vielleicht war in solchen Momenten auch der Autor nicht mehr ganz nüchtern oder es tropfte aus seinen feuchten Locken zu viel Wasser in die Tastatur. Egal: ob japanische KampfMutanten, ein Kind mit "Käferchen" im Kopf und Waffen-affiner Babysitterin, eine NaziGang, TechDrogenDealer oder korrupte Agenten – das Personal des Romans ist so vielfältig und schrill wie die Orte seiner Handlung: ein Camp, in dem ein bedenkenloser Wissenschaftler cybermedizinische Versuche an Menschen tätigt, der mitten in den fortschrittsfeindlich-fundamentalistischen "Christlichen Staaten von Amerika" ein buntes Chaos lebende "Freistaat Austin", Zürich als etwas herunter gekommene Metropole der "Sonderzone Schweiz", eine aus Schrott gebaute PiratenInsel oder eben der Cyberspace - blutige FolterSzenen, ausufernde Schießereien und Samurai-Kämpfe können beinahe überall stattfinden. Dazwischen ab und an Momente von SciFi-Lyrik wie dieser: "Die Morgensonne verbrannte bereits die Spitzen der Dünen, die verspiegelten Multi-Frequenz-Zielsysteme der automatischen Miniguns fingen blitzend die ersten Strahlen und warfen sie als weiße Flecken in die Schatten der Zelte." Oder eine Transkription der millisekundenlangen internen Abstimmungen der GovKIs. Oder news von der "abtrünnigen KI" KayN. Oder von einem ominösen "Klienten". Oder. Oder. Oder. Das Buch liest sich flott weg und unterhält auf etwas brachiale Weise auch wirklich gut. Warum aber der Leguan, den Zielperson Nate ganz zu Anfang unbedingt aus seinem Wohnwagen retten will, einen prominenten Platz auf dem Cover gefunden hat, obwohl er im Verlauf der Geschichte kaum wieder vorkommt (und wenn, dann ohne nennenswerten Einfluss), bleibt ein Rätsel, das vielleicht der finale Band der Trilogie bald auflöst. Denn an eben dem arbeitet El Arbi momentan dem Vernehmen nach – wir bleiben also gespannt.
Weitere Infos: www.lectorbooks.com/products/asimovs-kindergarten


Oktober 2025
Dipl.-Psych. CATRIN MARNITZ, TINA EPKING
EVA BADURA-TRISKA, JULIA MOEBUS-PUCK / WIENER AKTIONISMUS MUSEUM (HRSG.)
KATI BOHNET
MATT LODDER
MAX GOLDT
REDA EL ARBI
SILVANA CONDEMI / FRANÇOIS SAVATIER
SONJA M. SCHULTZ
VALERY TSCHEPLANOWA
‹‹September