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KATJA KETTU

Forschungen einer Katze

(Weissbooks, 391 S., 28,00 Euro)

Ob die Finnin Katja Kettu hier von Selbsterlebtem und -erlittenem erzählt, weiß ich nicht genau. Möglich wäre es, denn die Protagonistin dieses Romans wird so schlicht wie namenlos als "die Schriftstellerin" beschrieben. Wobei die eigentliche Erzählerin der wundersamen, genauso traurigen wie mutmachenden Geschichte eine als Katze inkarnierte "Fermentierte Seele" ist, ein "Geistführer des (Höchsten) Amtes für Forschung und Unterstützung der Lichten Lebensformen", die ins Helsinki der 2020er geschickt wird, genauer in den "Nobelstadtteil Eira direkt am Meer". Aber auch aus dem Sommer 1917 schickt die Katze ihre Beobachtungen, da aber aus dem "russischen Gouvernement Finnland, irgendwo im Norden". Dort nämlich verliebt sich Eeva, "ein Verdingmädchen aus Reutuaapa, vielleicht ein bisschen blutarm. Tochter der Wilden Kaisa", unschicklich in den etwas traumtänzerischen Bauernsohn Mahte und das sind – man ahnt es schnell - natürlich Vorfahren der "Schriftstellerin". Die kämpfen ihr karges Leben, genau wie 100 Jahre später die durch eine Fehlgeburt in tiefe Seelenqualen gestürzte "Schriftstellerin" und bilden zugleich die Folie für übergeordnete Reflexionen. Denn Finnland wird im Dezember 1917 unabhängig; Eeva notiert in ihrem Tagebuch: "Lenin selbst hat uns das Land versprochen und die Papiere ausgestellt, das muss also schon alles stimmen. … Finnland. Unser eigenes Land. Aber wo führt das hin, wenn wir gleich anfangen, uns untereinander zu prügeln?". Wir folgen also den Lebenslinien von Eeva, Mahte und der "Schriftstellerin" in einem Text, der Elemente von Nature Writing (die raue Schönheit Kareliens wird eindrucksvoll eingewoben), Revolutionsroman (die finnischen (Land)Arbeiter stellen beizeiten fest: "Wir haben genug von diesen bürgerlichen Machenschaften!"), feministischer Selbstermächtigung (die sozial geächtete Eeva erträgt die grantige Schwiegermutter genauso wie ihr widerfahrende (sexuelle) Gewalt und materielle wie emotionale Verluste mit Selbstvertrauen, Kraft und großem Stolz) und psychologischer Bewältigungsliteratur (Kindsverlust und andere Schicksalsschläge, aber auch AutorenProbleme wie eine Schreibblockade) gekonnt mit einer nordischen Form von magischem Realismus und Momenten hochpoetischer Sprache ("Aus dem Hörer dünstet kalte Stille.") verbindet. Das alles ist so dicht und packend geschrieben, dass es (für mich) die etwas überdrehte Rahmengeschichte der weltgeistigen Katze gar nicht gebraucht hätte. Wer sich also für die nordische Natur und die Wirren der russischen Revolution, des Hin-und-Hers der jüngeren finnischen Geschichte genauso interessiert wie für die (Bewältigung der) psychischen Auswirkungen von Fehlgeburt oder Vergewaltigung und die seelischen Nöte einer erfolgreichen Autorin, der ist hier genau richtig. Auch und gerade, weil das alles so fein konstruiert und ausformuliert ist (und von Tanja Küddelsmann so gut übersetzt wurde, dass sie eigentlich eine Erwähnung auf dem Frontcover verdient hätte). "Etwas Schönes müsste drin sein. Und Trost.", denkt die "Schriftstellerin" an einer Stelle über ihren eigenen Roman nach. Beides (und mehr) bietet dieses Buch – in einer alles andere als trivialen Form.
Weitere Infos: www.weissbooks.com/products/forschungen-einer-katze


September 2025
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