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QUICKSILVER

V.A.

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Wollen wir mal mit etwas beginnen, das ich ganz wertfrei "AltherrenRock" titulieren möchte? Ja? Dann bitte: MANFRED MAURENBRECHER ist Jahrgang 1950 und versucht noch immer beharrlich, mit seiner Musik die von ihm sehr zu recht als kritikwürdig befundenen gesamtgesellschaftlichen Umstände wenn schon nicht zu beeinflussen so doch zumindest adäquat, also durchaus mit Wut im Bauch, zu beschreiben. Das gelang ihm zuletzt, z.B. mit "flüchtig" (2017), recht prima, aber seinem neuen Werk "Menschen machen Fehler" kann ich lediglich den guten Willen attestieren. Musikalisch ohnehin nie innovativ, sondern streng traditionell (blues)rockistisch, sind hier auch die Text manchmal etwas holprig und mehr als manchmal arg nostalgisch ("Musik"). 3
ANDRÉ HERZBERG ist gut 5 Jahre jünger, geht aber eben auch schon auf die 70 zu. Der Mann hat – für unsere westdeutsch sozialisierten Leser und für alle unter 50 muss man das sicher erwähnen – in der DDR mit seiner Band Pankow einen eleganten Spagat zwischen Aufruhr (in den Augen) und Anpassung hingelegt, irgendwann seine "Jiddischkejt" entdeckt und in den letzten Jahren beachtliche Soloalben eingespielt (und mit Pankow auch). Jetzt kommt sein blueslastiger Shuffle- und/oder BalladenRock "Von woanders her" (beide Reptiphon), befeuert den SoulTrain mit "baahuuuuh!"-FrauenChören und fein arrangierter BlechBläserei und lässt es durchaus auch mal Reggae-haft grooven (Du musst dumm sein). Textlich weniger direkt als sein Labelkollege MM, aber dennoch seine LebensWelt auf angenehm unaufgeregte, dabei sehr engagierte Weise reflektierend und musikalisch – zumindest im Vergleich zu MM – ohrenscheinlich durchaus lernfähig. 5
Selbst Punks werden alt: ABWÄRTS-Sänger Frank Z. hat nominell das Rentenalter erreicht und wütet doch noch erheblich herum. "Superfucker" (Off Ya Tree Records) heißt die aktuelle Platte, die von OberArzt Rodrigo Gonzalez’ Gitarrenschrubben genauso lebt wie von der hardrockenden Rhythmusgruppe: heraus kommt bierseeliger HeavyRock mit nicht unbedingt Literaturnobelpreis-reifen, aber doch ganz Punk-gerecht auf den berühmten Punkt gebrachten Texten. KneipengängerMusik, die viel schlechter sein könnte. 4
Kurz nach Abwärts wurde LATIN QUARTER gegründet, die musikalisch ein ganz anderes Feld beackerten und dies – wie ihr aktuelles Album "Remember – On Stage at the Half Moon" (Westpark) eindrucksvoll beweist – noch immer in gleichbleibender Qualität tun. Der politisch bewusste NewWavePopRock der Briten funktioniert bei alten Hits ("Nico"!) genauso gut wie bei jüngeren Songs, die in das GesamtArrangement immer wieder kunstvoll eingebundenen FrauenStimmen sind trotz personeller Wechsel nach wie vor von großem Wiedererkennungswert; überhaupt erkennt man die Band nach wenigen Takten und allerspätestens wenn Steve Skaith beginnt zu singen. Die 2018 live im traditionsreichen Londoner "Half Moon" aufgenommene CD spannt den Bogen über quasi alle Bandphasen, kennt keinen Durchhänger und ist damit ein schönes Dokument für 40 Jahre Aufrichtigkeit. 5
Der Kosmische Kurier HARALD GROSSKOPF ist in der Reihe der bisher Erwähnten, glaube ich, der Klassenälteste, was ihn aber nicht daran hinderte, auf Einladung von Bureau B-Chef Buskies seine 1984er-Solo-LP "Oceanheart" in einer "ltd. deluxe edition" als 2LP/2CD neu herauszugeben. Dafür hat er alle 6 Original-Stücke in der von ihm als "komplexes analoges Studio der absoluten Oberklasse" bezeichneten KlangWerkstatt von Tobias Stock neu interpretiert, so daß Fans schwelgerischer, Sequenzer-getriebener SynthKunst nun Gelegenheit haben, das Original und die "revisited" versions zu vergleichen. Und siehe: das alte Material zeigt in neuem Licht tatsächlich noch unentdeckte Facetten! 4
Weniger am spacig-repetitiven SynthMonumentalismus der Berliner Schule denn am (mindestens genauso) Drogen-induzierten KrautKrach der 70er orientieren sich die Teilnehmer von "Echo Neuklang (Neo-Kraut-Sounds 1981 – 2023)" (beide Bureau B), einem sehr schönen Sampler mit Kraut-inspirierten Neo-(gewohnt stark und MinimalGroove-sicher: Burnt Friedeman) bzw. Indisch-Dub ("Hydrator" von Moebius & Renziehausen mit sehr delikater SubBassLine und wildem SynthieFlangern zum DubBeat) oder auch experimentellem PostKrautKram, wie ihn Kreidler sowieso, hier aber ganz besonders schick spielen (ihr "Winter" wächst aus 2minütigem KrautWabern über "echtes" Maschinengewehrfeuer zum daraus destillierten Loop/RhythmusKunstwerk). To Rococo Rot (mit einer stoischen Verneigung vor Can und Neu) und Schlammpeitziger (dessen "Schlafatemwagen" definitiv ein Höhepunkt dieser an solchen nicht eben armen Kopplung ist) dürfen da nicht fehlen, wogegen ich Härte 10 und Haindling hier nicht unbedingt vermutet hätte (wobei sich bei letzterem eine beharrlich wiederholte Keyboard-Figur nach 5 Minuten in wildem SemiTieftonGebläse auflöst). Auf jeden Fall eine sehr solide Arbeit der Kompilatoren Christoph Dallach, Andreas Dorau und Daniel Jahn. 4
Klassische Downbeat-/Exotika-/Club-/TripHop-Sounds servierte SNOOZE in den späten 90ern über die Crammed-Tochter SSR. Im Rahmen einer rein digitalen re-issue-Reihe veröffentlich Crammed nun als "Remixes Vol. 1 & 2 (Rare SSR Electronica ’94-01 – Crammed Archives 3)" diverse Arbeiten des Franzosen. Still really smooth! 4
Gleich das Gesamtwerk wirft Mute der (möglicherweise überschaubar großen) Meute von TELEX-Fans als Neuauflage vor die Füße. Alle 6 LPs der 1978 gegründeten Brüsseler PopAntwort auf die Residents (oder doch eher auf Kraftwerk?) als CD oder Vinyl, selbstverständlich jeweils "Remastered". Ich fand Telex lange Zeit sehr super, besonders ihre elektronisch dekonstruierten RockCover (von der Disco-Version von "Rock Around The Clock" auf dem Debut bis zum umwerfenden "On The Road Again" auf dem 2006er Nachzügler "How Do You Dance?"). Im Mittel immer für 4 Sterne gut.
Die re-issue-Arbeit der wesentlichen A CERTAIN RATIO-Platten (dh. also vor allem jene aus ihren Factory-Jahren) hat Mute schon vor einiger Zeit geleistet, jetzt kommt brandneues Material der NewWaveFunk-Helden aus Manchester. "1982" (Mute) ist ein irreführender Titel – oder auch nicht, denn den innovativen Spirit jener Zeit transferieren die Kernmitglieder Jez Kerr, Martin Moscrop und Donald Johnson so intelligent wie lässig in die JetztZeit. Keine nostalgische Nabelschau, sondern aktuellste Sounds - "Waiting on a Train (feat. Ellen Beth Abdi & Chunky)" z.B. ist unbestreitbar ein genial-heutiger ClubTrack und auch der Rest dieser Platte überzeugt wohl jeden Zweifler. Die Jungs können’s immer noch. 5
Vom jüngsten Ladytron-Werk war ich ja etwas enttäuscht, kann mich jetzt aber mit den Schweden DEATH AND VANILLA trösten. Deren "Flicker" (Fire) klingt so, wie "Time’s Arrow" hätte klingen sollen: stoisches drum-machine-Pluckern trifft auf entrückt-verhallten MädchenGesang und minimalistische SynthGitarrenWände. Hier werden die großen PopIdeen der 60s in den FutureClub gezaubert - bitte unbedingt probieren und dabei vielleicht mit "Perpetuum Mobile" anfangen. 5
Glaubt man der Plattenfirma, ist "Miracle-Level" (Joyful Noise), das neue DEERHOF-Werk, das erste in ihrer knapp 30jährigen Bandgeschichte, das in einem professionellen Tonstudio aufgenommen wurde. Dabei ist das komplett japanisch gesungene Album immer noch schön krachig, zugleich aber bittersüß-Pop-ig und immer wieder auch sehr angenehm verstörend. 4
Zwischen den Go-Betweens, The Jazz Butcher und Morrissey könnte man Glenn Donaldsons "kitchen-pop" (Dank an discogs für diesen wunderbaren Schubladenaufkleber!)-Projekt THE REDS, PINKS AND PURPLES einsortieren. Der Mann aus San Francisco ist offenbar schwersten hyperaktiv, "The Town That Cursed Your Name" hat er mehr oder weniger im Alleingang eingespielt (und dabei handelt es sind um das 6. TRPAP-Album seit 2019, ohne dass wir die beiden DL-only-Werke mitgezählt hätten, die der Mann lt. discogs nebenher auch noch fabriziert hat) und wieder ist es reinster JanglePop mit etwas FolkAppeal, ganz viel style und noch mehr Schwermut. 5
Mit der Ghanaerin MUAMBA wird es wieder tanzflurorientierter, ihre EP "As Above" (RDK) ist mal R’n’B, mal Kizomba ("Muddy Road" oder "Sway With Me") und mal auch einfach nur eine ziemlich gute Kreuzung aus WestafrikaPop und ClubSound. Zwei lässige interludes ("Too Much Money" mit einer auf dem Kinderlied "Head, Shoulders, Knees and Toes" basierenden rapline und "Problem" mit der schön verschränkten Zeile: "There’s a problem: I’m a problem and that’s the problem!") zeigen, dass Muamba durchaus auch mal über die Zappelbude hinaus zu denken vermag. 4
Andere, rohere TanzMusik aus Ghana präsentiert Makkum mit "This is Zologo Beat". Dieser Sound dringt dort wohl allerorten aus "cell phones, car speakers and sound systems" und basiert auf einer Melange aus SamplingWahn und frickeligem beat-programming, gekreuzt mit lokalen Traditionen und Instrumenten. "Guru anowuu" von Fadester würde z.B. auch so manchen StroboClub in Berlin oder London zum Kochen bringen. Cool und hot zu gleich! 5
Etwas weniger durchgedreht, aber trotzdem schön schweißtreibend sind die Esten von TRAD.ATTACK! Mit ihrer neuen Scheibe "Bring It On" (Trad.Attack! Music) bleiben sie ihrem Konzept, die einheimische Folklore in die JetztZeit, vielleicht sogar in die Zukunft zu führen, treu. Was sehr bläserlastig beginnt, kriegt dann einen kleinen breakbeat-Schub ("Keera" fasst die GrundIdee der Band sehr schön zusammen), hat Stellen, die an finnische ESC-Beiträge erinnern, aber auch balladeske Momente und bildet alles in allem ein wunderbares Beispiel für moderne Tradition. 4
Keine Ahnung, wie ich von so lustigen Klängen zum düsteren Lärm eines MAURIZIO BIANCHI / M.B. überleiten soll, aber "Computers s.p.a." (Verlag System) enthält nicht mehr, doch beileibe auch nicht weniger als zwei harsche Synth-Improvisationen, die der Italiener schon vor über 40 Jahren seinem KORG MS-20 (diese NoiseMaschine hat Geschichte geschrieben und stand letztens auch bei Laibach auf der Bühne) entlockte und seinerzeit als (heute natürlich schwerstens gesuchte) Kassette herausbrachte. In die Wiederveröffentlichung ist auch Siegmar Fricke aka. PHARMAKUSTIK involviert, der M.B.s lupenreinen Industrial-tracks zwei etwas ambientere, dennoch sehr radikale Stücke entgegen stellt: "SMECTRUOP/OSCAM audiochemically decomposed by Pharmakustik in September 2022 involving neuralgic granulators." Aha. SuperKrach! 5
Eine verwandte SoundÄsthetik pflegt auf seiner CD "Terra" (Crónica) der gleichfalls aus Italien stammende CelloElektroniker LUCA FORCUCCI. Eine gute halbe Stunde interessanter Anstrengung zwischen Noise und Elektroakustik. 4
Mit strukturiertem Lärm und freier Improvisation befassen sich auch ROMAIN PERROT & QUENTIN ROLLET, die mit "LE VIEUX FUSIBLE/THE SINGLES" (ReQords) auf 2 CDs neben 8 neuen NoiseEtuden auch 6 irgendwo schon mal als kultiger 8"-lathe-cut veröffentlichte Stücke anbieten. Die musikalische Qualität ist in meinen Ohren nicht durchweg gleich hoch, diese Brumm-Fiep-Dröhn-Orgien für elecronics und Saxophon mögen zwar beim Einspielen viel Spaß gemacht haben, beim Hören wird einiges aber auch schnell mal langweilig. Obendrauf gibt’s noch einen 23-Minuten-Mitschnitt einer live performance mit Richard Francès am Synth. Naja. 3
Mit PUCE MOMENT wird es geradliniger, aber auch düsterer. Das Duo aus Lille zeichnet mit rauen ElektroSounds, seltsam gehemmten beats, Feen-(oder Hexen-?)haftem HallGesang und einigen fragilen PianoTropfen "Epic Ellipses" (Sub Rosa) auf die elektronische Leinwand und ein Verweis auf eine typische David Lynch-Atmosphäre darf an dieser Stelle wohl nicht fehlen. 4
Ich glaube, VIOLETA VICCI stammt aus dem Tessin, genauer weiß ich, dass sie mit Geige, Bratsche und Cello, reichlich electronics und ihrer (oft ebenfalls durch Effektgeräte transformierten) Stimme in "Cavaglia" (Fabrique) ein ebenso zerbrechliches wie aufregendes Album geschaffen hat. The Orb haben schon vor mir gemerkt, welches Potential in Sig.ra Vicci steckt und nahmen sie als support mit auf ihre jüngste Tour. Ambiente Schönheit und strenge SemiKlassik in einem. 4
Und auch das Duo BILL SEAMAN & STEPHEN VITIELLO frönt auf seiner mit diversen Gästen eingespielten CD "The Clear Distance" (Room40) versonnener AmbientElectronica. Inkl. impressionistischem Klavier, SchwebeFlächen aus dem Synthesizer, einigen kleinen BassFlecken und gelegentlichem KlarinettenKlagen. "A Solemn Nature" – fürwahr! 4

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