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QUICKSILVER

V.A.

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Manchmal muss man sich als Rezensent ja in eine gewisse Gefahr begeben, die in ihrer extremsten Ausprägung zu Handgreiflichkeiten oder Tierfäkalien im Gesicht führen kann. Berufsrisiko, auf beiden Seiten. Deshalb bleibt mir nur zu hoffen, dass der "Lo-Fi-Indierocksongs" schreibende JIMI BERLIN damit umzugehen versteht, dass ich mit seiner neuen Soloplatte "OK#ABER"(Barhill) nicht so viel anfangen kann. Wenn man im Info selbstbewusst schreibt: "Für Fans von Leonard Cohen, Niels Frevert, Kettcar, Bob Dylan.", legt man die Latte selbst recht hoch (und dabei finde ich von den Genannten allein Mr. Cohen wirklich gut!). Anyway: IndieRock höre ich hier nicht allzu viel, dafür jede Menge schlichte LagerfeuerGitarren-Arbeit, alltagsschwangere PseudoPoesie und konstante Nicht-Originalität. Keines der 10 Lieder ist so schlecht, dass Jimi es nicht ruhigen Gewissens in der U-Bahn-Station singen könnte (der Hut würde sich schon füllen), nur warum man das auf CD pressen muss? Ich weiß es nicht. 2
Wenn schon Singer-Songwriter, dann lieber so wie bei MAITA aus Portland (OR), denn die eifert auf "Loneliness" (Kill Rock Stars) recht annehmbar ihren Vorbildern Nick Drake, Elliott Smith, Feist und Regina Spektor nach. "Live and alone" hat sie mit ihrer geliebten Akustischen im Echo Echo Studio ihrer Heimatstadt ein 10-Song-Set eingespielt, das klassisches SiSo-Sentiment mit semi-dramatischem Gitarrenspiel und einer freundlichen (und aus ihrer gleichnamigen RockBand auch Lauteres gewohnten) Stimme verbindet. 3
Erst "The Limits of Men" (2018), dann "God Won’t Save You, But I will" (2020) - NICHOLAS MERZ hat gute Ideen für Platten-Titel. 3 Jahre später vollendet er die Trilogie mit einem eher prosaischen "American Classic" (Aagoo). Auch das gehört in die SiSo-Kiste, gelangt aber mit etwas mehr weirdness und ekstatische(re)n Gitarren schon eher dahin, wo mich solcherlei Musik wirklich zu interessieren beginnt. 4
"State Of Fear" (Lilian) ist als CD-Titel ja auch ziemlich konventionell, der Bandname BÄRLIN hingegen entlockt mir durchaus ein feines Schmunzeln. Die französische Kapelle lebt von einem Sänger, der seine lyrics voller Inbrunst über ein wildes Gebräu aus Cut-up- und Art-Rock, aus Avant-Pop und durchgeknalltem Songwritertum schmettert. Gerade die sehr präsente und dabei durchaus unkonventionell bediente Klarinette passt sich bestens in dieses bunte Bild ein, zuweilen (z.B. bei "A Glowing Whale" – ja, auch die Songtitel sind von einem feinen Humor durchzogen) denke ich da an die freakigen Momente von Tuxedomoon. 4
Klanglich ganz anders, aber durchaus auch freakig ist das "Happy Child" (Noumenal Loom) von CARMEN JACI. Die lockt aus ihrem ElektroGerätePark insgesamt 7,5 (das "Bubbel Bath" ist ja "nur" ein kurzes Intro) scheue, aber auch lustige Exemplare eines Bastards aus (Anti)ElektroPop, höchst frakturierter LoopArt und anderen Unfassbarkeiten mehr. Zwitschern, Knallen, Knuspern, Hauchen, Knarren, Quietschen, Rufen – hier werden Samples aller Art zu hübschen, wenn auch etwas anstrengenden ElektroSchleifen verknotet. Physisch very stilish nur auf MC. 4
Eine etwas düsterere Variante solcher ElektroBastelKunst präsentiert die in Berlin lebende Italienerin SARA PERSICO auf ihrem gleichfalls nur auf Tape erscheinenden "Bondary"(Karlrecords). In einem zerwühlten Bett aus SubBassPulsen, DistortionBeats und Sample(De)Konstrutionen finden hier sich Spuren dunkler EBM-Schärfe, verstiegener StimmEkstase und technoider KlangSynthese. Für die Älteren: als wäre Diamanda Galas bei einer digitalen Front-242-Reinkarnation zu Gast. 4
Bleiben wir mal noch kurz bei der immer bunter werdenden KassettenSzene, über deren Wiederaufblühen ich mich trotz des vermutlich nicht ganz unberechtigten HipsterHype-Verdachts sehr freue (wenngleich ich mich immer frage, auf welcher hardware diese Produkte konsumiert werden. Versucht mal, heute ein brauchbares TapeDeck zu kaufen, das geht praktisch nur über 2nd-Hand!). Da gibt es nämlich neben avantgardistischen ElektroZirkeln auch ganz klassische LoFi-NoisePop, wie ihn immer wieder das schon seit fast 10 Jahren aktive (und damit durchaus als SzeneVeteran zu bezeichnende) Label Kitchen Records zelebriert. Aktuell schickt man dort das Trio PIEUVRE mit "Solida" an den Start. Pia, Lina und Fege knallen uns im Original-"g-b-dr-was-braucht-man-mehr"-Outfit in knapp 20 Minuten einen bei aller DIY-Ästhetik dennoch durch und durch durchdachten PostPunk-KrachPop-Hybriden in "Skinny Jeans" vor den Hals, schreien dabei zeitgleich ihren Spaß und ihre Ängste raus (mal Deutsch, mal Englisch, beim Titelsong gar in einer Sprache, die für mich sowohl Italienisch wie Japanisch klingt) und machen so (zumindest mir) jede Menge Spaß. 4
Geistesverwandte von PIEUVRE sind Peppi und Mela aka. CAVA. Die beiden lieben lt. Info "Schaumwein, Garage und Punk, dreckige Gitarrenriffs, viel Feedback und melodische Vocals". Nach dem intensiven Hören von "Damage Control"(Buback) kann ich das vollinhaltlich bestätigen (vielleicht bis auf den Schaumwein, ich habe mit den Damen noch nicht an der Bar gesessen und ihre Musik schmeckt mindestens genauso nach ehrlichem BilligBier wie nach NobelSekt). SpeedPop, DIY-Noise(Rock) und eine ganz leichte Prise RiotTechno finden hier zu Kapitalismus-kritischen oder Antidepressions-Texten. Aus dem Info weiß ich: "CAVA träumen von einer besseren Welt." Und obwohl die Mädels diese beiden Bands vielleicht (noch) gar nicht kennen - alte Säcke wie ich denken hier: Daisy Chainsaw meets Hole! 4
Was mir der israelische Trommler GIDON CARMEL mit "The Story Of Goabi" (recordJet) sagen will, habe ich trotz besten Bemühens nicht verstanden. Der Mann spielt(e) für traditionelle JazzCombos und in einer ArmeeKapelle, bei einer ArtRock-Band und mit Singer-Songwritern, auf Filmsoundtracks und in Varieté-Produktionen im Berliner Wintergarten; inzwischen ist er sogar "Hausschlagzeuger im Berliner Hyatt-Hotel" (sicher der Traum jeden TonKünstlers!). Und genauso klingt (leider) auch sein mit diversen Gästen eingespieltes Album: hoch heterogen, aber auf eine eher bemüht-unentschlossene Weise zwischen allen Stühlen stolpernd. 2
Da geht mir der dichte und doch sehr kleinteilige Sound von you.GURU deutlich näher. Das neue Album dieser polnischen Freunde unkonventioneller Groß-/Kleinschreibung heißt "UNtouchable" (Antena Krzyku) und ist treibend und filigran zugleich. MathPostSonstwasRock? Egal – gute Musik ist das allemal. 4
Ein anderer Pole interessiert sich offenkundig für die Möglichkeiten der Kalimba, also des zuletzt besonders durch die Congotronics-Szene in den Scheinwerferkegel westlicher PopAufmerksamkeit geratenen Daumenklaviers. Auf "Transformation I" (Gustaff) erkundet RAFAŁ IWAŃSKI dessen Möglichkeiten in einem elektronischen setting, setzt also weniger auf purer Verzerrung denn auf gezielte KlangManipulation. Dazu mischt er Spuren von Gongs und Glocken, diverse weitere exotische (v.a. afrikanische) Instrumente und westliche SynthTechnologie. Das Ergebnis ist alles andere als steife AfrikaPseudoRomantik, sondern ein sehr aufregender Hybrid aus Low- und HighTech. 4
Auch KETY FUSCO wandelt auf eher abseitigen KlangPfaden und versucht, aus Bekanntem Neues zu gewinnen. Sie spielt auf einer elektr(on)ischen Carbon-Harfe und auf einer (gern auch präparierten) klassischen (das Info bezeichnet die als "80-Kilo-Harfe", was aber ungefähr das Doppelte des Gewichts eines "normalen" Konzertinstruments wäre – rätselhaft!) und schickt die so erzeugten Klänge dann auch noch durch diverse KlangBeeinflussungsGeräte. Das auf "The Harp Chapter I" (Floating Notes) nachzuhörende Ergebnis ist dabei sowohl experimentell (ohne anstrengend zu sein) wie anschmiegsam (ohne schmierig zu werden), also ziemlich interessant. Wir behalten die Dame mal im Auge! 4
Richtig elektronisch wird’s wieder mit der in Berlin lebenden Japanerin SAEKO KILLY, die ihrem Debutalbum den wundervoll hintersinnigen, schräg-poetischen Titel "Morphing Polaroids" (Bureau B) gab. Ihre Sozialisation auf Tokioter TechnoPartys findet darauf ebenso Widerhall wie ihr Interesse an klassischem Industrial. Gute Unterhaltung! 4
Zum Schluß noch eine ganz wichtige Frage: was kommt raus, wenn Shaabi (also ägyptische AlltagsPopMusik) und HardTechno aufeinandertreffen? Klar: "Shabber"! Der Mann hinter 3PHAZ bleibt auch mit seinem neuen release "Ends Meet" (Souk) anonym, was aber eigentlich egal ist, solange der Kairoer weiter so gekonnt seinen EgyptianElectro programmiert. Die massenkompatible Version davon heißt am Nil Mahraganat und ist immer noch ziemlich populär. Von 3PHAZ kriegen wir das Ganze aber in der düster-reduzierten Kellervariante: harte beats, ein Minimum an Melodie und kein Gesang. Das atmet Londoner ClubNebel genauso wie den Straßenstaub Kairos - simpel, aber hochwirksam. 4

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