AKSAK MABOUL

(Made To Measure / Crammed Discs / Indigo)

Das jüngste Werk der "Durchgeknallten HumpelRhythmen", wie man den Namen des seit mehr als 40 Jahren bestehenden BandProjekts des Crammed-Gründers Marc Hollander (natürlich völlig unzureichend) übersetzen könnte, versteht sich als "mysteriöse philosophisch-poetische Geschichte" im Sinne einer "Suite" bzw. eines "experimentellen Hörspiels" – das nachgesetzte "Songspiel" weist ebenso in diese Richtung und scheint mir als GenreBeschreibung beinahe am besten geeignet. Das Szenario stammt von der Sängerin Véronique Vincent (=VV?), die schon in den frühen 80ern über die Honeymoon Killers in die Aksak Maboul-Wolke eingesaugt worden war. Die ersten textlichen und musikalischen Skizzen entstanden parallel zur Arbeit am 2020er Aksak Maboul-Album "Figures" in freier Assoziation – in wieweit dabei pflanzliche oder chemische Hilfsmittel das Bewusstsein erweiterten, entzieht sich meiner Kenntnis und ist auch völlig egal, denn das Ergebnis spricht(!) tatsächlich für sich. Zur Inhaltsbeschreibung kopieren wir zunächst dreist den entsprechenden Infotext: "Eine Figur namens VV klettert aus dem Fenster ihres Zimmers. Sie merkt, dass sie nicht mehr sprechen kann und geht auf eine lange Wander-Reise. In einer orangefarbenen Hütte schläft sie ein und wird mit einem wahren Wortsturm in Form von zerstreuten Buchstaben konfrontiert, die "an incoherent flock of signs… above the earth" formen. Sie verlässt die Hütte und folgt Blutspuren im Sand in der Erwartung, eine Leiche zu finden. In einem Wald wird sie in einen Austausch mit einer Reihe an [ähm, nicht besser "von"?] nicht-menschlichen Wesen wie Vögeln, Bäumen oder Felsen verwickelt. Die Vögel weisen ihr den Weg zu einer Seiltänzerin und einem Gelehrten, die tagaus, tagein mit der Beschreibung eines Analemma beschäftigt sind. VV trifft The Woman und gemeinsam wollen sie eine physisch wie auch symbolisch riesige Mauer zerstören. Sobald die Mauer niedergerissen ist, gehen sie ihrer jeweiligen Wege. VV dringt in eine auf keinen Landkarten eingezeichnete Todeszone ein, die sie in Begleitung ihres Schattens erforscht. Während ihrer Reise kreuzen sich VVs Wege mit denen literarischer Geister, bis sie in einer Stadt ihre Sprache wiedererlangt und eine Tür aufstößt…." Kein leichter Stoff also, vorgetragen in einem entrückt-exaltierten SingSang, hier Französisch, dort Englisch, irgendwo auch mal Spanisch - gleichermaßen deutliche Spuren höherer Durchgeistigung und psychedelischer Insania tragend. Und genau deshalb enorm fesselnd. Musikalisch ist das Ganze Aksak Maboul in Reinkultur: weltumspannend aufgeweiteter ArtRock (die Band entstammt schließlich der RIO-Bewegung und ist diesen Wurzeln über die Jahrzehnte stets innovativ treu geblieben), voller Intarsien aus Ambient, Jazz, Neuer Musik, Elektronik, PsychRock und ImproTechno; im Info findet sich das schöne Wort "Systemmusik", über das ich noch eine Weile nachdenken muss. Dazu der schon erwähnte VV-VV (Véronique-Vincent-Vokal-Vortrag): mal als Gesang, mal gesprochen, mal fast nur gedacht. Die zahlreichen Gastbeiträge stammen uva. von John Pearce aka. Alig Fodder (ja, der von Family Fodder), Blaine L. Reiniger, Aquaserge, Don The Tiger und Lætitia Sadier, so daß man das "Abenteuer der VV" als eine blubbernd-scharfe, gleichwohl höchst schmack- und nahrhafte (Ur)Suppe avancierter KlangGestaltung genießen darf. Aus materialästhetischen Gründen würde ich übrigens den Kauf der 2LP-Version empfehlen, dort kommt das von Ronan Barrot eigens angefertigte Ölgemälde "VV ou le ciel renversé" sicher besser zur Geltung als auf der zwar über-normal-großen, dennoch (zu) kleinen CD-Hülle. "Made To Measure the distance from my room to my room". 5
Weitere Infos: › www.crammed.be

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