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JAZZJANZKURZ

V.A.

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Auch wenn das Rheinland natürlich schon lange nicht mehr das alleinige Verbreitungsgebiet unseres kleinen (derzeit ja noch immer leider virtuellen) Blättchens ist - wenn eine CD "Chansons de Cologne" heißt, müssen wir dazu gleich zu Beginn was sagen. Am liebsten natürlich was begeistertes oder zumindest doch nettes. So ganz leicht ist das bei der vom CHRISTINE CORVISIER 5TET eingespielten Platte zwar nicht, aber das naiv-verspielte artwork und der unbekümmerte Blick, mit dem die (v.a.) Saxophon spielende Bandleaderin aus dem (Comic)Fenster schaut, stimmen ganz gut ein auf entspannt-sorglosen Jazz. Neben diversen Eigenkompositionen gibt es Fassungen von Tiersens (in meinen Ohren fast immer nervenden) "Valse d’Amelie" und einigen Aznavour-Klassikern. Die Solo-Sax-Linien zu Beginn von "Amelie" sind aber wirklich prima. Und der gestrichene Bass auch, genau wie die Gitarre, die gegen Ende hin wieder zu den vom Klavier schön gespiegelten ZirkularSchleifen überleitet. Überhaupt: wenn man nur genau genug hinhört, gibt es auf dieser vermeintlich so biederen Platte einiges zu entdecken. 3
Auch das ELLINGTON TRIO um die Sängerin Barbara Barth macht es dem Liebhaber eher unkonventioneller Formen nicht leicht. Dabei wissen Gero Körner (p) und Caspar van Meel (b) den mannigfaltigen Möglichkeiten von Barths Stimme ein solides Fundament zu verleihen und glänzen bei ihren Soli durchaus. Allerdings fehlt (mir) bei "Things Ain’t What They Used To Be" (beide JazzSick) auf Dauer etwas Würze, die Stücke des "Duke" werden technisch brillant, aber eben auch recht brav interpretiert. Da hilft auch die phantastische Trompete von Frederik Köster, der bei fast jedem Stück als Gast dabei ist, nicht wirklich. 3
Auch die Australierin KRISTIN BARARDI verfügt über eine sehr Jazz-taugliche Stimme. Für ihr neuestes Projekt versicherte sie sich der Mitarbeit recht prominenter Musiker. Neben den durch diverse Kollaborationen in ihrer Heimatstadt New York bestens eingespielten Miro Sprague (p) und Marty Jaffe (b) gastieren auf "The Light & The Dark" (Earshift) Troy Roberts (sax) und Sam Anning (b), Trompete spielt die großartige Ingrid Jensen. Manchmal ist der Gesang für meine Ohren zu "old-school" (wer möchte heute wirklich noch längere ScatImprovisationen in klassischer Manier hören?), aber zweifellos hat diese CD auch ihre starken Seiten. 3
Obwohl man sich inhaltlich mit "a number of poets from different cultures and centuries" beschäftigt, verzichtet GEOFF GOODMAN’S CRISS CROSS TRIO auf "The Road Taken" (HGBS Blue) auf Gesang. Zuweilen verleiten einige heftigere Riffs von Goodmans Gitarre Matthieu Bordenave am Saxophon zu kleinen Ausbrüchen, doch meist kehrt das alles schnell wieder zum von Bastian Jüttes Schlagzeugspiel schön kommentierten Wohlklang zurück. Trotzdem: hier wird das Grenzgebiet von Jazz, Jazz (nein, kein Tippfehler!) und Rock fein ausgeleuchtet. Anspieltip: "Time Like A Stone In Water". 4
Mit dem italo-kolumbianischen Pianisten Hamlet Fiorilli wird’s südamerikanisch. Um seinen (offenbar "echten") Vornamen wird ihn in der Schule niemand beneidet haben, aber als HAMLET & HIS LATIN JAZZ EXPERIENCE zeigt der Mann, was er kann. Die klassische p-b-dr-Besetzung wird hier bei je einem Stück gastweise um einen Perkussionisten bzw. 2 Sängerinnen erweitert, was dem Latin-aromatisierten Jazz ganz gut tut. Ob nun von Bill Evans ("Paseando con Bill") inspiriert oder von einer Puccini-Doku, die Improvisationen sitzen (manchmal sogar zu gut) und die Grundstrukturen sind perlend klar. 3
Auch wenn die Chefin gleich zu Beginn von "Rerooting" (Clap Your Hands) mit einem nigerianischen Udu-Schlagtopf eine arabische Stimmung aufbaut (Sängerin Josefine Cronholm kann da gleich ihre Wandlungsfähigkeit unter Beweis stellen) - schon beim folgenden, von instrumental/vokalen Vogelrufen begleiteten Stück stellt sich ein gewisser Wiedererkennungseffekt ein: MARILYN MAZURS SHAMANIA ist noch immer gut für exotische, facettenreiche und doch konsumable Musik jenseits aller Genres. Latin-Groove trifft auf kühlen EuroJazz trifft auf bunte(ste) Perkussion und das in einer vielköpfigen Besetzung – wir hören hier insgesamt 10 durchweg wundervolle Frauen ganz starke Musik spielen! 4
Das Trio MIMANÉE wird ebenfalls von einer singenden Perkussionistin angeführt. "The Invisible Will Remain" (Zeytmusik) hat wundervolle Momente, z.B. gleich im opener "The Beauty Of Lies", wo sich Marimbaklänge und eine warme Bassklarinette umspielen. Gesanglich überzeugt Neele Pfleiderer besonders in den tieferen Lagen, wenn sie sich sehr weit nach oben schwingt (schwingen muss), wird es zuweilen schwierig. Aber weil der Gesang auf dieser CD ohnehin nur ein Instrument unter anderen ist, bleibt dieser Makel verzeihlich. 3
Gleich zwei drumsets stehen auf der Bühne, wenn Saxophonist (und Labelchef) JEREMY ROSE mit seinem EARSHIFT ORCHESTRA "Disruption! The Voice Of Drums" (Earshift) feiert. ModularSynth, Bass, Gitarre, Trompete und Piano/Keys vervollständigen das line-up für eine phantastische Mischung aus Tradition (v.a. der pazifischer und asiatischer Völker), Jazz (Rose brilliert auch an der Bassklarinette), avancierten AmbientMomenten und immer wieder Rock (wir haben schließlich zwei von hochtalentierten Energiebündeln bediente Schießbuden!). Sehr hörenswert! 4
Eine den gerade erwähnten AmbientMomenten nahestehende tiefenentspannte Grundstimmung rückt (beinahe naturgemäß) in den Vordergrund, wenn der südafrikanische Bassist CARLO MOMBELLI sein "Lullaby For Planet Earth" (Clap Your Hands) anstimmt. Die feingliedrige Gitarre von WOLFGANG MUTHSPIEL funktioniert dazu natürlich prima, genau wie JORGE ROSSYs hochsensibles Vibraphone (oder Schlagzeug). Nicht (nur) zum Einschlafen, diese Musik! 4
Aber auch die Avantgardisten tragen das ihre zum goldenen Oktober bei. Zuerst die unbestreitbar geniale VokalAkrobatin HANNA SCHÖRKEN, die für "sea-less" gemeinsam mit der Cellistin EMILY WITTBRODT live im Studio über Texte von E.E. Cummings improvisierte. Wobei "Text" hier auch schon mal das Röcheln eines einzelnen Vokals oder das stimmliche Zerhacken einer knappen Silbe sein kann - Schörken weiß mit ihren Stimmbändern und ihrer Mundhöhle Unglaubliches anzustellen. Dazu passt das extrovertierte und doch sehr in sich gekehrte Cello wunderbar, auch hier entstehen dem Werkzeug so noch nicht oft entlockte, beinahe "unerhörte" Töne. Und im Zusammenwirken wird aus diesen beiden Zutaten... hach, es ist schlicht grandios! Vielleicht sogar so grandios, dass ich noch etwas mehr Zeit für eine intensivere Auseinandersetzung mit dieser Platte brauche. 5
Etwas undurchsichtiger sind mir die Zusammenhänge bei "Gleitzeit" (beide Umland), einer EP des ENSEMBLE PERSONAL. Emily Wittbrodt ist auch hier mit ihrem Cello am Start, allerdings eher als Unterstützung für den schweren AvantCountry, den mastermind Peter Eisold (perc/slide-git) hier unter weiterer Mitarbeit von Kyu Sang Jeong (cl), und Stefan Este Kirchhoff (e-git) anstimmt. Das Ganze entstand wohl eigentlich als akustisches Pendent zu einer video-basierten Performance, wobei die hier zu hörenden beiden Neukompositionen ausdrücklich "without video" entstanden. Im Info sprechen die Umländer von "a kind of psycho-chamber-slide-guitar-band", das kann ich gut unterschreiben. Und vielleicht noch "BassklarinettenBlues mit SchrägCello, Vibraphon und ToySounds" ergänzen. 5
Geistesverwandt scheinen mir da übrigens GEIR SUNDSTØLs "Studio Intim Sessions Vol. 1" (Hubro). Dort schleichen sich allerdings auch noch diverse Reggae-Splitter zwischen die Banjo-, Pedal-Steel- oder Zither-Klänge (auch eine "Shankar guitar" kommt reichlich zum Einsatz). Wirklich sehr cool. Sehr Cool und sehr relaxed. 5
Die Meditation vertiefen lässt sich dann mit den beiden LP-Seiten von "Omokentro" (Bohemian Drips), die Ingrid Schmoliner (präpariertes Piano) und Elena Kakaliagou (Horn) als NABELÓSE im Wasserspeicher an der Belforter Straße in Prenzlauer Berg live und unter Einbeziehung ihrer Stimmen eingespielt haben. Entrückt aus dem Hier, dem Jetzt entzogen und doch unter ganz konkreter Bezugnahme auf den Raum, seinen EigenKlang und die daraus resultierenden Möglichkeiten improvisieren hier die beiden MeisterMusikerinnen auf wirklich atemraubende Weise. 5
Die auf ganz persönlichen Wunsch von ZEITKRATZER-mastermind Reinhold Friedl nun erstmals auf Vinyl erhältlichen Stücke von ALVIN LUCIER schließen sich da als weitere aufregende Entspannungshilfe sehr gut an. In gedehnter Ruhe befassen sich die Zeitkratzer-Könner mit 4 Arbeiten des KlangPsychologen, als DL-bonus gibt’s eine Fassung des "Solo Triangel"-Stücks "Silver Streetcar For The Orchestra". Die Zeit verliert hier ihre Bedeutung, denn Zeitkratzer ergründen Lucier mit nonchalanter Konzentriertheit – ob die Stücke Sekunden oder Stunden dauerten, weiß man hinterher nicht mehr (sofern man sie wirklich erkundet und gespürt, das Ganze also nicht als bloße Klangtapete mißbraucht hat). Feedback und orchestrale Transparenz, drone und zartes StreicherStreichen – auf "zeitkratzer – Alvin Lucier"(Karlrecords) findet sehr vieles auf sehr gelungene Weise zusammen. 5
Etwas leichter verdaulich ist das neueste Werk des Minimal-Music-Doyen STEVE REICH. "Runner / Music For Ensemble And Orchestra" (Nonesuch) wurde vom Los Angeles Philharmonic unter Susanna Mälkki eingespielt und im booklet beichtet Reich dem ihn befragenden Bang on a Can-Chef David Lang u.a. wie ihm Nico Muhly, als er jenem vorschwärmte, daß er die Struktur von "Runner" so sehr mag, "that I just wanted to do it again", knapp beschied: "the first one’s always better". Das stimmt nicht ganz, denn die wohl auch als "Runner 2" zu verstehenden fünf Teile von "Music For Ensemble And Orchestra" sind ebenfalls ganz vorzügliche Beispiele für klassische MinimalKunst: einprägsame Motive, nuancenreiche Repetitionen, feingliedrige (Meta und Mikro)Strukturen. Große, greifbare KunstMusikKunst, die gerne länger als die hier dargebotenen 35 Minuten dauern darf. 5
Und ganz zum Schluß möchte ich euch noch die neue CD von Torsten Papenheims TRU CARGO SERVICE ans Herz legen. "Schattenlos" (Tiger Moon) variiert in zwölf Versuchsanordnungen die ersten Takte der schwermütigen "Klaviersonate Nr. 21" von Franz Schubert (entstanden kurz vor dessen Tod). Mit Papenheims Gitarre, Saxophon (Alexander Beierbach), Kontrabass (Berit Jung) und Schlagzeug (Christian Marien) geschieht dies allerdings in sehr "heutigen" Ausformungen, zwischen JazzSwing und Freier Deformation. Die ausnahmslos auf (mir nicht durchweg vertraute) "Heldinnen des 20. Jahrhunderts" verweisenden Namen der Stücke bilden den Ausgangspunkt für weitere GedankenFlüge beim Hören dieser konzentrierten und doch beinahe skizzenhaft (so wie eine von einem Könner locker hingeworfene Bleistiftzeichnung) wirkenden Improvisationen. Mit Hannah Höch Schuberts Depressionen überwinden – ein sehr lohnendes Unterfangen. 5

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