Es gibt ja Menschen, die sich beim Kauf auf einige Plattenlabels blind verlassen, ich selbst gehöre dazu. Bei den lombardischen Kollegen von We Insist! könnte es dabei allerdings Probleme geben, denn deren Katalog ist sehr bunt und heterogen. Aktuell gibt es mit "Cats In The Kitchen" von ALBERTO BRAIDA (p), SILVIA BOLOGNESI (b) & CRISTIANO CALCAGNILE (dr) typischen JazzKlaviertrioJazz, bei dem die größte Aufregung wohl die ist, dass das im schicken digipak verrutschte tracklisting mit einer schnöden "Errata Corrige"-Karte nachgebessert werden musste. 3 Als (beinahe) größtmöglicher Kontrast dazu erscheinen unter der nächsten Katalognummer mit den "Expeditions" (beide We Insist!) von PAOLO GAIBA RIVA beinharte Avantgarde-Klänge. PGR spielt diverse Instrumente, vor allem Klarinetten aller Größen und lässt sich dabei von ebenso diversen Gästen an "drumtables"(sic!), "microphoned objects" oder auch vermittels "no-input feedback by dv recorder" begleiten (Gianmaria Aprile mit seiner effektgeschwängerten E-Gitarre erscheint da beinahe "konventionell"). Klarinettenluftsäulen schwingen in verzweifeltem Fauchen, manches scheint auch elektronisch generiert – aber nichts, wirklich nichts ist hier einem wie auch immer gearteten Schönklang verpflichtet; alles dient der puren Expression. Gekonnt! 4 Aber wir waren ja gerade noch beim "schönen" Jazz wie ihn auch MAREIKE WIENING pflegt. Die Schlagzeugerin aus Erlangen (bzw. inzwischen Köln) meldet sich samt ts-p-git-b-Begleitung mit "Future Memories" (Greenleaf) für einen Platz in den Playlists der nächtlichen JazzRadioSendungen an. Modern (wie in "Modern Jazz") und leichtfüßig; unterhaltsam, aber auch sehr brav. 3 Auch JONAS SORGENFREI ist Drummer und Bandleader und auch er versteht Jazz als gehobene Unterhaltung. Mit Wanja Slavin hat er auf "Elephants Marching On" (Unit) einen gestandenen Sax-Könner (der hier übrigens auch einige Synth-Sounds beisteuert!) an seiner Seite, der nicht minder renommierte Pianist Rainer Böhm und Matthias Akeo Nowak am fein gearbeiteten Bass vervollständigen das set-up. Ein dichtes, organisches (ja, diese beiden Attribute passen so gut, dass ich sie vom Info klauen musste!) Debut von einem virtuosen Schlagzeuger und feinfühligen Leader. 4 Noch ein Drummer mit eigener Band: FRANCESCO CINIGLIO stammt aus Neapel, hat in New York trommeln gelernt und lebt in Paris – er weiß also schon mal, wo auf dieser Welt das Leben spannend ist. Für "The Locomotive Suite" hat er eine feine tp-flh-as-bcl-Bläsersektion ausgesucht, dazu ein Bass und ein von Alexis Valet sehr virtuos bedientes Vibraphon. Auch hier regiert ein klassisches (Jazz)Harmonieverständnis, wobei – wir reden nicht ohne Grund von einer "Suite" – das Ganze zwischen bittersüßen Bläsern und schwingenden Metallröhren schon einer übergeordneten Idee folgt: "Every human is al locomotive." Und kein Geringerer als Wynton Marsalis schrieb einige nette linernotes für diese schöne Platte. 4 Die vom JULIAN SIEGEL JAZZ ORCHESTRA erzählten "Tales From The Jacquard" (beide Whirlwind) beginnen mit Klängen einer Textilmaschine, die auf ein bruitistisch-futuristisches Album einstimmen. Könnten. Denn nach dem O-Ton-Einstieg übernimmt schnell ein konservatives SoundVerständnis die musikalische Leitung. Dabei basieren die Kompositionen (doch) auf von Jacquard-Lochkarten entnommenen Zahlen/Rhythmen und den daraus gewonnenen Inspirationen. Ich kenne Julian Siegel ja eher als Mitglied der Tindersticks-Bläsersektion, dabei spielte er auch im JazzKontext mit so renommierten Leuten wie Kenny Wheeler oder der NDR-Bigband - das hier ist erstaunlicherweise sein Debut als EnsembleChef. Sauberer Groove, schicke Soli, solide Arrangements - das Live-Publikum der BBC-Radio 3-Sendung "Jazz Now" spendete nicht ohne Grund Szenenapplaus. 4 Vom Szenenapplaus zum Szenenwechsel: die in Deutschland geborene Saxophonistin und Komponistin CHARLOTTE GREVE lebt mittlerweile in Brooklyn, hat für ihre CD "Sediments We Move" (New Amsterdam/figureight) aber den Berliner CANTUS DOMUS-Chor neben ihre mit Gitarre, Bass & drums quasi klassisch "Rock"-besetzte Hausband WOOD RIVER gestellt. In diesem interessanten setting erklingt eine 6teilige Suite aus leuchtenden ChörHöhen und dunklen InstrumentalTiefen, aus dezenter Avantgarde und rock-orientierter SchlagzeugArbeit, beinahe sowas wie die Melange aus einer Phil-Glass-Oper und New Yorker KellerJazzRock. 3 Eher in Richtung esoterischer Weltmusik leuchtet CHABUKA AMIRANASHVILI das JazzLand aus. "Mystic Of The Horizon" (MemoMusic) enthält bei "Svani" einige Themen, die auch als Musik zu einem georgischen Film dienten, wobei fast jedes der 11 Stücke das Zeug zum FilmSoundtrack hätte. Der einer angesehenen Musikerdynastie entstammende Georgier schwelgt in romantischen PianoPhrasen und schön frickeligen PerkussionParts und hat auch einige zarte SynthAtmos zu bieten. Abgeschmeckt mit ein wenig Ethno und einer guten Prise SoftJazz gipfelt das Werk in einer kaukasischen FolkloreVertonung des Vaterunsers (hier von einem Kind gesprochen) mit majestätischen SynthieSounds und reichlich Pathos. 3 Deutlich handfester und auf den funky DanceFloor schielend ist der "Orbit" (Künstlerhafen) des Keyboarders LUTZ "Hammond" KRAJENSKI. Der hat sich seinen nom de guerre hart erarbeitet, schon mit 16 dudelte er sich zum "Europameister an der Wersi-Orgel" (was es nicht alles gibt!). Etwas später drückte er für die von Mousse T mit Tom Jones gezündete "Sexbomb" die Tasten, ab 2005 war er sideman des SchlagerJazzers Roger Cicero. Wir können daher nur eingeschränkt überrascht sein, daß hier handwerklich perfekter, meistens aber auch etwas seelenloser SoulFunkPop im (sehr knappen) JazzKostüm kredenzt wird. Manchmal ist das so glatt poliert, dass man glaubt, das Stück seit Jahren zu kennen, etwa beim Sinead O’Connor-(nein, natürlich nicht!)-Plagiat "To Ease Your Pain", aber irgendwas muss ja auch in den noblen HochglanzClubs zur Unterhaltung der Broker, Banker und Bestimmer laufen. 3 Mit dem neuen Werk der Band THE NOUVE verlassen wir die JazzWelt für diesen Monat vollends. "Actually, Life Is Just A Metaphysical Exercise, Isn’t It?" (Nouve) ist ein sehr gelungener Titel unter dem das umtriebige Multitalent Robert Nouve eine dunkle Mixtur aus PopNoir, TripHop und GothicAmbient präsentiert. Dabei helfen diverse Gäste, u.a. Alison David, die Sängerin der Warp-DubJazz-D’n’B-Bande Red Snapper. Nicht alles ist perfekt, aber einige schöne Perlen findet man in diesem tiefen See durchaus. 3 Was wäre, wenn sich der berühmt-berüchtigte (im Original übrigens stellenweise sehr zu unrecht verlachte) "lyrische Rock" der DDR ins Hier und Heute gerettet hätte? Könnte der düstere BarockPop von WERCKMEISTER die JetztZeit-Version davon sein? Oder ist sind die Wiener, die ich vor dem Hören von "Kairos" (Werk Music) voller Vorfreude mit der gleichnamigen FreeJazzImproTruppe um Carl Ludwig Hübsch und Philip Zoubek verwechselt habe, die auf archetypisch-österreichische Weise degenerierte Version einer Tom Liwa/Wolf Mahn-Kreuzung? Voller strengem Pathos, aber auch mit einem gewissen Geheimnis; voller Klischee, aber mit Momenten genialen Wahnsinns. Schwülstige Brachialität, die manche hassen, viele aber auch mögen werden. 3 Und weil die Tage stürmischer, kälter und dunkler werden, verabschiede ich mich mit etwas Pariser Leichtigkeit: "Bonne Nouvelle" (Fais & Ris) heißt das neue Album der (schnurr)bärtigen FolkPopVirtuosen von LES YEUX D’LA TETE. 12 leichtfüßige Stücke feinster FrankoStraßenMusik, mit (meist) französischen Texten und reichlich Akkordeon, perlenden Gitarrenmelodien, swingendem TanzBeat und leicht verschmutztem FolkChansonCharme. "Laisse-Moi Chanter", am besten "Sous la canopée"! 4
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