
Mit "Cosplay" laden uns Sorry ein zum Maskenball. Zwischen unbändiger Kreativität und seinem geradezu legendären Eigensinn schlüpft das Londoner Quintett auf seinem bemerkenswert waghalsigen dritten Album von Lied zu Lied in andere Rollen und zapft immer wieder neue Inspirationsquellen an, bis am Ende daraus ein beeindruckendes klangliches Kaleidoskop entsteht, das mit Schlagwörtern wie Indierock, Post-Punk oder Trip-Hop nur ansatzweise umrissen ist. Schon im November gastieren Sorry mit kleinem Besteck für ein Freikonzert in Berlin, im März machen sie dann für ein Konzert im Lido erneut in der Hauptstadt Station.
"Ich habe die Musik schon immer geliebt", sagt Asha Lorenz, Gitarristin und Sängerin von Sorry, im Westzeit-Interview. "Sie ist eine Chance für mich, Menschen zu verstehen und mich selbst auszudrücken. Für mich ist die Musik der beste Weg, mit Menschen in Verbindung zu treten, denn sie ist die Form des Ausdrucks, die mir am leichtesten fällt."Asha vergleicht das Musikmachen mit dem Anprobieren von neuen Klamotten, und genauso wie neue Kleidung für ein neues Selbst(bewusstsein) sorgen kann, ist auch das neue Werk von Sorry ein Album geworden, auf dem sich die Band neu definiert und sich jede erdenkliche künstlerische Freiheit gönnt, um stets quirlig, gerne aber auch auch etwas schrullig eigene Wege zu gehen. Geplant war das allerdings nur bedingt. Der äußerst passende Albumtitel "Cosplay" war keineswegs ein konzeptioneller Richtungsweiser von Anfang an, sondern wurde erst ausgewählt, als die neue Platte praktisch schon fertig war.
"Wir haben dieses Mal sehr viele unterschiedliche Songs geschrieben", erklärt Asha. "Wir haben auch viele Lieder mehrfach aufgenommen, und ich war lange Zeit ziemlich unglücklich, weil ich nicht herausfinden konnte, was eigentlich los war. Mit der Zeit kam dann allerdings ans Licht, dass der rote Faden die Tatsache war, dass alle Songs unterschiedlich waren!"
Der Albumtitel dient dabei gewissermaßen als sinnstiftendes Element, eine Klammer, die alles zusammenhält. "Cosplay" wird so zu einem Spiel mit verschiedenen Rollen und Identitäten, bei dem nichts in vorgefestigte Formen gegossen wird. Allein die Ideen und Emotionen geben die Richtung für die klangliche Ausgestaltung der einzelnen Lieder vor. Alles kann und nichts muss in diesem Spielzimmer für popkulturelle Geister – und das nicht nur bei der ersten Single "Echoes", mit der uns Sorry in die Echokammer mitnehmen, in der Realität und Fiktion verschwimmen.
Aus Loops, Field Recordings, althergebrachten Drumsounds und Klangfetzen bauen sich Sorry ihre ebenso bunte wie schräge Welt zusammen und zeigen mit Tracks wie "Love Posture", wie ernst es ihnen mit der Idee ist, freigeistig und kompromisslos zu Werke zu gehen: Der Weg von der Störgeräusche-Ballade zum heimlichen Pop-Hit ist hier ganz kurz.
Auch, aber nicht nur weil bei "Jetplane" Guided By Voices gesampelt werden, zeichnen sich die Songs durch eine bisweilen ungenierte Zitatfreude aus – und das ist durchaus gewollt. Die Enttäuschung über vieles, was derzeit nicht nur in der Londoner Musikszene vor sich geht, wies ihnen dabei den Weg.
"Ich habe das Gefühl, dass viele Leute sich ein bisschen verloren fühlen und sich deshalb damit begnügen, andere zu kopieren", sagt Asha. "Ich dagegen wollte Dinge so offensichtlich kopieren, dass das Nachahmen zu einer neuen Kunstform wird."
Die ebenso simple wie brillante Idee dahinter: Die ursprüngliche Definition, die Ausprägung von Pop ist inzwischen so sehr verwässert, dass man sie bedenkenlos in neue Zusammenhänge bringen kann.
Doch auch wenn Sorry mit diesem Album vom ersten Ton an neue Wege gehen, vergessen sie darüber doch ihre Vergangenheit nicht vollends. Wenn sie zwischen gut getimten Anspielungen, cleveren Zitaten und falschen Fährten neuen Herausforderungen auf der Spur sind, verfolgen sie mit anderen Mitteln letztlich doch das weiter, was bereits ihr Debüt "925" vor fünf Jahren und 2023 der Nachfolger "Anywhere But Here" ausgezeichnet hatte. Trotz aller Veränderungen haben Sorry – einst von Asha gemeinsam mit ihrem ehemaligen Mitschüler und besten Freund Louis O'Bryen aus der Taufe gehoben und inzwischen durch Lincoln Barrett, Campbell Baum und Marco Pini erweitert – so die Essenz ihrer Band fest im Blick.
"Das war uns sehr wichtig", verrät Asha. "Ich mag alte Musik, und selbst wenn wir bestimmte Sachen mehrfach aufgenommen und später zusammengefügt haben, war uns wichtig, den handwerklichen Aspekt zu betonen. Obwohl eine der Songs Pop-Ideen folgen, sind sie in ihrer Form immer noch sehr abstrakt. Das war keine bewusste Entscheidung, das ist einfach die Art Musik, die wir machen. Es war nicht so, dass wir auf etwas Bestimmtes abgezielt hätten."
Das gilt ein Stück weit auch für die Texte, die nicht von ungefähr oft betont kryptisch sind. Übrigens nicht nur für das Publikum, sondern zumindest zu Beginn bisweilen auch für Asha selbst. Schriftsteller, Filme, Songs und Popkultur – auch textlich ist alles erlaubt, was Asha in den Sinn kommt, um mit vagen Worten am Ende doch viel zu sagen zum alltäglichen postmodernen Irrsinn und zusammenbrechenden zwischenmenschlichen Beziehungen.
"Das Schreiben von Songtexten ermöglicht es mir, das zu verarbeiten, was in meinem Kopf vorgeht, sei es etwas aus meinem Leben oder etwas, das ich durch die Dinge verstehe, die ich lese", gesteht sie. "Für mich ist das wie ein Tagtraum. Vielleicht ist es etwas, worüber ich nachgedacht habe, oder eine Idee, die in mir keimt. Vielleicht bin ich unterwegs und jemand sagt etwas, das wie eine Sammlung kleinerer Farbtöne plötzlich alle Farben zum Vorschein bringt."
Aktuelles Album: Cosplay (Domino / GoodToGo) VÖ. 07.11.
Weitere Infos: https://sorryband.co.uk/

