interviews kunst cartoon konserven liesmich.txt filmriss dvd cruiser live reviews stripshow lottofoon

JUST MUSTARD

Mehr Euphorie!

JUST MUSTARD

Just Mustard wissen, wie es geht: Auf seinem inzwischen dritten Album, "WE WERE JUST HERE", hat das Quintett aus Irland keine Mühe, den Sweetspot zwischen einem expansiven Sound im Dunstkreis von Noise-Rock/Shoegaze/Dream-Pop und beeindruckender Intimität zu treffen und dabei die düstere Stimmung des Vorgängers "Heart Under" gegen den Wunsch einzutauschen, die Welt in einem positiveren Licht zu sehen und in ein Gefühl der Euphorie einzutauchen.

Fragt man Just Mustard, was rückblickend die größten "Wow"-Momente ihrer inzwischen rund zehnjährigen Karriere waren, muss Gitarrist/Sänger David Noonan nicht lange überlegen. "Mit The Cure in Südamerika unterwegs zu sein – das hat sich einfach nicht real angefühlt", gesteht er mit Blick auf die 2023er-Konzerte, bei denen Just Mustard als Support für The Cure in ganz Lateinamerika aufgetreten sind. "Das war komplett surreal, denn es würde ja niemand auf die Idee kommen zu sagen: 'Oh ja, das würde ich gerne mal machen!' Ich wollte immer schon mal nach Südamerika, aber ich hätte nie gedacht, dass wir dort Konzerte würden spielen können, und dann noch mit The Cure! Allein The Cure jeden Abend dort zu sehen, hatte etwas von: 'Wie konnte das nur passieren?'" – "Der jüngste dieser Momente war für mich unser Konzert in New York vor einigen Tagen", ergänzt Sängerin Katie Ball. "Mir ging durch den Kopf, wie verrückt das ist: Ich trete in New York auf und es sind tatsächlich Leute da, die das sehen wollen! Das kam mir vor allem so verrückt vor, weil ich mich sehr für amerikanische Bands interessiert habe, als ich jünger war, obwohl ich damals nie auf die Idee gekommen wäre, dass ich selbst mal vor Publikum in den USA auftreten würde."

Wir treffen die beiden in einem Café in Berlin-Kreuzberg, wo sie der deutschen Presse die Hintergründe ihres neuen Albums "WE WERE JUST HERE" erklären, bevor sie am Abend ein umjubeltes Konzert im restlos ausverkauften Privatclub geben werden (2026 stehen dann Headline-Auftritte in Köln und Hamburg sowie in Berlin erneut Supportshows für The Cure an).

Eigentlich könnte sich die Band aus dem 40.000-Einwohner-Städtchen Dundalk im Nordosten Irlands längst leisten, größere Töne zu spucken, aber die sympathische Bescheidenheit, die Ball und Noonan bei unserem Treffen ausstrahlen, ist gewissermaßen das heimliche Erfolgsrezept Just Mustards. Denn hochtrabende Ziele hat sich die Band, die 2018 mit der LP "Wednesday" debütierte, nie gesetzt. "Wenn du mich vor zehn Jahren gefragt hättest, wo ich mich heute sehe, dann hätte ich vermutlich gesagt: In einem Büro", sagt Ball lachend. "Ich bin sehr glücklich darüber, dass wir die Chance haben, zu reisen, aufzutreten und Leute zu haben, die uns zuhören." – "Wir haben nie große Erwartungen gehabt", sagt auch Noonan. "Natürlich muss man schon einen Antrieb haben, um etwas auf die Beine zu stellen, aber wir haben uns nie gesagt: Zu diesem oder jenem Zeitpunkt müssen wir dies und das erreicht haben und diese oder jene Erfolge eingefahren haben. Unsere Definition von Erfolg ist, dass wir Musik machen, die wir selbst mögen."

In Zeiten, in denen man bisweilen das Gefühl haben muss, dass bestimmte Bands mehr Zeit auf ihren Karriereplan als auf die Musik verwenden, ist allein das schon bemerkenswert. "Uns hat kürzlich jemand gesagt: Die meisten Bands nehmen sich selbst sehr wichtig, aber nicht ihre Musik", erinnert sich Ball. "Bei uns ist das umgekehrt: Wir nehmen uns nicht so ernst, aber dafür die Musik umso ernster."

Das kann man nun auch dem neuen Album anhören. Die Unsicherheit und die Distanz, die zuvor allgegenwärtig waren, tauschen Ball, Noonan, Gitarrist Mete Kalyoncuoglu, Bassist Robert Hodgers Clarke und Schlagzeuger Shane Maguire auf "WE WERE JUST HERE" gegen spürbar mehr Direktheit und einen ungefilterten Ausdruck ihrer künstlerischen Ambitionen ein, und auch inhaltlich weicht die düstere, von Trauer durchzogene Stimmung des 2022 erschienenen Vorgängers "Heart Under" dem Wunsch, nach dem Glück zu streben.

Tatsächlich war es der Band wichtig, dieses Mal Songs zu schreiben, die auf der Bühne lebendiger klingen, die druckvoller und direkter sind – eine Reaktion darauf, dass sich die Songs der letzten LP vor allem durch bedrückende Schwere ausgezeichnet hatten. Eine Kehrtwende, die der Band anfangs nicht ganz leichtgefallen ist, wie Ball zugibt: "Es gab eine Übergangphase, in der wir Songs geschrieben haben, die stilistisch eher auf 'Heart Under' gepasst hätten. Die haben wir dann verworfen", erinnert sich die Sängerin. "Dann allerdings schrieben wir 'Endless Deathless' und 'POLLYANNA' – und da war klar: das ist die Richtung, die wir weiterverfolgen wollen. Deshalb haben wir uns danach darauf konzentriert, Lieder zu schreiben, die zu diesen beiden passen." Noonan fügt hinzu: "Wenn es um die Frage geht, ob es uns leichtgefallen ist, den Hebel umzulegen: Manchmal kann es auch hinderlich sein, etwas Bestimmtes im Kopf zu haben, was du erreichen willst. Dann musst du einfach so lange Songs schreiben, bis sich das, was du haben willst, herausschält. Dann hast du einen Referenzpunkt, aber davor kann es passieren, dass du dich selbst blockierst."

Der Wunsch, sich neuen Herausforderungen zu stellen, ist im rhythmischen Drive von Songs wie dem bereits erwähnten "POLLYANNA" oder dem spürbar von My Bloody Valentine inspirierten "That I Might Not See" unüberhörbar, ohne dass deshalb die klanglichen Markenzeichen verlorengehen, die Just Mustard in der Vergangenheit ausgezeichnet hatten, oder wie Ball es ausdrückt: "Wir wollten ähnliche Werkzeuge benutzen, aber es war uns wichtig, dass die Songs melodischer sind. Die Melodien sind das, was sich für mich am stärksten verändert hat." Noonan führt aus: "Wir haben uns gesagt: Ganz egal, welche Stimmung die Musik hat, die wir machen – lasst uns das auf die Spitze treiben, anstatt auf eine betont homogene Stimmung abzuzielen. Sobald wir einen Text hatten, haben wir alles daran gesetzt, die dort ausgedrückten Gefühle auch klanglich voranzutreiben. Die Emotionen der Texte haben so die Richtung der Musik vorgegeben."

Damit verkehrte die Band ihre bisherige Arbeitsweise, bei der die Musik stets am Anfang gestanden hatte, ins Gegenteil, um – wie sie es an anderer Stelle bereits so treffend beschrieben hat - die eigenen Regeln zu verlernen. "Es ist uns allerdings nicht darum gegangen, alles aus dem Fenster zu werfen, was wir zuvor gemacht haben", unterstreicht Noonan. "Wir haben versucht, das beizubehalten, was funktioniert hat, aber alles abzulegen, was nicht so gut funktioniert hat."

Genau das hat auch zur Folge, dass Balls Gesang, zuvor oft unter dem effektlastigen Wall of Sound der Band begraben und bisweilen eher ein zusätzliches Instrument als ein Mittel, Inhalt in Form von Texten zu transportieren, jetzt viel stärker im Vordergrund, ja, im Mittelpunkt steht. "Weil wir viel Gewicht auf das Songwriting gelegt haben, wollten wir, dass sich der Gesang nicht nur um die Instrumentals schlängelt", erklärt Ball. "Zuvor haben wir Sachen geschrieben, die sich wie elektronische Musik eher an klanglichen Texturen orientieren, dieses Mal ging es uns ganz klar um Songs. Gleichzeitig war es mir auch textlich ein Bedürfnis, Texte zu schreiben, die optimistischer und nicht so in sich gekehrt sind."

Tatsächlich stellen Just Mustard das Bedürfnis nach menschlicher Verbindung, nach zwischenmenschlicher Nähe, nun deutlicher in den Fokus. "Für 'Heart Under' entstanden meine Texte aus dem Gefühl heraus, vollkommen den Anschluss verloren zu haben. Dieses Mal waren sie durch den Wunsch gekennzeichnet, wieder nach einer Verbindung suchen zu wollen. Ich versuche allerdings, beim Schreiben der Texte nicht zu viel nachzudenken, denn wenn ich das tue, komme ich schnell an den Punkt, an dem ich denke: 'Sag das besser nicht so, sondern anders', und damit wäre es für mich nicht mehr so wahr und echt."

Das führt dazu, dass Ball bisweilen die Letzte ist, die erkennt, worum es in ihren Lyrics wirklich geht: "Bisweilen schreibe ich Texte und habe keinen Schimmer, worum sie sich drehen, weil ich einfach nur einem Gefühl nacheifere", gesteht sie. "Aber alle Leute um mich herum sagen: 'Ist doch sonnenklar, warum es geht! Für uns ergibt das alles Sinn.' Mir dagegen wird oft erst Jahre später klar, was ich wirklich gemeint habe."

Die veränderte Herangehensweise führte auch dazu, dass die Band dieses Mal oft deutlich schneller zu Ergebnissen kommt als zuvor. "In der Vergangenheit war es oft so, dass wir einen ganzen Monat an einer Idee gefeilt haben, nur um am Ende zu dem zurückzukehren, was wir schon am ersten Tag hatten", erinnert sich Noonan. "Dieses Mal haben wir uns gesagt: 'Lasst uns nicht all die anderen Pfade verfolgen, lasst uns nicht zu viel nachdenken und uns damit selbst im Weg stehen.' Die besten Ideen fallen dir in den Schoß. Sie existieren gewissermaßen schon, bevor dir bewusst wird, dass die existieren."

Eines wird sich dagegen auch in Zukunft nicht ändern. Live werden Just Mustards sich auch weiterhin ganz in den Dienst der Musik, der Songs stellen und auf das, was immer mehr Künstlerinnen und Künstler als notwendige Showelemente und Publikumsanimationen betrachten, verzichten. Dass sie damit gegen gängige Trends schwimmen, ist Ball durchaus bewusst: "Oft kommen Leute nach den Konzerten zu uns und fragen: 'Habt ihr auf der Bühne eigentlich Spaß?', verrät sie. "Ja, das haben wir, auch wenn es vielleicht nicht so aussieht. Ich mache einfach das, was sich für mich natürlich anfühlt. Stell dir bloß einmal vor, ich würde all unsere Songs mit einem breiten Grinsen im Gesicht singen! Das wäre doch total unheimlich!"



Aktuelles Album: WE WERE JUST HERE (Partisan/PIAS/Rough Trade)



Weitere Infos: https://justmustard.ie/ Foto: Conor Jamesigh


November 2025
JERRY LEGER
JUST MUSTARD
LUVCAT
MARIA ISKARIOT
MARLA MOYA
SORRY
THE BARR BROTHERS
‹‹Oktober