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THE BARR BROTHERS

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THE BARR BROTHERS

"Let It Hiss" haben The Barr Brothers ihr neues, inzwischen viertes Album genannt. Die titelgebenden Störgeräusche spielen nicht nur auf die naturbelassene Qualität der Aufnahmen an, sondern auch darauf, dass diese Platte keine leichte war für die in Kanada heimische Progressive-Folk-Band um Sänger und Gitarrist Brad und Schlagzeuger Andrew Barr. So dokumentiert "Let It Hiss" den Schmerz und die Versöhnung zweier Brüder, die ihren Rhythmus verlieren mussten, um ihn wiederzufinden. Im November sind The Barr Brothers zudem als Support von Mumford & Sons auch in Deutschland zu sehen, im April 2026 folgt die eigene deutschlandweite Headline-Tour.

Eingespielt mit Unterstützung einiger "famous friends" wie Jim James von My Morning Jacket und Elizabeth Powell von Land Of Talk, hört man dem neuen Barr-Brothers-Album seine komplizierte Entstehungsgeschichte nur bedingt an, wenn die Band zwischen ihrer ureigenen Version eines progressiven Folk-Sounds und einem Blick über den Tellerrand Liebe, Vertrauen und Brüderlichkeit unter die Lupe nimmt.

Seit Langem im kanadischen Montreal daheim, aber mit amerikanischen Wurzeln in Providence, Rhode Island, fielen die Brüder Brad und Andrew gemeinsam mit ihren Mitstreiterinnen und Mistreitern schon früh durch ihre scheuklappenlose Herangehensweise und ihre Liebe zu Folk, Blues und Weltmusik wie auch durch ihren Hang zu ungewöhnlicher Instrumentierung. Eine Pedal Steel gehörte nämlich oft genauso zum Inventar wie eine Harfe. Nach ihrem vor rund 15 Jahren erschienenen selbstbetitelten Erstling war es 2014 der Nachfolger "Sleeping Operator", der den Barr Brothers eine Nominierung für den wichtigsten kanadischen Musikpreis JUNO und ausgiebige Tourneen auch in Europa bescherte. Die Musik war für Brad dabei so etwas wie ein Stimmungsbarometer.

"Sie ist ein großartiger Gradmesser dafür, wie es mir persönlich geht", gesteht er im WESTZEIT-Interview. "Vor allem Konzerte sind ein echter Maßstab dafür, wie gut es mir spirituell geht – ob ich mich auf die Bühne stellen und ein Konzert geben kann und dann wieder in Frieden gehen kann. Das ist eine großartige Möglichkeit, anhand meiner Beziehung zur Musik und zum Performen einzuschätzen, wo ich gerade stehe."

Auch das nächste Album, "Queen Of The Breakers" von 2017, führte die Band gleich mehrfach über den Atlantik, bevor Soloaktivitäten in den Mittelpunkt rückten – nicht zuletzt auch, weil es menschlich kriselte.

"Ich musste mich spirituell neu orientieren, um das neue Album fertigzustellen", sagt Brad selbstkritisch über "Let It Hiss". "Das macht diese Platte für mich noch bedeutungsvoller, weil ich sehe, dass es nicht möglich gewesen wäre, wenn ich nicht an mir selbst gearbeitet hätte. Ich musste verstehen, was ich tat, wie ich mich verhielt, wie ich mit Musik und den Menschen um mich herum umging, und ich musste Maßnahmen ergreifen, um mein Privatleben ins Gleichgewicht zu bringen, um dieses Album fertigzustellen."

Entstanden ist dabei eine Platte, die an viele alte Barr-Brothers-Markenzeichen anknüpft, gleichzeitig aber auch den Blick über den Tellerrand wagt, wenn Brad und Andrew mit einigen Tracks zu ihren Wurzeln in der Avant-Rock-Band The Slip zurückkehren. Für Brad war diese Herangehensweise ganz natürlich.

"Alle Alben, die wir mit den Barr Brothers gemacht haben, hatten eine ziemlich große Bandbreite in Sachen Dynamik, von wirklich chilligen Akustiksongs bis hin zu sehr heavy Stücken, von synkopierten Polyrhythmen bis hin zu sehr geradlinigem Rock'n'Roll", sagt er. "Deshalb habe ich erwartet, dass auch dieses Album eine solche Bandbreite haben würde, aber wie die Songs konkret klingen würden, wurde einfach durch den Entstehungsprozess bestimmt, und am Ende ist dabei das befriedigendste Album entstanden, das ich je gemacht habe."

Tatsächlich zeichnet sich die im Band-eigenen Studio eingespielte Platte nicht zuletzt dadurch aus, dass sie für heutige Verhältnisse ungewohnt naturbelassen ist – ohne Autokorrekturen, Autotuning oder Beatmapping.

"Wir haben beschlossen, die Aufnahmen einfach so zu lassen, wie sie sind, und den Klang so zu belassen, wie er in unserem Raum klingt, und alle Fehler einfach drin zu lassen", erklärt Brad. "Das ist die Idee, aus der der Titel 'Let It Hiss' entstanden ist. Es ging darum, einfach wir selbst zu sein und unser Leben nicht noch komplizierter zu machen, als es ohnehin schon ist. Schließlich sind wir Menschen, die Kinder und Familie haben und versuchen, ihren Lebensunterhalt zu verdienen."

Auch textlich arbeitet sich Brad durch den persönlichen Transformationsprozess, der die Entstehung der Platte begleitet hatte – ohne allerdings zu konkret zu werden.

"Ich hoffe darauf, dass etwas Unbewusstes zum Vorschein kommt. Das ist mein erster Ansatz", sagt er über sein Credo als Texter. "Ich möchte mich von der Musik mitreißen lassen, ich möchte mich ganz auf die Gitarre oder das Klavier konzentrieren, und hoffe, dass dann unbewusst textlich etwas entsteht, das verständlich, fesselnd, poetisch oder ehrlich genug ist, um es weiter zu verfolgen. Ich bin viel mehr ein Schüler der Musik als der Poesie, und daher habe ich das Gefühl, dass ich bei Texten einfach oft Glück habe."

Apropos Glück: Allein, dass "Let It Hiss" überhaupt entstehen konnte, dass diese Songs die Ziellinie erreicht haben, wertet Brad bereits als kleinen Triumph, wenngleich es auch noch ein bisschen mehr sein dürfte. "Natürlich wäre es wunderbar, wenn diese Platte zum Album des Jahrzehnts würde und in der Rock'n'Roll-Hall of Fame verewigt würde, aber ich erwarte das natürlich nicht", sagt er bescheiden. "Wenn wir einfach kreativ bleiben, Begeisterung spüren für die Musik, die wir machen, dann ist das schon eine Art Erfolg. Es wird sich alles zum Guten wenden. Auch wenn es vielleicht nicht die Wendungen sind, von denen wir geträumt haben, als wir 16 Jahre alt waren, können wir doch glücklich sein."

Aktuelles Album: Let It Hiss (Secret City Records / Cargo)


Weitere Infos: www.thebarrbrothers.com Foto: Lauren Kallen

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