
Chaos, Wut und Verzweiflung: Auf den Schultern der She-Punks der 70er und der Riot Grrrls der 90er werfen sich Maria Iskariot auf ihrem explosiven Debütalbum mit so viel Wucht in ihre Musik, dass man die niederländischen Texte des aus Gent stammenden Quartetts gar nicht verstehen muss, um sich von diesen Songs zwischen jugendlicher Unbekümmertheit und klarer Haltung mitreißen zu lassen.
"Maria Iskariot is the patron saint of questionable behavior. It's semi-adult female punk rock from Belgium. Hopeful hopelessness in noisy verse, chorus, verse" heißt es auch im als Manifest taugenden Pressetext der Band, und genau das setzen Helena Cazaerck (Gitarre, Gesang), Loeke Vanhoutteghem (Gitarre), Sybe Versluys (Schlagzeug) und Amanda Barbosa (Bass) nun auch auf ihrem Debütalbum in die Tat um.Den Anfang nahm die Band ursprünglich als Soloprojekt von Helena.
"Für mich hat Musik schon immer eine große Rolle in meinem Leben gespielt", verrät sie im WESTZEIT-Interview vor dem Konzert im Oberhausener Druckluft. "Ich habe schon von klein auf Musik gehört und bin schließlich in einen Freundeskreis mit vielen Musikerinnen und Musikern geraten, die alle in Bands spielten. Wir trafen uns abends, sie spielten Songs auf der Gitarre und sangen, und ich dachte mir: 'Verdammt, das will ich auch machen können! Ich will da mitmachen!' Also fing ich an, meine eigene Musik zu machen, zuerst allein und später dann mit der Band."
Rückblickend betrachtet war die Anfang 2024 noch mit anderen Mitstreitern entstandene EP "EN/EN" trotz viel positiver Resonanz kaum mehr als ein erster Schritt für Helena. Auf "Wereldwaan" ist dagegen die unbändige Wucht der Live-Konzerte von Maria Iskariot und die unwiderstehliche Banddynamik der vier vom ersten Ton an förmlich greifbar.
"Die EP war mein erster Versuch, etwas zu machen, das eine gewisse Identität schafft", verrät Helena. "Ich wollte etwas machen, das punky ist, aber der Typ, der die Songs aufgenommen hat, wollte dem Ganzen auch seinen Stempel aufdrücken. Weil wir inzwischen so viel live spielen, haben wir nun einfach eine viel bessere Vorstellung davon, was wir als Band wollen. Ich persönlich habe auf dem Album meine eigene Identität und meinen eigenen Geschmack entwickeln können, und ich denke, das gilt für die anderen genauso."
Aufgenommen mit dem erklärten Steve-Albini-Fan Arjan Bogaert in dessen Barefoort Recording Studio, ist das Resultat ein Album, das absichtlich rauer und ungeschliffener klingt. Denn das Ziel der vier war es, mit "Wereldwaan" die Energie ihrer Konzerte auch im Studio so direkt und ungefiltert wie möglich einzufangen – und nicht der Versuchung zu erliegen, die Aufnahmen unnötig zu verwässern.
"Ganz häufig passiert es, dass Bands ein Album mit der Idee angehen, live im Studio aufzunehmen, aber dann kommt der Punkt, an dem es heißt: 'Vielleicht können wir ja hier doch noch etwas hinzufügen?' Sobald du damit anfängst, gibt es kein Zurück mehr", ist Sybe sicher. "Wir dagegen haben uns gesagt: 'Wir nehmen die Songs live auf, und was da ist, ist da!' Man kann immer noch ein wenig am Sound schrauben, aber es war uns wichtig, dass es keine zusätzlichen Parts gibt. Alles sollte seine ursprüngliche Form behalten."
"Wir haben uns wirklich an unseren Plan gehalten und keine Kompromisse zugelassen", bekräftigt Loeke. "Immer wenn wir das Gefühl hatten, dass wir einen Kompromiss machen könnten, haben wir uns dagegen entschieden."
Allerdings sollte man diese Art des Purismus nicht mit Eindimensionalität verwechseln. Maria Iskariot, das klingt bereits im Bandnamen an, lieben das Wechselspiel der Gegensätze. Deshalb ist "raw power" auf "Wereldwaan" ebenso wichtig wie emotionale Tiefe, Post-Punk-Dynamik genauso ein Mittel wie grungige Schroffheit und eruptives Schreien ebenso erlaubt wie ein leises Flüstern, um ein weiteres Mal den Walzer der Hoffnungslosigkeit zu tanzen.
Bei den mit ordentlich Weltschmerz aufgeladenen Texten steht derweil nicht immer das Sendungsbewusstsein an vorderster Stelle. Maria Iskariot sind die Ersten, die zugeben, dass auch sie keine Patentantworten auf all die Fragen bereithalten, die nicht nur junge Menschen derzeit schlecht schlafen lassen. Vielmehr geht es der Band darum, den Finger auf die Wunde zu legen, ohne zu predigen und Solidarität als Mittel gegen die allgemeine Verwirrung wahrzunehmen.
"Ich denke, es fühlt sich für mich immer dann am besten an, wenn ich etwas vermitteln möchte, das im Verborgenen in mir steckt, aber noch nicht konzeptualisiert worden ist", sagt Helena. "Anstatt also schon im Voraus zu wissen, worüber du schreiben wirst, öffnest du eine Tür, damit das Universum durch dich hindurchströmen kann. So entstehen meiner Meinung nach die besten Songs."
Und die Zukunft? Die wird erst einmal viele, viele Konzerte bringen. Im November sind Maria Iskariot beim Kontaktfeld-Festival in Bochum zu Gast, bevor sie im Februar des kommenden Jahres auf ihrer deutschlandweiten Headline-Tour wieder das machen, was sie am besten können: intensiv, ungestüm und mit einem Augenzwinkern jedes neugierige Publikum im Handumdrehen in echte Fans verwandeln. Das "riot" in Maria Iskariot kommt schließlich nicht von ungefähr.
Aktuelles Album: "Wereldwaan" (Burning Fik / Bertus)
Weitere Infos: https://mariaiskariot.com/ Foto: Tina Lewis-Herbots

