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JERRY LEGER

Eine eigene Welt

JERRY LEGER

„Waves Of Desire“ ist das mindestens 14. Album, dass der kanadische Songwriter Jerry Leger vorlegt. Im Rahmen seiner 20-jährigen Laufbahn als Recording Artist ist sich der Songwriter aus Toronto im wesentlichen zwar immer treu geblieben – hat aber immer wieder nach neuen Möglichkeiten gesucht, seinen Old-School-Americana-Mix ansprechend präsentieren zu können. Mal mit Live-Alben, mal unter Pseudonym, mal mit Tribute-Projekten und – wie in diesem Fall – mit Kollaborationen. Für das neue Album tat sich Jerry Leger nämlich nicht nur mit seiner Longtime-Band The Situation zusammen, sondern auch mit Suzan Köcher und Julian Müller (von Suzan Köcher’s Suprafon), die Jerry im Rahmen seiner ausgedehnten Tour-Tätigkeiten kennen und schätzen gelernt hatte. Zusammen mit Julian Müller produzierte Jerry das Album dann in den Kölner Maarwerg-Studios und legte es als klassisches Gitarrenpop-Album an. Den so entstandenen Soundmash nannte er dann – in Anlehnung an einen Songtitel seines Idols Nick Lowe „Pure Pop For Jerry People“. Der Titel des Albums „Waves Of Desire“ bezieht sich hingegen auf seine musikalischen Sehnsüchte, die ihn offensichtlich in Wellenform heimsuchen. 


Wenn man das Konzept einmal durchdenkt, dann bezieht sich Jerry Leger mit diesem Album – zumindest musikalisch – auf die besseren Zeiten der klassischen Gitarren-Pop-Musik der 70er Jahre. Ist da vielleicht auch ein bisschen Eskapismus im Spiel?

„Ich denke meine ganze Karriere ist letztlich eine Art von Eskapismus“, schmunzelt Jerry, „ich habe mich in dieser Hinsicht aber immer zeitgemäß gefühlt. Ich bin zwar von älteren Scheiben inspiriert, habe mich da aber immer auf meinem ganz eigenen Pfad bewegt. Es ist für mich nicht wichtig, jemanden anzulügen, nur um dadurch ein wenig populärer werden zu können. Ich möchte einfach mich präsentieren, so wie ich bin. Ich weiß ja, wer ich als Künstler bin und das habe ich die ganzen 20 Jahre über so verspürt. Ich habe mich natürlich verändert und weiterentwickelt – hatte aber immer diese Integrität und habe immer alles so gemacht, wie ich es machen wollte. Es klingt wie ein Klischee – aber ich bin mir immer treu geblieben. Das hat mich weitermachen lassen. Ich bin kein Superstar oder so etwas – aber die gibt es ja heute auch nicht mehr so viele, weil die Industrie sich so verändert hat. Ich möchte einfach gute Scheiben machen, auf die ich stolz sein kann. Manche meiner Scheiben sind Bestandsaufnahmen und manche – wie diese – sind handwerklich etwas ausgeformter. Wenn Du so willst ist das Eskapismus - denn ich wusste, was ich mit dieser Scheibe machen wollte – und sie sollte eben nicht, wie meine anderen Alben klingen.“

Was will uns denn das eher abstrakte Artwork des Albums sagen? Für gewöhnlich zieren Jerry’s Alben ja – mehr oder minder verfremdete – Fotos seiner selbst.

„Das Cover ist von der deutschen Künstlerin Celina Hoß aus Solingen. Ursprünglich wollte ich ein Postermotiv von einer Show in Solingen verwenden. Sie arbeitet aber viel mit Formen und Farben, die zuweilen psychedelisch ausfallen können. Ich mochte dieses Motiv und als ich dann das Album ‚Waves Of Desire‘ nannte – was die Wellen meiner musikalischen Sehnsüchte zum Ausdruck bringen sollte – und mir dieses Bild von Celine anschaute, fand ich, dass das die Wellen-Idee gut eingefangen wäre und ich mochte auch die Pop-Art-Aspekte der Arbeit – denn dieses Album sollte ja meine Idee von jener Art von Pop-Musik, die ich mag, verdeutlichen.“

Jerry sagt von sich selbst, dass seine Musik ziemlich tiefgehend sein kann und dass er sich nicht scheue, auch düstere Themen anzupacken. Gibt es denn einen erzählerischen roten Faden auf dem neuen Album? Geht es vielleicht um Erinnerungen? Oder den Lauf der Zeiten?

„Einiges hat sicher mit diesen Themen zu tun“, meint Jerry, „wir kommen ja alle irgendwann an den Punkt, wo gewisse Erinnerungen eine bestimmte Rolle spielen und auf uns zurückgeworfen werden. In meinem Fall sind das dann Songs aus der Perspektive eines 40-jährigen, der sich in dem Song ‚Willow Avenue‘ an Spaziergänge nach dem Essen mit seinem Vater in seiner Jugend erinnert. Es steckt da gewiss ein bestimmtes Gefühl der Nostalgie in solchen Sachen. Es gibt aber auch Songs wie ‚We‘re Living In This World’ in denen es um das Hintergrundrauschen unserer hektischen Welt geht, das man übertönen muss um als Musiker gehört zu werden. Und dann gibt es Herzschmerz-Songs, die ich immer schon geschrieben habe, denn ich bin ein großer Fan von Hank Williams und den Everly Brothers. Ich fühle mich zu solchen Songs und den Gefühlen, die sie auslösen hingezogen. Der Opener ‚Alcatraz’ hingegen zeigt mich, wie ich versuche, einen Girl-Group-Song im Stile von Goffin/King oder Shangri-Las zu schreiben. Klar hätten einige der Songs auch ihren Platz auf anderen Scheiben – aber ich wollte welche auswählen, die nette Hooklines und eine gewisse Eingängigkeit hatten. Julian Müller, mit dem ich das Album zusammen produziert habe, sagte zu mir: ‚Das ist ein Album voller Hits‘. Darauf hatte ich selbst gehofft und deswegen haben wir jeden Song so gut gemacht, wie möglich – und ihn so angelegt, dass er die nächste Single sein könnte."

Ist das Material dann gleich live im Studio eingespielt worden? So klingt es nämlich.

„Ja, so ziemlich“, bestätigt Jerry, „es gibt zwar einige Overdubs und Backup-Vocals und zusätzliche Perkussion-Einlagen. Das war nämlich auch etwas, was ich anders gemacht habe, als auf anderen Scheiben, denn ich wollte interessante Texturen auf dem Album haben.“

Julian Müller und Suzan Köcher waren ja – neben Jerry’s Band The Situation – an den Aufnahmen beteiligt?

„Ja, Suzan und ich haben zum Beispiel unsere Vocals live mit der Band aufgenommen. Sie hat auch Autoharp gespielt und Julian hat nicht nur produziert, sondern auch Gitarre gespielt. Das haben wir natürlich vorher ein wenig geprobt, so dass ich wusste, in welche Richtung die Arrangements gehen sollten. Gewisse Dinge muss man natürlich anpassen, aber im Grunde hatte ich eine Art Blaupause im Kopf. Meine Band und ich haben so lange zusammen gearbeitet, dass wir einfach auf die Aufnahmetaste drücken konnten ohne das vorher alles im Detail festlegen zu müssen."

Das Ergebnis ist eine Songsammlung, die schon beim ersten Anhören vertraut klingt, obwohl es sich um neue Stücke handelt. Jerry muss also sein Ziel, den Geist der Vergangenheit mit seinen eigenen Visionen zu verquicken erreicht haben.

„Ich bin froh, dass Du das sagst“, meint er, „denn als Künstler versucht man ja immer, seine eigene Welt zu erschaffen. Gute Künstler greifen da auf vorhandene Einflüsse zurück, machen aber ihr eigenes Ding daraus. Nimm Bob Dylan – der schafft es bis heute, seine Referenzen aus der Musik der 40er und 50er auf seine einzigartige Weise in seine Weltsicht einzubinden. Das hat auch Tom Waits gemacht. Es ist nichts Verwerfliches daran, sich auf Musik vor seiner eigenen Zeit zu beziehen."

Gibt es denn noch Wünsche, Träume oder Visionen, die Jerry als Künstler anstrebt?

„Oh ja – ich werde nicht aufhören zu träumen. Denn ich bin und war immer ein Träumer. Man muss so etwas haben, um sich zu motivieren. Zum Beispiel gibt es hier in Toronto ja die Massey Hall – so etwas wie unsere Royal Albert Hall. Ich würde dort gerne mal als Headliner mit meinem eigenen Material auf der Bühne stehen. Ich war zwar mal dort, aber als Teil eines größeren Projektes. Und wenn ich mal Nick Lowe aus dem Ruhestand holen könnte, würde ich ihn bitten, eine Scheibe für mich zu produzieren. Das sind dann die Tagträume, die ich gerne pflege.“

Im Anschluss an die Veröffentlichung des Albums geht Jerry Leger gleich auf Tour – auch in unseren Breiten.

Aktuelles Album: Waves Of Desire (DevilDuck)


Weitere Infos: https://jerryleger.com/ Foto: Katie Methot

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