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QUICKSILVER

V.A.

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Nachdem ich im letzten Monat die Motörhead-Best-of gefeiert und wirklich oft gehört habe (zum Glück haben wir hier keine lärmsensiblen Nachbarn!), hat sich das "Zimalla hört Metal"-Phänomen im November wiederholt. Und das, wo ich diesem Genre eigentlich nur wenig abgewinnen kann und auch nur über sehr begrenztes Fachwissen verfüge. Aber natürlich kennt man die Ruhrpott-Thrash-Metal-Legende SODOM. Deren mit viel Feingefühl "M-16"(BMG) tituliertes 2001er Album erscheint nun als "20th Anniversary Edition". Wie bei solchen Neuauflagen üblich, frisch "remastered" und inkl. zweier Bonus-Live-tracks vom W:O:A 2001, verpackt in einem festen Pappeinband voller Fotos und mit allen Songtexten. Man kann die martialische Optik und das FotoGepose albern finden (gleichwohl sich die Songs bei wohlwollendem Mitlesen der Texte durchaus wie intendiert als antimilitaristische statements verstehen lassen), aber ordentlich ballern tun die 11(+2) Brocken schon! Deshalb auch in diesem Monat ein kleines "Sorry" an Christina und Matthias von nebenan. 4
Schon viel länger (und mindestens genauso berechtigt) gilt HANNES WADER als deutsche MusikerLegende. Seiner sozialistischen Grundgesinnung wurde Wader nie untreu, auch wenn der Austritt aus der DKP 1991 sicher überfällig war. Auf jeden Fall hat Wader ein für bundesrepublikanische Verhältnisse ungewöhnliches, widerständiges und aufrechtes Leben geführt, über das er nun, mit beinahe 80 Jahren, ein Buch geschrieben hat. Aus diesem las er vor ausgesuchten Fans und Freunden, sich parallel dazu durch seine LiederBiografie singend, "an einem Spätsommerabend" in der Wassermühle in Bielefeld-Deppendorf. Die liegt fast in Sichtweite der Straße, in der Wader aufgewachsen ist und die tatsächlich "Poetenweg" (Stockfisch) heißt, genau wie jetzt die bei dem erwähnten Spätsommerabend aufgenommene LivePlatte. Die Lieder darauf reichen von "Krebsgeboren" und "Lehrzeit" über das von der Mutter gelernte "Wilde Schwäne", "Brüder zur Sonne zur Freiheit" (dessen Fehlen auf seiner "Hannes Wader singt Arbeiterlieder"-LP er sich im Nachhinein auch nicht so richtig erklären kann) und "Fahrende Sänger" bis zur unvermeidlichen Zugabe "Heute hier, morgen dort". Hier stimmt der abgedroschene Spruch von Oma einfach mal wirklich: so was wird heute gar nicht mehr hergestellt! 4
Wader ist ja auch ein großer Bewahrer des Plattdeutschen, womit wir eine wackelige Brücke zu "Witst noch dat d’r neat wie" (Makkum/Subroutine) vom The Ex-Gitarristen Arnold de Boer aka. ZEA gebaut hätten. Denn dort wird ausschließlich Friesisch gesungen - neben entsprechenden Gedichtvertonungen und selbst geschriebenen Liedern hören wir mit "Gean net by my wei" auch eine wirklich packende Fassung von Jacques Brels "Ne me quitte pas". Ich verstehe nichts von den Texten, zum Glück knausert man nicht bei Makkum, sondern verpackt die CD in einen oversize-PappBand, in dem in opulenter Inszenierung neben den friesischen Originalen auch Übertragungen in Nederlaands, Englisch und eine extra auf das jeweilige Lied abgestimmte dritte Sprache nachzulesen sind. Beim wirklich sensationellen "Fuort" ist das z.B. "Wuhan-Chinesisch", denn der zunächst nur aus Sprechgesang und einzelnen Gitarrenakkorden zusammengesetzte Song mit der rhythmischen Beschleunigung bei der hysterisch vorgetragenen Zeile "Kom jong wer wachtest op" (in etwa "Los Junge, wach auf!") befasst sich mit Corona. Anderes ist von beinahe Fripp’schen Saitenexperimenten unterlegt – so was konnte de Boer bei The Ex ja auch ausgiebig üben. 4
SYNNØVE BRØNDBO PLASSENs CD "Hjemve" (Heilo) trägt den schönen Untertitel "Slåttetralling fra Folldal" und vertraut ausschließlich auf die leuchtende JungmädchenStimme und etwas Stampfen/Klatschen/Klopfen. Jubilierende Lebensfreude, hinreißendes Klagen ("
Hjemve" ist ein Dialektwort für Heimweh) und skandinavisches Jodeln: was von manchem zunächst vielleicht belächelt werden mag, entfaltet eine immense Anziehungskraft und verzaubert mit Sicherheit auch jenseits des norwegischen Örtchens Folldal vielen den Tag! Einmal mehr versteht man natürlich kein Wort, leider sind auch im booklet (fast) alle Infos nur auf Norwegisch. 5
Aus dem hohen Norden ein Sprung nach Afrika: der kongolesisch-angolanische Sänger BATILA spielt auf "Tatamana" (Galileo) eine Mischung aus AfroBeat und etwas, das das Info schön als Bantu Soul bezeichnet. Flirrende Gitarren und swingende backing vocals; fantastische Rhythmen und Melodien, die zu recht "catchy" genannt werden dürfen – hier werden einmal mehr die traditionellen Wurzeln mit westlichen PopIdeen verknüpft. Nicht unbedingt neu, aber doch gelungen. 3
Und dann sind da auch noch eine Reihe von Wiederveröffentlichungen von (mehr oder minder großen) Schätzen aus den 80ern. Etwa das vierte (und letzte Studio-)Album von DUNKELZIFFER. Auf "Songs For Everyone" (Bureau B) hatten sich die Kölner vom NewWaveDub ab- und dem auch 1989 schon nicht mehr ganz taufrischen BarJazz mit LatinFlavour (Sade und Viktor Lazlo hatten diese Stilrichtung schon einige Jahre früher perfektioniert) zugewandt. Wobei: Songs wie "Illuminate" und "Friends" sind schon ziemlich prima. 4
"Endlich komplett betrunken" heißt die CD, auf der das Gesamtwerk der No Fun!-Band "BÄRCHEN UND DIE MILCHBUBIS" versammelt ist. Natürlich hat fast jeder (entsprechend Sozialisierte) in meiner Generation mal "Jung kaputt spart Altersheime" mitgebrüllt und die HomoHymne "Samen im Darm" gefeiert, aber anders als z.B. bei den Kollegen von Hans-A-Plast scheint mir diese Schnittmenge aus Punk und NDW 40 Jahre später nicht mehr wirklich relevant. 3
Ein tschechischer Gitarrist (Tom Dokoupil), ein Deutscher hinterm drum-set (Jürgen Beuth), ein singender Italiener (Angelo Galizia) und am Keyboard ein Kanadier (Mark Pfurtscheller): THE WIRTSCHAFTSWUNDER suchten höchst international besetzt als Genre-sprengendes KunstMusikProjekt in der Provinz (Limburg!) ihren Platz zwischen renitentem MinimalistenPunk, unterkühltem PopArt-AntiFunk und dadaistischer KlangKunst. Und fanden ihn, wie man jetzt anhand des re-editierten 1980er Zick-Zack-Debuts "Salmobray" (mit dem ewigen AntiHit "Völlegefühl") und und vor allem der Raritätensammlung "Preziosen & Profanes" (beide Bureau B) nochmal überprüfen kann. Gerade diese "Singles & Raritäten 1980–1981" bergen auch für mit der Band Vertraute noch Unbekanntes zwischen Hysterie und Genialität. 4
Wenn überhaupt irgendwo, kann man den Einfluß der so grandiosen wie von der Allgemeinheit unbeachtet gebliebenen UntergrundPop-Kapelle DIE ZIMMERMÄNNER im heutigen deutschen Pop noch am ehesten bei Carsten Friedrichs "Liga der gewöhnlichen Gentlemen" finden. Obwohl, die kommen eher vom Northern Soul, die Zimmermänner hingegen fabrizierten zumeist artifiziellen Pop im Sinne von A Certain Ratio, Japan, ABC oder Heaven 17 (so verschieden die jeweils auch wieder sein mögen) – egal, die liner notes zur Best-Of-Kopplung "Goldene Stunde (alle Hits 1980-2017)" (Tapete) schrieb Friedrichs trotzdem. Damit bekommen alle, die sich die ZickZack- bzw. Atatak-Originale aus den frühen 80ern nicht leisten können (oder wollen) und die 2014 die auch bei Tapete erschienene 5-CD-"hier ist wirklich alles drin"-Box mit dem schönen Titel "Die Wäscheleinen waren lang" verpasst haben, die Möglichkeit, einen der wenigen wirklich großen deutschen PopEntwürfe zumindest als Destillat zu erwerben. Timo Blunck lebte dort seinen bei Palais Schaumburg unerfüllt bleibenden Traum, der deutsche Brian Ferry zu sein genauso intensiv, wie der zweite (Haupt)Zimmermann Detlef Diederichsen Van Dyke Parks nacheiferte (die Vergleiche sind bei Friedrichs geklaut, aber besser kann man das ja kaum auf den Punkt bringen). Frühe Großtaten wie "Keiner ruft Cornelia an" und "Erwin, das tanzende Messer" stehen da neben SpätWerken wie "Christiane Paul" und "Paderborn" – fluffiger, ironischer und durch und durch "sophisticateder" Pop, von dem es viel mehr geben sollte. 5
Jetzt mal was für den Sessel: RICARDO DONOSO meint, in einer "Progress Trap" zu stecken. Kann ich nicht bestätigen. Denn zwar ist hier nichts wirklich überraschend, aber einfallslos ist diese SpielForm rhythmisierten Ambients keineswegs. 3
Etwas weniger prächtig, in einem Lavalampen-roten digipack aber immer noch sehr ansprechend verpackt ist der zweite ElektronikTraum. SIAVASH AMINI und SAFFRONKEIRA tauchen auf "The Faded Orbit" (beide Denovali) tiefer ins Dunkle. Der Teheraner Amini zeigte schon auf seinen Hallow-Ground-Platten eine Vorliebe für düster-bedrohliche soundscapes und der auf Sardinien geborene SynthesizerFan Eugenio Caria (aka. Saffronkeira) hat von seiner jüngsten Zusammenarbeit mit Paolo Fresu alles mögliche mitgenommen, nur nicht dessen leichte Süßlichkeit. 4
Zwischen zwitschernder Sinfonik und knisternder Elektroakustik bewegt sich GABRIEL PROKOFIEV mit dem Moskauer OPENSOUNDORCHESTRA. "Breaking Screens" erscheint tatsächlich bei "Melodiya", dem nach Jahren des Schweigens wiederbelebten sowjetischen Staatsbetrieb für Klassische Musik (sogar die CD-Bedruckung ist einem alten Melodiya-LP-Label nachempfunden). Opa Sergej durfte dort viele seiner Werke einspielen (lassen), sein in Hackney lebender Enkel reüssiert Jahrzehnte später mit einer sehr heterogenen CD. Da sind technoide ElektroTracks wie "Mobycrazy", sensible StreicherStücke wie "Memory Fields" und eine wunderbare StimmenVerschränkung und -Verschleifung namens "1, 2, 3, 4, 5, 6" (deren Anfang stark an die von mir enorm geschätzten "Knee Plays" aus der Glass-Oper "Einstein On The Beach" erinnert) – eine bunte musikalische Visitenkarte. 4
Die acht Stücke auf "Revolver" (Unsounds) wurden von KATE MOORE ursprünglich mal für eine Ken Unsworth-Tanzperformance entwickelt, funktionieren aber auch ohne Tanz als in sich geschlossene AkustikSuite. Sensibel, auch sentimental, lässt Moore hier Cello, Geige, Kontrabass, Harfe und Schlagwerk einander zärtlich umkreisen. Mal tutti, mal solo oder im DreiKlang – immer leicht somnambul und doch stringent. 4
Nach so viel StreichelEinheiten brauchen unsere Ohren noch etwas Schärfe. Die bietet TIMOTHEÉ QUOST reichlich. Denn der verbindet auf "Flatten The Curve" (Carton) O-Töne aus Seniorenheimen mit Neuer Kammermusik – also erinnerndes Murmeln und Erzählen, Krähengeschrei und Glockenläuten mit AvantQuietschen, ImproTröten und bedeutungsschwangeren Störgeräuschen. Eine Mischung, die krude anmutet, Musik-geworden aber erstaunlich gut funktioniert. 4
Komplett abstrakt sind die Erkenntnisse, die TOSHIMARU NAKAMURA seit nunmehr 20 Jahren seinem "No-Input Mixing Board" abringt. Inzwischen ist er bei Folge 10 angelangt: "Culvert - No-Input Mixing Board 10"(Room40) enthält 8 weitere Etüden, die sinnfällig NIMB#63 bis NIMB#70 numeriert sind. Aus Knacken, Knirschen und Rückkoppeln wird Sound, Rhythmus, Klang, Struktur. Sehr stark und übrigens auch live wirklich beeindruckend (ich meine den Mann mindestens zweimal im ausland zu Berlin erlebt zu haben)! 5
Iran sind keine Perser, sondern eine Band aus Italien, die für "Persis"(Aagoo) das Material ihrer letzten CD "Aemilia" von Elektronik-affinen Landsleuten umarbeiten ließ. Das Cover ist grafisch extrem gut gelungen, die wie eine kufische Schrift anmutenden Zeichen lösen sich nach und nach in "lateinische" Buchstaben auf. Im Innenteil des schmalen Kartons gingen dem Grafiker Marco Appiotti aber ein wenig die Ideen aus – neben ein stimmiges Wüstenfoto setzt er ganz konventionell tracklist und credits. Das ist aber nur im obersten Drittel "normal" lesbar, den Rest der Fläche füllt er mit einer simplen (doppelten) Spiegelung auf. Im 8-Seiten-Einleger werden Fotos kaleidoskopartig "geremixed", auch das haben wir schon besser gesehen. Aber Front- und BackCover sind wirklich genial. Ach ja, Musik gibt’s ja auch noch. Die tracks wurden - zumeist im Sinne eines avantgardistisch fortgeschriebenen PostRock-Gedankens - stark zerfasert und rekombiniert, restrukturiert, relativiert. Es wimmert, knistert, schwingt und dröhnt, das Hören strengt auf angenehme Weise an. Das Info zitiert Ayatollah Khomeini dazu wie folgt: "Musikhören ist erlaubt, solange es nicht zum persönlichen Vergnügen dient." (keine Ahnung, ob er das wirklich so gesagt hat, klingt aber stimmig). 4
Beim Hören von "All These Songs Of Love And Death" (Grabuge/Figures Libres/Araki) habe ich eine Weile überlegt, wann das war, daß etliche Bands Post- oder MathRock mit Gesang kombinierten. So Tortoise meets Shellac als Pavement? Denke, späte 90er, oder? War jedenfalls mal sehr en vogue und We Insist!-Trommler/Sänger Etienne Gaillochet, der hier solo als MULE JENNY unterwegs ist, hängt diesen Zeiten ohrenscheinlich nach. Den anfangs beinahe spektakulär zu nennenden drive hält das kleine Maultier zwar nicht auf die volle Distanz durch, aber über weite Strecken ist das hier wirklich grandios. 4
Und dann ist da noch ein Musiker, der auch allein eine ganze Band ist, nämlich Cristóbal Jimenez van Cauwelaert aka NOT A CITIZEN. Der lässt am Anfang von "13189"(Some Other Planet) erst mal einen Faxanruf durch das Hallgerät fiepen, bevor ein relaxter downbeat einsetzt. Dann wird’s ein wenig rockiger, wobei "Frogs" zum Ende hin ziemlich "jazzy" gerät. Die Liebste fragte, als die Platte lief, "Ist das neu?" Ich: "Ja, warum?" Sie: "Ist ja nicht schlecht. Gibt’s aber auch schon so viel von..." Da hat sie recht, auch den leicht rockenden TripHopBeat haben wir samt smoothem Porno-Sax so schon des öfteren gehört. Unterhaltsam ist "13189" trotzdem. 3
So, das war die mit Abstand längste Quicksilver-Kolumne, aber "online only" geht das schon mal so. (F)rohes Fest, liebe Gemeinde – bis nächstes Jahr!

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