
Steve Gunn ist ein Meister der Atmosphäre. Mit seinen oft federleicht anmutenden und doch tiefgründigen Songs findet der in Brooklyn heimische Singer/Songwriter seit rund zwei Jahrzehnten zwischen lyrischem Storytelling und brillantem Gitarrenspiel immer wieder faszinierend eigenständige Ausdrucksformen an der Schnittstelle von Folk, Psychedelia und in Richtung Jazz deutender Improvisation. "Daylight Daylight" heißt seine leise neue Großtat.
Steve Gunn, das wird bei unserem Gespräch schnell klar, ist Künstler mit Leib und Seele. Die Beschäftigung mit Musik wurde für ihn schon früh zur Lebensaufgabe - und ist für ihn auch mit Ende 40 immer noch alternativlos."Ich bin gar nicht darauf aus, so schnell wie möglich mein Meisterwerk zu schreiben", gestand Steve Gunn uns schon bei unserer letzten Begegnung vor einigen Jahren. "Für mich ist das Musikmachen eine Verpflichtung und eine lange Reise."
In der Tat macht der sympathische Amerikaner keine Musik, die laut und schrill um Aufmerksamkeit buhlt. Einst war er Gitarrist in Kurt Viles Violators und stand Folkie Meg Baird zu Seite, er kollaborierte mit Kim Gordon, Ryley Walker oder David Moore und war zuletzt neben Zoh Amba, Shazad Isamily und Jim White in der Jazz-affinen Supergroup Beings aktiv. Als Solist war der auch abseits von Bühne und Studio betont unaufgeregt wirkende Musiker zuletzt auf Alben wie seinem heimlichen Meisterwerk "The Unseen In Between" von 2019 oder "Other You" (2021) bewusst im Bandkontext unterwegs.
Auf seinem neuen Album, das auf dem Connaisseur-Label No Quarter veröffentlicht wird, widmet er sich dagegen der kunstvollen Reduktion und lässt zwischen Stille und Sanftheit viel Raum für grüblerische Reflexion. Weil er praktisch sein ganzes Leben lang Musik gemacht hat, ist ihm die Bedeutung des Spielens und Hörens als integraler Bestandteil seiner Persönlichkeit sehr bewusst - und auch deshalb war es nach drei Band-orientierten Alben für die ungleich ambitionierte Plattenfirma Matador nun Zeit für eine leichte Kurskorrektur.
"Ich hatte das Gefühl, das ich das volle Potenzial dessen, was ich mit einer kompletten Band im Rücken und auf einem größeren Label erreichen konnte, ausgeschöpft hatte", gesteht er im Gespräch mit der WESTZEIT. "Ich wollte zum Kern der Dinge zurückkehren - nur ich und die Gitarre."
Bei den Aufnahmen wollte Gunn etwas von der Intimität der Solo-Performances einfangen, mit denen er seit Jahren auch in Europa immer wieder auf der Bühne fasziniert. Eine Band im eigentlichen Sinne suchte er sich für die Aufnahmen zu "Daylight Daylight" deshalb nicht. Stattdessen gab er seinem langjährigen Kollaborateur/Produzenten/Seelenverwandten James Elkington freie Hand, seine fragilen Akustikgitarren-Demos behutsam und doch ungeheuer wirkungsvoll mit Streichern und Holzblasinstrumenten auszustaffieren und sie so bisweilen in den Dunstkreis der Frühwerke des unerreichten Nick Drake zu bugsieren. Fast nebenbei betont genau das auch die hypnotische Jenseitigkeit, die Gunns facettenreiche Musik schon immer ausgezeichnet hatte.
"Diese Sensibilität in der Musik zum Ausdruck zu bringen, repräsentiert mich und mein Tun", ist Gunn überzeugt. "Das geschieht ganz natürlich, ist aber gleichzeitig auch Absicht. Ich habe eine interessante Identität als Songwriter, weil ich nicht nur jemand sein möchte, der Songs spielt. Ich liebe das, aber ich möchte innerhalb dieser Struktur mehr Raum schaffen und ein Gefühl von Jenseitigkeit hervorrufen."
Auch wenn diese Qualität von Gunns Musik auf "Daylight Daylight" ob der Besinnung auf das klanglich Wesentliche besonders in den Fokus rückt: Neu ist das für ihn natürlich nur bedingt.
"Schon als Teenager habe ich mich zu dieser Art von Musik hingezogen gefühlt, und die Entdeckung dieser Jenseitigkeit war rückblickend gesehen ein Portal für mich. Die Klänge, die ich hörte, erweiterten meine Denkweise, meine Welt und mein Verständnis von musikalischem Ausdruck. Im Alter von etwa 18 bis 21, 22 Jahren entdeckte ich eine Menge Musik, die sich genre- und grenzenlos anfühlte. Ich entdeckte diese immense Freiheit, und ich habe das Gefühl, dass ich daran immer noch festhalte. Sie ist der Kern meiner Arbeit.”
Aktuelles Album: Daylight Daylight (No Quarter / Cargo)
Weitere Infos: https://www.steve-gunn.com/ Foto: NC Hernandez

