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ANNA WYDRA

"Das Leben ist nicht geradlinig"

ANNA WYDRA

Mit einem LP-Titel wie „Lonely Motherfucker“ bekäme man in den USA wohl echte Probleme. Zum Glück kommt die zwischen Hamburg und London balancierende Musikerin Anna Wydra aber nicht aus den Staaten und kann es sich somit leisten, die wohlklingende Profanität zum Thema ihres zweiten Albums zu machen. Dass der Titeltrack dann auch noch als Country-Nummer mit Hazelwood- und Morricone Flair daher kommt, während der Rest des Materials eher zwischen Indie-, New Wave- und Powerpop hin und her pendelt und am Ende gar in eher transzendente Klanggebilde mit psychedelischer Ambient-Note abdriftet, hat sowohl mit der stilistischen Ungebundenheit und den vielen musikalischen Vorlieben wie auch der sympathischen Konzeptlosigkeit und intuitiven Arbeitsweise der Künstlerin zu tun, die mit ihren Songs auch ihr offensichtlich turbulentes Leben kommentiert. Anna nannte das ganze mal „Melancholic Stray Cat Pop“ und veröffentlichte 2021 ihr Debüt-Album „The Absurdity Of Being“. Nach zwei Jahren Arbeit ist nun das zweite Album startbereit.

Was ist denn seither so alles passiert?

„Ja also zur Zeit bin ich in Hamburg“, berichtet Anna, „in den letzten drei Jahren habe ich ein bisschen Promotion gemacht und mich auch als Promoterin selbständig betätigt. Gleichzeitig habe ich aber auch meine Musik gemacht. Das war dann zu viel durcheinander und ich habe mich auf die Musik konzentriert und nebenher immer wieder Jobs angenommen. Gerade jetzt zur Winterzeit merke ich ja, dass die Auftritte immer weniger werden und alles ein bisschen unsicherer ist – deswegen mache ich irgend etwas nebenbei und überbrücke diese Zeit damit. Die letzte zwei Jahre habe ich an meinem Album gearbeitet – mit einer gewissen Unsicherheit dazwischen. Ich wusste an manchen Punkten nämlich gar nicht, ob ich das fertigstellen kann, weil irgendwas immer dazwischen gekommen ist.“


Nun ließe sich ja um besten Sinne sagen, dass man das dann auch alles auf dem neuen Album heraushören könnte, denn da geht es stilitisch ja ziemlich munter zu. Einige Sachen – wie das Klarinetten-Solo von Samantha Wright auf dem Song „Only I Know“, das Country-Arrangement des Titeltracks oder das Duett mit Max Freigeist in dem Folk-Song „Special One“ - verdienen dann noch besondere Aufmerksamkeit. Wie kommt man denn auf so etwas? Hat das damit zu tun, dass sich Anna eben als Pop-Künstlerin sieht?

„Ja“, bestätigt sie, „der Begriff ‚Pop-Musik‘ wäre für mich vielleicht vor 10 Jahren eine Beleidigung gewesen – aber ich finde ‚Pop-Musik‘ heute großartig. Das ist ein riesiger Begriff – und man kann da ja auch alles machen. Das finde ich auch so schön, weil es zu mir als Person passt, denn meine Musik spiegelt ja auch mein Leben und meine Verfassung wieder. Und das Leben ist halt nicht geradlinig.“

Wenn Anna sagt, dass die Musik ihr Leben widerspiegele, muss natürlich gefragt werden, was denn der Grund ist, dass sie überhaupt Musik macht?

„Musik hilft mir, Sachen aufzuschreiben“, führt Anna aus, „ich habe immer schon Tagebuch geschrieben und habe einen ganzen Stapel zu Hause rumliegen. Damit habe ich mit 10 Jahren schon angefangen – zum einen um mich besser zu verstehen, aber auch um mich mit anderen Menschen zu verbinden. Ich habe dann auch festgestellt, dass es mir deutlich leichter fällt, mich über die Musik darzustellen und eine Verbindung mit anderen zu schaffen. Ich würde von mir ansonsten nämlich sagen, dass ich ein sehr introvertierter Mensch bin und auch gerne zu Hause bleibe und für mich bin ohne die Außenwelt an mich ranzulassen. Die Musik ist für mich so eine Art Verbindungsstück zwischen mir und anderen.“

Was leistet dann die Musik für Anna Wydra?

„Für mich macht Musik das Leben deutlich lebendiger. Wenn ich mir ein Leben ohne Musik vorstellte, wäre das sehr eintönig. Musik kann Emotionen verstärken, so dass man sie richtig wahrnehmen kann. Das kann sowohl über die Musik wie auch die Texte funktionieren. Manchmal höre ich zum Beispiel ein Stück, wo mir die Musik nicht so viel sagt – aber dann gibt es plötzlich eine Textzeile, die direkt zu mir spricht. Dann habe ich auf ein Mal Worte für meine Gefühle. Das hilft mir mich besser zu verstehen, aber auch andere zu verstehen. Das ist wie in Filmen, durch die man eine andere Perspektive einnimmt und dann seinen Blickwinkel erweitern kann. So etwas finde ich schön.“

Die Perspektive zu wechseln, ist ja grundsätzlich auch wichtig für Songwriter. Wie sieht es denn bei Anna aus: Wechselt sie die Perspektive? Schreibt sie auch über andere? Oder schreibt sie grundsätzlich über sich selbst?

„Das ist eine spannende Frage“, meint Anna, „ich schreibe schon über mich selbst oder denke an andere Leute – aber manchmal sind das auch Konzepte über die ich schreibe. Oder ich nehme eine Situation aus meinem Leben und spinne die dann in meinem Kopf weiter und füge dann auch neue Gefühle hinzu. Ich würde schon sagen, dass das alles autobiographisch ist, über das ich schreibe – aber natürlich dichtet man dann immer noch etwas dazu.“

Das alles klingt logisch und schlüssig. Aber warum hat Anna das Album dann ausgerechnet „Lonely Motherfucker“ genannt? „Also ich fand den Titel einfach cool und provokativ – und ich

mag auch so explizite Worte“, antwortet Anna, „dafür wurde ich im Internet von Amerikanern aber auch schon viel ‚gehated’. Aber irgendwie hat das total zu meinem Gefühl gepasst. Das war auch irgendwie eine Bauchentscheidung das Album so zu nennen – weil es sich einfach auch einprägt, wie ich finde.“

Worum geht es denn in dem Stück? Tatsächlich um Einsamkeit?

„Ja, das Gefühl von Einsamkeit hat sich in dem Prozess des Albums so durchgezogen, dass ich mich zwischenzeitlich so mit meinen Problemen alleingelassen fühlte, dass ich dachte, dass ich das alleine gar nicht schaffen würde“, berichtet Anna, „ich war kurz vor dem Aufgeben und habe dann aber doch die Kurve noch gekriegt, weil ich meine Community herangezogen habe, so dass das Album dann doch noch funktioniert hat. Dann wurde das Album auch innerhalb von drei Monaten fertig und hat mir so viel Hoffnung und Kraft gegeben, dass ich mich dann auch nicht mehr einsam gefühlt habe.“

Musik kann ja in solchen Situationen auch als Begleiter funktionieren.

„Absolut, absolut“, pflichtet Anna bei, „ich habe in meinem Leben so viele Hobbies gehabt und auch immer wechselnde Personen. Es gab nie eine Konstante – außer der Musik, die war immer da. Deswegen würde ich das auch bestätigen, dass Musik ein Begleiter ist.“

Wie geht es denn weiter, wenn das Album erst mal in der Welt ist?

„Ich schaue erst mal“, meint Anna, „ich merke, dass langsam schon wieder Ideen kommen und ich mich wieder hinsetzen möchte – aber die Hälfte der Songs des Albums habe ich ja erst letztes Jahr geschrieben. Die sind also noch relativ frisch und ich lasse mich einfach mal überraschen, was jetzt als nächstes aus mir rauskommt. Ich habe auf jeden Fall Lust, noch mehr zu machen.“

Aktuelles Album: Lonely Motherfucker (La Pochette Surprise)


Weitere Infos: https://annawydra.de Foto: Luna Ballmann

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