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JOAN SHELLEY

"Innere Unruhe ist ein guter Antrieb!"

JOAN SHELLEY

Auf ihrem neuen Album löst sich Joan Shelley aus der häuslichen Beschaulichkeit, nachdem zuletzt die Auswirkungen der Pandemie und die Geburt ihrer Tochter das Leben der seit Neuestem in Michigan lebenden Singer/Songwriterin bestimmt hatten. "Real Warmth" wurde in Toronto mit dem Produzenten Ben Whiteley (The Weather Station) und vielen local heroes der dortigen Szene, darunter Tamara Lindeman und Doug Paisley, aufgenommen. Entstanden sind dabei 13 Lieder mit betont menschlicher Note, bei denen Shelleys Stimme und Songwriting in der zeitlosen Folk-Tradition verwurzelt bleiben, gleichzeitig aber auch der Wunsch spürbar ist, sich klanglich auf neues Terrain vorzuwagen.

Die neue, inzwischen achte LP von Joan Shelley ist für sie Rückkehr und Aufbruch zugleich, und das spiegelt in gewisser Weise auch die unterschiedlichen Rollen wider, die Musik und das Musikmachen über die Jahre in ihrem Leben eingenommen haben.

"Ich denke, die Musik sorgt für eine gewisse Kohärenz, es ist eine Art Sprache", sagt sie im WESTZEIT-Interview. "Als ich jünger war, war Musik für mich emotional, sie hat mir geholfen, mich zu entwickeln, meine Gefühle zu regulieren und sie zu verstehen. Jetzt ist es eher wie Hygiene, es geht darum, wieder ein ganzer Mensch zu werden und mich daran zu erinnern, dass mein Leben nicht nur aus den Aufgaben besteht, die ich jeden Tag erledige."

Diese Veränderungen kann man auch "Real Warmth" anmerken. Gleich im ersten Song, "Here In The High And Low", singt Shelley "All that came before has to go", und tatsächlich ist die psychedelisch umspülte Nummer auch klanglich ein Bruch mit ihrer leisen Folk-Vergangenheit. Ein Hauch von Laurel-Canyon-Hippietum weht auch durch viele andere Songs, wenn E-Piano oder Pedal Steel unerwartete Akzente setzen.

"Ich glaube, ich bin in diesem Fall eines dieser Klischees, bei denen COVID es extrem langweilig gemacht hat, sehr introvertiert und selbstreflektiert zu sein", erklärt Shelley. "Meine Reaktion darauf, mein musikalisches Anliegen war es daher, dass es wieder Spaß machen sollte, in Gesellschaft zu sein. Ich habe während der Entstehung der Platte tatsächlich darüber nachgedacht, wie sich Körper bewegen und was rhythmisch gesehen Spaß machen würde."

Für die Aufnahmen zu "Real Warmth" kehrte Shelley zu der alten Tradition zurück, ihre Platten an immer wieder neuen Orten und mit neuen Mitstreiterinnen und Mitstreitern einzuspielen. So entstand ihr selbstbetiteltes Album von 2017 in Chicago mit Jeff Tweedy auf dem Produzentenstuhl, zwei Jahre später setzte James Elkington "Like The River Loses The Sea" in Island um, bevor die Umstände sie zwangen, ihr letztes Werk "The Spur" in ihrer langjährigen Heimat Kentucky aufzunehmen.

Dieses Mal reiste sie mit ihrem Ehemann (und langjährigen musikalischen Partner) Nathan Salsburg und ihrer gemeinsamen Tochter Talya Bloom nach Toronto, wo Produzent Ben Whiteley in vielen famous friends der dortigen Szene genau die richtigen Musikerinnen und Musiker fand, um Shelleys Ideen schnell und mit viel Menschlichkeit einzufangen.

"Wir hatten mitten im Winter einige Zeitfenster für die Aufnahmen, und es fühlte sich wirklich so an, als gäbe es vor dem politischen Hintergrund eine Dringlichkeit, mit diesen Songs, Performances und beteiligten Personen festzuhalten einen bestimmten Moment", lässt sich der Produzent in einer Pressemitteilung zitieren. "Die Platte fühlt sich wirklich wie eine Momentaufnahme an und nicht wie eine sorgfältige Konstruktion. Ein Teil von Joans Konzept bestand nicht nur darin, an einen anderen Ort zu gehen, sondern auch darin, auf die Gemeinschaft der Musikerinnen und Musiker dieses Ortes zurückzugreifen."

Das Resultat sind Aufnahmen, die mit beeindruckendem Können und genau der lebendigen Spontaneität begeistern, die Shelley vorschwebte.

"Ich mag es, Platten an anderen Orten aufzunehmen, weil dadurch alles ein bisschen ungezwungener und ungehobelter ist", verrät sie. "Durch die zeitliche Begrenzung kann man es sich weniger leisten, pingelig zu sein, und man kann nicht immer alles dabeihaben, was man zu Hause hätte. Man bringt sein Instrument mit und interagiert dann einfach mit den Leuten vor Ort! Das macht es für mich frischer, das führt zur Abkehr von den routinemäßigen Mustern, die man zu Hause ausarbeitet. So wird alles am Ende lebhafter."

Was Shelley dort sagt, bezieht sich nicht auf die Musik allein, denn die Lieder auf "Real Warmth" haben auch textlich eine Art von Dringlichkeit, die man in der Vergangenheit nicht unbedingt von ihr kannte. Doch die politischen Umwälzungen, die derzeit nicht nur Musikschaffenden den Schlaf rauben, gingen natürlich auch an ihr nicht spurlos vorüber.

"Innere Unruhe ist ein wirklich guter Antrieb!", sagt sie und muss lachen. "Ich glaube, dass wirklich schwierige Zeiten bewirken, dass viele Künstlerinnen und Künstler textlich einen großen Satz nach vorn machen, denn ich habe das in letzter Zeit bei vielen Platten beobachtet. Bestimmte Leute wurden plötzlich brillant und all diese Songs sprudelten aus ihnen heraus. Nimm nur mal die Platte von Ryan Davis. Er hat damit einfach das nächste Level erreicht, und ich weiß, dass er ein sehr besorgter Mensch ist. Ich glaube, dass unsere globalen Ängste, unsere Wut und Frustration in Zeiten wie diesen zum Vorschein kommen. Es ist wie in der Vietnam-Ära – da sind so viele gute Platten entstanden!"

Aktuelles Album: Real Warmth (No Quarter / Cargo)


Weitere Infos: www.joanshelley.net Foto: Nick Rasmussen

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