
(Blumenbar/Aufbau, 368 S., 22,00 Euro)
Ein Buch, an dem mir sehr vieles gefällt. Das geht los mit diesen, dem Roman vorangestellten Worten: "Stimmt. / So ist es nicht gewesen." – wunderbar. Die Autorin kann ja auch nicht wissen, wie sich Punk in erster Generation in der DDR angefühlt hat, als 14jährige. Denn Schultz ist (etwas) zu jung (Jg. 1975) und vor allem im anderen Teil Deutschlands aufgewachsen. Und doch bringt sie hier inhaltlich wie – und das ganz besonders – vom "Sound" her das DDR-Punk-Gefühl in nahezu beängstigender Weise authentisch auf den Punkt (bis hin zur gefühlvollen Wortwahl: nicht "Rucksack", sondern "Campingbeutel", nicht "Polizeirevier", sondern "VPKA" – um nur zwei willkürliche Bespiele zu nennen). Einmal mehr der Beweis, dass man keineswegs dabei gewesen sein muss, um eine Gesellschaft, eine soziale Schicht, ein Land und vielleicht genauso stattgefundene Ereignisse zu beschreiben. Gute Recherche, Einfühlungsvermögen und nicht zuletzt literarisches Talent reichen nämlich (wie sonst sollten heute auch lesbare Romane über – sagen wir: die Zeit des Stauferkönigs Friedrich II oder das jüdische Prag des 19. Jahrhunderts entstehen? Und doch gibt es solche ja zweifellos!). "Mauerpogo" begleitet Jo (eigentlich Josefine Färber) aus Eisenwerda (eine fiktive Ost-Stadt, in der ich hier und da good old Karl-Marx-Stadt zu erkennen glaube) auf ihrem Weg vom JugendweiheMädchen zur PunkFrau. Eben noch Fahnenappell und ein Lob vom Direktor, dann schon vom PunkBlitz getroffen – zunächst in Form eines ausgerissenen Zeitungsfotos, darauf ihre "Straßenkönigin", eine PunkQueen aus London, King’s Road. Im Ost-TV ein Bericht über die im dekadenten Westen um sich greifende "asoziale Punkerbewegung": Bruder Hanne (Berufswunsch: NVA-Offizier) findet es "Total krank.", Jo hingegen ist begeistert, denn "Etwas ist im Raum, mir unter die Haut gekrochen.". "1000 Volt auf der Zunge"! Wie nun Schultz Jos Weg nacherzählt, von grünen Haaren, dem im dunkelsten Kellereck gefundenen Ledermantel, den selbstgebastelten Blitz-Ohrringen und der Euphorie des Andersseins (inkl. Zufallsbekanntschaften wie der mit der fransenhaarigen jungen Mutter, die sie vorm "Monument" in ihrem neuen Outfit fotografiert und einschwört: "Bleib, wie du bist, Kleine, ja? Das ist Pflicht.") über die Lippenbekenntnisse und das eklige Besäufnis von Eltern und Kindern beim "Großen Geweihe" (dessen Bigotterie Jo kaum zu ertragen vermag), die ersten SzeneBekanntschaften und Pogo im "Preßluftschuppen" bis zum Stress mit den Ordnungshütern (in einer wirklich beeindruckenden Szene erlebt Jo ihre erste Regelblutung auf dem Polizei-Klo) – wie Schultz also all das erzählt, ist sowohl inhaltlich wie auch sprachlich ganz großes Kino. Denn nicht nur thematisch arbeitet sie genau und detailverliebt, auch ihre literarische Kraft weiß zu beeindrucken. Das ist eben keine "coming-of-age in der schrecklichen DDR"-KitschSchreibe und auch kein verpeilt-autobiografischer AmateurRoman, sondern ein wirklich gut inszenierter, dramaturgisch äußerst geschickt gebauter und hervorragend ausformulierter Text. Mit ihren Schulfreunden Frankie (der mit dem Bonzen-Vater) und Clemens gründet Jo eine Band, ihr (an der DDR zerbrochener) Vater bastelt aus Schrott einen Verstärker für die Wandergitarre und ihre ersten Texte nehmen direkt auf der Wand des Kinderzimmers Gestalt an. Doch die DDR war 1982 noch nicht bereit für soviel Buntheit und Eigensinn – selbst wenn der sich zunächst vielleicht gar nicht direkt gegen den VorzeigeStaat richtete. Doch psychischer Druck und handfeste Gewalt führen nicht zurück auf den Pfad der sozialistischen Tugend, eher zu totaler Verweigerung und Hass. In "Ratte", einer im Abrisshaus lebenden StahlfassTrommlerin findet sie etwas, das über die Seiten und Zeiten zu zarter Liebe wächst, in der Stasi-Untersuchungshaft hingegen ist sie der Zuckerbrot-und-Peitsche-Taktik der Staatsbeschützer ausgeliefert. Sie glaubt am Ende, mit einer dort unbedacht preisgegebenen Information ihren besten Freund verraten zu haben – die Geschichte konnte eigentlich auch nicht gut ausgehen. Oder doch, denn in der letzten Szene des Romans scheint die Kraft des Individuellen über den Terror der Aufpasser zu siegen. Und obschon ich zwar fast genauso alt bin wie Jo, aber nie Kontakt zu den ganz harten OstPunks hatte (lieber versuchte ich, Zugang zu sogenannten "Künstlerkreisen" zu finden und schnell war deren avantgardistischer Lärm interessanter als PogoStampf), meine ich behaupten zu können: Doch! So war es. Oder so ähnlich. Ein in jeder Hinsicht großartiges Buch, dem – ähnlich wie den oben erwähnten (guten) historischen Romanen – durchaus auch außerhalb der (damaligen) Szene viele Lesern zu wünschen sind.Weitere Infos: www.aufbau-verlage.de/blumenbar/mauerpogo/978-3-351-05137-2

