
Keine Scheu vor Verletzlichkeit: Auf ihrer selbstbetitelten EP legt die Hamburger Musikerin Bedroom June im Dunstkreis von elektronisch umspültem Bedroom-Pop, verwaschenen Shoegaze-Sounds und klassischem Indie-Rock ihre Wunden offen, gibt mit ihrer emotionalen Selbstbespiegelung gleichzeitig aber auch ihrem Publikum die Gelegenheit, sich mit oft verdrängten Gefühlen auseinanderzusetzen.
"Socialising To Meet The Expectations", "How Much I Wanted You", "Thought I Was Your Best Friend" und "Distracted By You" – die Titel der vier Songs des EP-Erstllings von Bedroom June verraten bereits, dass das Musikmachen für Aylin Sengül, die Künstlerin hinter dem Projektnamen, etwas sehr Persönliches, ja, Intimes ist."Die Musik ist für mich wie ein treuer Begleiter", bestätigt sie im WESTZEIT-Interview. "Ich habe das Musikmachen und gerade auch das Songschreiben immer als Raum wahrgenommen, mit dem sonst niemand interagieren kann."
Als Sängerin und Gitarristin des Hamburger Psych-Pop-Quartetts Deep Dyed hatte sie in der Vergangenheit erstmals Gelegenheit, jenseits von Schulbands mit anderen gemeinsam auf der Bühne zu stehen. Mit der Zeit schrieb sie jedoch immer mehr Songs, die nicht so recht zur Band passten, aber trotzdem zum Leben erweckt werden wollten. Das machte vor zwei Jahren den Weg frei für die ersten Veröffentlichungen ihres Soloprojekts.
In ihren Texten fängt Bedroom June das Gefühl eines Lebens im Dazwischen ein, das einerseits von einer gewissen Distanz geprägt ist, andererseits aber auch von dem Wunsch, dazuzugehören, einem Bedürfnis nach Nähe. Damit spiegelt sie Gefühle wider, die viele Menschen heute nur allzu gut kennen. Gleichzeitig ist diese Perspektive aber auch ein Stück weit durch ihren familiären Hintergrund als Kind einer türkischen Gastarbeiter-Familie geprägt.
"Sich immer ein bisschen alien, ein bisschen anders zu fühlen, hat sicherlich auch mit meinem Background zu tun – vielleicht auch, ohne das bewusst zu verstehen", sagt sie. "Die Musik war für mich deshalb immer eine Zuflucht, die mir ein Gefühl von Verbundenheit gegeben hat."
Das ist auch schon bei Songs wie "Wasted Year", "Clouds" oder "Fear Of Fear" spürbar gewesen, die der EP vorausgingen. Klanglich hat sich der Horizont von Bedroom June inzwischen allerdings hörbar vergrößert. Waren die ersten Veröffentlichungen mit betontem DIY-Feeling noch deutlicher im Spannungsfeld von Indierock und Twee-Pop verortet, verschwimmen in den experimentierfreudig produzierten Songs der EP die Genregrenzen. Warme Synth-Sounds und ein Faible für elektronische Elemente treffen nun auf klassische Indie-Tugenden, und bei den ersten Strophen von "Socialising To Meet The Expectations" scheint sogar der Geist von Elliott Smith widerzuhallen.
Hatte Bedroom June ihre ersten Songs noch allein im eigenen Wohnzimmer aufgenommen, arbeitete sie für die EP – das Release-Konzert dazu findet übrigens am 04.10.2025 in der Hamburger Hanseplatte statt – mit Produzent Jakob Hersch zusammen, dessen Projekt Wohinn sie live auch an Gitarre, Keyboards und Querflöte unterstützt.
"Auch wenn ich solo Musik mache, finde ich es wahnsinnig spannend, mit anderen zusammenzuarbeiten", sagt sie und fügt hinzu: "Ich hatte einfach Lust, den Songs ein anderes Gewand zu geben und mich weiterzuentwickeln. Ich wollte nicht für immer auf der Lo-Fi-Indie-Schiene bleiben. Gleichzeitig hat sich auch mein Musikgeschmack noch einmal verändert. Ich habe voll viel Hyper-Pop gehört und mich mit A.G. Cook oder Oklou auseinandergesetzt. Deshalb konnte ich mir gut vorstellen, dass das Ganze auch in diese Richtung geht, und mit Jakob zusammen konnte ich das dann auch gut realisieren."
Das zeigt Wirkung, denn mehr als in der Vergangenheit streckt sie mit den neuen Songs die Hand nach dem Publikum aus, oder wie sie selbst es ausdrückt:
"Die Songs sind schon sehr persönlich und es geht sehr viel um Emotionen und innere Welten, aber es ist eine total schöne Vorstellung, dass sie Menschen erreichen, die sich dadurch gesehen fühlen und gerade in diesen Zeiten, die manchmal sehr nachdenklich stimmen, weniger allein fühlen."
Aktuelle EP: Bedroom June (Lazy Angel Records / La Pochette Surprise Records)
Weitere Infos: https://bedroomjune.bandcamp.com/ Foto: Jenny Bewer