
Die Kollegen des Rolling Stone bezeichneten The Beths als "eine der großartigsten Indie-Rock-Bands ihrer Zeit". Dass das nicht geflunkert ist, beweist das liebenswerte Quartett aus Neuseeland nun mit seinem vierten Album. Auf "Straight Line Was A Lie" gönnt sich die Band klanglich mehr Freiheiten als je zuvor, ohne deshalb alte Tugenden zu vergessen, und finden auch textlich von persönlichen Krisen zu neuen Stärken.
The Beths sind eine Band, für die das Musikmachen lange in erster Linie eine Leidenschaft war. Das ist auch heute nicht anders, aber natürlich ist die Gruppe für Sängerin und Gitarristin Liz Stokes, Gitarrist Jonathan Pearce, Bassist Ben Sinclair und Schlagzeuger Tristan Deck nach dem Erfolg der fabelhaften ersten drei Alben "Future Me Hates Me" (2018), "Jump Rope Gazers" (2020) und "Expert In A Dying Field" (2022) inzwischen auch ein Job, der gemacht werden will."Wie viele, die so erfolgreich waren, dass sie das, was sie lieben, zum Beruf machen konnten, verwirrt mich das Ganze manchmal etwas, und dann muss ich meinen Weg zurück finden", gesteht Liz Stokes im WESTZEIT-Interview. "Meine Beziehung zur Musik ist ein bisschen verzerrt. Oft ist das symptomatisch für mein Befinden. Manchmal fällt es mir schwer, Musik zu hören, speziell, wenn sie genretechnisch dem nahekommt, was ich selbst mache. Da fällt es mir oft schwer, mein Gehirn auszuschalten und die Musik auf die Art und Weise zu genießen, wie ich das früher konnte. Dennoch ist die Musik unglaublich wichtig für mich, denn ich habe mein ganzes Leben darum herum aufgebaut. Sie ist nicht nur mein Job, denn meine engsten Freundinnen und Freunde und alle erdenklichen Beziehungen – das hat sich alles um die Musik herum entwickelt. Sie ist einfach ein riesiger Teil meines Lebens in jeder seiner Facetten."
Das kann man auch auf "Straight Line Was A Lie" hören, dem just erschienenen vierten Album von The Beths, auf dem die Band aus Auckland – passend zum Titel – nicht allein schnurgerade alte Stärken weiterverfolgt hat und sich u.a. von so unterschiedlichen Acts wie Drive-By Truckers, The Go-Go's und Olivia Rodrigo inspirieren ließ.
"Wir haben dieses Mal eine Reihe Dinge gemacht, bei denen ich beim ersten, vielleicht sogar auch beim zweiten oder dritten Album noch gesagt hätte: 'Nee, das ist nicht erlaubt!'", erklärt Stokes. "Als wir angefangen haben, war ein wichtiger Teil unserer Identität, Spaß und Kreativität innerhalb eines selbst gesteckten Rahmens zu finden. Wir haben für uns selbst Regeln aufgestellt. Mit der ersten Platte haben wir uns in eine bestimmte Schublade gesteckt: Gitarre, Gitarre, Bass, Schlagzeug – check! Backing Vocals – check! Power-Pop-Tempo, schnell – check! Fröhliche, betont schlanke Songs und kein Jamming – check! Seitdem haben wir uns erlaubt, diesen Rahmen mit jeder Platte ein wenig zu erweitern."
Das war auch dieses Mal nicht anders, wenngleich unüberhörbar ist, dass The Beths jetzt selbstbewusster und mutiger als je zuvor neue Wege gehen und dabei trotzdem ganz sie selbst bleiben.
Der während der Pandemie entstandene Vorgänger "Expert In A Dying Field" war von dem Wunsch geprägt, endlich wieder live spielen zu können, und die Songs waren darauf ausgerichtet, dass sie auch live wirklich zünden. Dieses Mal lag der Fokus viel stärker auf dem Songwriting und dem Ziel, dass Arrangements und Produktion die Gedanken und Gefühle der Lieder bestmöglich verkörpern. Das führt dazu, dass sich The Beths mit "Straight Line Was A Lie" unumwunden jedem Aspekt des Wachstums hingeben, ohne darüber die Vergangenheit zu vergessen.
Stokes selbst beschreibt die Entstehung des neuen Albums als Balanceakt:
"Natürlich ergibt es keinen Sinn, immer wieder die gleiche Platte zu machen, gleichzeitig hassen wir unsere bisherigen Platten aber auch nicht und wir fühlen uns auch nicht dadurch eingeschränkt. Wir haben dieses Mal versucht, Wege zu finden, um weiterhin Spaß daran zu haben, als diese Gruppe zusammen zu spielen, und um die Dinge zu bewahren, die wir am gemeinsamen Musikmachen lieben, die Dinge, die es aufregend, fesselnd und unterhaltsam machen. Ich sage unterhaltsam, aber letztlich ist es ein ziemlich düsteres Album geworden. Aber zusammen zu spielen, macht uns immer noch viel Spaß, und das ist das Wichtigste!"
Der Kontrast zwischen bisweilen überschäumend fröhlichen Melodien und düsteren Gedanken war auch schon in der Vergangenheit ein Markenzeichen der Beths, trotzdem darf man bei den betont introspektiven und emotionalen Texten der neuen Lieder das Gefühl haben, dass Stokes noch nie so tief in sich selbst hineingehorcht hat – ganz egal, ob sie in Songs wie "No Joy" oder "Metal" ihre körperliche und mentale Gesundheit in den Fokus rückt oder in der herzergreifenden Solo-Ballade "Mother Pray For Me" das komplizierte Verhältnis zu ihrer streng katholischen, aus Indonesien stammenden Mutter beschreibt.
Weil sie sich dieses Mal die Songs nicht so einfach aus dem Ärmel schütteln konnte, brachte sie jeden Tag mit Hilfe einer Remington-Schreibmaschine, die ihr Bassist Sinclair zum Geburtstag geschenkt hatte, seitenweise Gedanken zu Papier, um später bei einem verlängerten Aufenthalt in Los Angeles daraus die Lieder für "Straight Line Was A Lie" zu formen.
"In diesem Prozess habe ich Teile meines Lebens in den Blick genommen, denen ich für gewöhnlich keine Beachtung schenke", erklärt sie. "Das wurde zu einem wirklich wichtigen Teil des Albums und legte den Grundstein für Songs, die sich ziemlich persönlich anfühlten, weil ich sie nicht einfach geschrieben habe, sondern offensichtlich wirklich etwas verarbeiten und rauslassen musste. Ich wollte, dass jedes Lied eine Aussage hat und dass klar ist, worum es geht."
Entstanden sind dabei Songs mit bemerkenswerter Tiefe, die ohne Scheu vor Verletzlichkeit den Sweetspot zwischen Scharfsinn und Poesie treffen und am Ende die auf den ersten Blick ernüchternde Erkenntnis "Straight Line Was A Lie" in etwas Positives übersetzt: The Beths sind vielleicht nicht auf dem einem geradlinigen Pfad unterwegs, aber sie sind unterwegs und unterstreichen mit diesen zehn wunderbaren neuen Songs, dass der eigene Weg am Ende immer noch der beste ist.
Aktuelles Album: Straight Line Was A Lie (ANTI / Indigo)
Weitere Infos: www.thebeths.com Foto: Frances Carter