
Unermüdlich kreativ: Viele Jahre waren sie ein gut gehütetes Geheimnis, doch jetzt liefern Water From Your Eyes eine Platte ab, die so fabelhaft ist, dass man nur schwerlich an ihr vorbeikommt. Auf "It's A Beautiful Place", seinem inzwischen sechsten Album, fesselt das heute in Brooklyn heimische Duo mit einem bemerkenswert eigenwilligen Experimental Pop, bei dem der Wechsel zwischen Avantgarde und Indierock, zwischen Art-Pop und Noise-Rock bisweilen fließend zu sein scheint. Im November sind Rachel Brown und Nate Amos erstmals deutschlandweit auf Tour, vorab standen uns die zwei beim Interviewtag in Berlin Rede und Antwort.
Eingängig und anspruchsvoll, witzig und tiefgründig – wenn Water From Your Eyes gemeinsam Musik machen, spielen gängige Genreschubladen keine große Rolle. Rachel Brown (Gesang) und Nate Amos (Musik) lernten sich vor über zehn Jahren in der Chicagoer Undergroundszene kennen und waren tatsächlich zuerst ein Paar, bevor sie Water From Your Eyes ins Leben riefen. Auf ihren Frühwerken "Long Days No Dreams" und "All A Dance" wandelten die zwei mit elektronisch umspülten Synth-Popsongs noch auf den Spuren von New Order, bevor sich danach ihr Klangspektrum stetig erweiterten. Auf "Somebody Else's Song" (2019) schlichen sich Anklänge an Folk, Industrial und Krautrock ein, bevor sie zwei Jahre später mit "Structure" in den USA zu Kritikerlieblingen avancierten und mit "Everyone's Crushed", ihrem Debüt für das renommierte Indielabel Matador, 2023 ihr Faible für avantgardistische Momente immer ungenierter auslebten. Auf dem mit herrlich krachigen Selbstfindungs-Songs vollgestopften neuen Album "It's A Beautiful Place" jonglieren Water From Your Eyes nun mit so vielen Referenzen, dass vieles vage vertraut klingt, sich die zwei aber trotzdem klanglich nie festnageln lassen. Das Album ist der vorläufige kreative Höhepunkt einer Band, die immer in Bewegung ist und so stilistische Furchtlosigkeit kurzerhand und mit einem Augenzwinkern zur Kunstform erklärt – unvermittelte Taktwechsel und absurd anmutende Kontraste inklusive. Doch wie kam es eigentlich dazu?"Als wir anfingen, in New York aufzutreten, waren wir Teil einer Community, in der es keine Grenzen zu geben schien, wenn es darum ging, was man tun konnte und welche Art von Musik und Kunst man machen konnte", erklärt Brown, und Amos ergänzt: "Ja, ich glaube auch, dass wir durch die Zugehörigkeit zu einer künstlerischen Community, die eine Art 'Anything goes'-Einstellung hatte, unsere eigenen Absichten fahren lassen und uns mehr treiben lassen konnten."
Hinzu kam, dass die beiden vor rund sechs Jahren beschlossen, privat getrennte Wege zu gehen. Was in vielen anderen ähnlichen Fällen das Ende der Band bedeutet hätte, entpuppte sich für Water From Your Eyes als künstlerischer Befreiungsschlag.
"Ich glaube, als wir den Aspekt unserer Beziehung ausgeklammert haben, wurde es leichter, eine kreative Partnerschaft einzugehen, denn das war immer schon der der einfachste Teil unserer Beziehung", erinnert sich Brown. "Zuvor war es nur deshalb kompliziert, weil es noch andere Dynamiken gab, wie zum Beispiel das Zusammenleben. Als wir dann nicht mehr zusammen gewohnt haben, war das wie ein: Oh, super, wir können jetzt das eine tun, was wir beide am liebsten zusammen machen, und wir können Musik machen, die von unseren Leben inspiriert ist, ohne dass es auf seltsame Weise in unsere persönliche Beziehung hineinspielt. Ich glaube, wir haben so alle unsere Identität gefunden: Ich, Nate und Water From Your Eyes!"
Mit ihrer vollkommen ergebnisoffenen Herangehensweise schwimmen die zwei ein Stück weit gegen den Strom, treffen aber offensichtlich genau deshalb einen Nerv. Denn je schräger die Musik des Duos wird, desto populärer ist die Band.
"Ich habe das Gefühl, dass das genau das ist, wonach die Leute heute suchen", versucht sie Brown an einer Erklärung. "Die Musikszene und die Medien ganz allgemein sind ob des ganzen Contents völlig übersättigt. Es stürzt mehr Musik und mehr Information auf uns ein als jemals zuvor, und deshalb fühlen sich die Leute vielleicht eher zu etwas hingezogen, das etwas anders und deshalb frischer ist?"
"Wir wissen selbst nicht so genau, was wir davon halten sollen. Am Ende ist es einfach Musik", ergänzt Amos lachend. "Wir hatten nie die Absicht, etwas anders zu machen. Wenn überhaupt, ging es uns gerade bei diesem neuen Album darum, eine Platte zu machen, die ein bisschen normaler ist. Allerdings bin ich mir nicht sicher, ob wir dazu zum jetzigen Zeitpunkt noch in der Lage sind."
Ausstaffiert mit Beiträgen der Tournee-Mitglieder Al Nardo und Bailey Wollowitz, glänzt "It's A Beautiful Place" klanglich mit Ungezwungenheit und Unmittelbarkeit, hat inhaltlich aber mehr Gewicht als die vorangegangenen Veröffentlichungen. In den oft sozialkritischen Texten hat der alltägliche Wahnsinn (nicht nur) in den USA ebenso seine Spuren hinterlassen wie Ursula K. Le Guins "Planet der Habenichtse" oder Marcello Tarìs "Es gibt keine unglückliche Revolution". Doch so wichtig ihre eine klare Haltung auch ist. Wortwörtlich möchte Brown ihre Texte nicht unbedingt verstanden wissen:
"Ich habe das Gefühl, dass es bei diesem Projekt textlich eher darum geht, ein Puzzle zusammenzusetzen, als eine Geschichte zu erzählen. Natürlich versuche ich meine Meinung zu kommunizieren, aber nicht auf direkte Art und Weise. Ich hasse es, missverstanden zu werden, und deshalb schreibe ich lieber Texte, die abstrakt sind. Auf diese Weise können sie nicht missverstanden werden, weil es in der Natur der Sache liegt, dass sie interpretiert werden sollen. Insgesamt ist Water From Your Eyes vor allem von Gefühlen geleitet. Nate ist sehr von Malerei beeinflusst, und wenn du dir ein abstraktes Gemälde anschaust, kannst du ja auch nicht sofort sagen: Ah, das dreht sich um dies oder das. Du hast eher ein Gefühl, worum es bei der Entstehung gegangen sein könnte."
Dem kann Amos nur beipflichten:
"Was wir tun, stützt sich auf die inhärente Realität, dass Kunst eine Zusammenarbeit zwischen den Kunstschaffenden und dem Publikum ist. Zu wissen, dass es für jeden etwas anderes bedeuten wird, öffnet den gesamten Prozess, denn dann geht es genauso sehr um die Wahrnehmung der Sache wie um die Sache selbst. Das bedeutet, dass wir tun können, was wir wollen!"
Genau diese Freiheit kostet die Band – musikalisch oft kribbelig nervös, stimmlich dagegen oft geradezu tiefenentspannt, ja, fast schon ein wenig gelangweilt klingend – auf ihrer neuen LP in vollen Zügen aus, oder wie Brown es umschreibt:
"Wenn wir mit dem Schreiben anfangen, ich mit den Texten und Nate mit der Musik, dann gibt es kein Endziel. Es gibt nichts, was wir erreichen wollen, außer fertigzuwerden, und ich denke, das ist wichtig!"
Dass durch die Erfolge der Vergangenheit auch die Erwartungshaltung bei Band, Publikum und Label gestiegen ist, will Amos gar nicht abstreiten, aber natürlich haben Water From Your Eyes auch für dieses Problem eine ganz eigen(sinnig)e Lösung:
"Wir mussten dieses Mal ein bisschen bewusster kompromisslos sein, um dem Druck zu begegnen, Kompromisse zu machen", verrät er und muss lachen. "Ich glaube, dass diese Band zu dem geworden ist, was sie jetzt ist, liegt allein daran, dass es uns komplett scheißegal ist, was andere denken!"
Aktuelles Album: It's A Beautiful Place (Matador / Beggars Group / Indigo)
Weitere Infos: https://www.waterfromyoureyes.com/ Foto: Adam Powell