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U.S. GIRLS

Die schnelle Zeit

U.S. GIRLS

Die zur Zeit in Kanada lebende amerikanische Songwriterin und Produzentin Meg Remy gehört mit ihrem Projekt U.S. Girls sicherlich zu den produktivsten Vertreterinnen ihrer Zunft. Seit sie 2008 begann, eigene Songs zu schreiben hat sie 8 Studio-Alben veröffentlicht, ist unablässig auf Tour gewesen und hat als gern gesehene Gastmusikern auf zahlreichen Projekten befreundeter MusikerInnen ausgeholfen – etwa in der Band Badge Èpoque Ensemble ihres Ehemanns Max Turnbull oder auf einem Split-Album mit Slim Twig und zuletzt auf Werken von Bria Salmena, Basia Bulat oder Matt Berninger von The National. Das nun vorliegende Album „Scratch It“ ist nun ihr neunter Longplayer – aber der erste, den sie mit einer von dem Gitarristen Dillon Watson zusammengestellten Allstar-Band in Nashville live im Studio einspielte und auf dem dann demzufolge auch ein klassischer, organischer Tennessee-Sound zum Tragen kommt.


Das Covermotiv des Albums zeigt ein verfremdetes Kinderbild Meg Remy's. Hat dieses Foto irgend etwas mit der Musik oder dem Inhalt des neuen Albums zu tun? Es scheint ja nicht so zu sein, dass es auf „Scratch It“ um Kindheitserinnerungen geht.

„Nun alles hat ja irgendwie mit Kindheitserinnerungen zu tun, wenn Du mal drüber nachdenkst“, meint Meg, „das Fotos eines Kindes passt ja eigentlich immer – außer vielleicht, wenn es in einem sexistischen Kontext gesehen wird - denn unser 'Kinder-Ich' formt ja unser späteres, 'Erratisches Ich'. Ich denke aber auch dass - wenn es um die Kunst geht - sich ja nicht immer wirklich alles deckungsgleich symbolisch ergänzen muss."

Der Titel des Album - „Scratch It“ - bezieht sich darauf, dass der Drummer Domo Donoho, der auf dem Album hinter dem Kit saß, dauernd Rubbellose gekauft hatte und die anderen ihn dann mit dem Spruch „Scratch It“ aufforderten, diese auch einzulösen.

„Außerdem hat das ja auch eine gewisse Klangqualität“, wirft Meg ein, "denn wenn man 'scratch' sagt dann hört sich das ja an, als würde man kratzen, so dass dem Wort dann eine physikalische Qualität beigemessen werden kann. Letztlich kann es ja auch bedeuten, einen Neuanfang zu wagen. Und dann kann es ja auch noch sehr befriedigend sein, wenn man sich tatsächlich kratzt, wenn es juckt. Mir gefällt jedenfalls diese Ambivalenz des Begriffes.“

Gab es denn einen Plan, als Meg mit Dillon Watson und den zusammengetrommelten Musikern ins Studio gegangen waren – denn für Stile und Genres scheint sie sich ja nicht so sehr zu interessieren?

„Einen Plan?“ fragt Meg zurück, „also ich kümmere mich jedenfalls nicht um Genres – das interessiert mich gar nicht. Der Plan war eigentlich nur, dass wir die Sachen auf Band aufnehmen wollten – etwas was ich zuvor noch nie getan habe, während die Musiker aus Nashville nie etwas anderes gemacht hatten. So arbeitet man dort für gewöhnlich. Sie waren richtig überrascht, dass ich so etwas noch nie gemacht hatte und ermutigten mich, das unbedingt mal zu probieren. Das war dann der Startpunkt des Albums. Ich würde also ein Album auf Band aufnehmen, lernen wie man das macht und schauen, ob mir das gefiel. Es stellte sich dann heraus, dass ich auf diese Weise viel über die Scheiben aus der Vergangenheit erfuhr, die ich so sehr liebe. Schließlich sind all die Scheiben, die ich feiere und verehre auf diese Art entstanden. Das hat mir die Augen geöffnet in Bezug darauf, wie so etwas funktioniert und was die Limitationen dieses Prozesses betrifft.“

Was würde Meg denn dann als Kerngeschäft ihrer Aufgabe als Songwriterin sehen?

„Ich versuche immer, alle Ebenen einer Situation zu erfassen“, meint sie, „sei es das Essen, das ich esse bis hin zum Erfassen eines großen Konzertereignisses auf Tour. So basieren viele meiner Songs auf Ereignissen, die ich selbst erlebt habe – dann aber auch auf Büchern die ich gelesen habe, Filme und besinders auf Unterhaltungen, die ich zufällig mitbekommen habe – auf der Straße oder in der U-Bahn, wo ich mir dann einzelne Zeilen notiere, die ich aufgeschnappt habe. Gut zuhören zu können ist ja auch eine der unterschätzesten menschlichen Fähigkeiten überhaupt.“

Das Kernstück des Albums ist das 10-minütige „Bookends“ - ein Tryptichon (wie Meg es nennt), das aus zwei recht unterschiedlichen Teilen besteht, die über eine längere Improvisations-Passage miteinander verbunden sind. Ist es schwierig, solch lange Songs zu schreiben – oder ging das sogar leicht von der Hand?

„Ich denke nicht darüber nach, ob Songs schwierig oder einfach sind“, meint Meg, „wenn ich an etwas interessiert bin und einen Song schreiben will, dann lohnt sich jede Mühe. Manchmal kommen Songs schnell zustande oder auch nicht – aber sie kommen zustande. Songs sind wie Geburten. Manchmal kommt das Baby nach zwei Schubsen raus und manchmal dauert es 14 Stunden. Am Ende ist das Ergebnis das Gleiche: Etwas wird geboren.“

Und wieso wurde ausgerechnet dieses Epos als Single veröffentlicht?

„Als mich das Label nach einer Single fragte, wurde mir klar, dass es einzig 'Bookends' sein konnte, weil es für mich das wichtigste Stück ist. Zum Glück glaubt mein Label an Visionen und vertraut mir in dieser Hinsicht.“

Was macht aber den Kern des Songs für Meg Remy aus?

„Es ging mir darum, einen Song über den Lauf der Zeiten zu schreiben - und wie die Zeit wahrgenommen wird“, erklärt sie, „ich bin nämlich der Meinung, dass die Zeit eigentlich viel langsamer vergehen müsste. Mit unserer ganzen Technologie und unserer Möglichkeit, heutzutage sehr viel mehr zu sehen als früher, ist die Zeit sehr viel schneller geworden. Jedenfalls fühlt sie sich schneller – und für mich zu schnell - an.“

Das mal alles eingedenk: Was bedeutet denn heute die Musik als solche für Meg Remy?

„Musik ist mir heilig“, erklärt sie, „Musik hat mein Leben gerettet und war auch das erste in meinem Leben, das für mich Sinn gemacht hat. Musik war immer für mich da und ein Werkzeug des Trostes für mich – und auch dafür, mich weiterentwickeln und wachsen zu können. Musik hilft mir, die Wurzeln in meinem Körper zu finden und vom Leben begeistert zu sein. Ich denke nicht oft daran - und es ist kein Wort, das ich wirklich verwende - aber Musik erlaubt mir so etwas wie 'Hoffnung' zu verspüren, wenn ich sie höre. Musik hat eine gewisse Leichtigkeit für mich und es gibt keine Konflikte in der Musik. Musik ist alles für mich. Ich habe mein ganzes Leben und meine Zukunft um die Musik herum aufgebaut.“

Was betrachtet Meg Remy dann als Herausforderung als Musikerin?

„Nicht dem Impostor-Syndrom anheim zu fallen“, überlegt sie, „denn ich bin keine besonders technisch denkende Musikerin oder eine besonders fähige Instrumentalistin oder Sängerin. Ich bin also selbst meine größte Herausforderung. Ich muss an das glauben, was ich tue und dabei auf das Zurückgreifen, was ich zur Verfügung habe.“

Was bringt die Zukunft für Meg Remy? Ist sie eine Planerin oder eher jemand, der schaut, was als Nächstes kommt?

„Ich denke auf eine kreative Weise an meine musikalische Zukunft indem ich jetzt schon an neuen Songs für mein nächstes Album arbeite, das ich hoffentlich im Herbst einspielen werde. Ich mochte auch die Erfahrung live mit anderen im Studio zu arbeiten und denke, dass ich das auch weiter machen möchte. Ich kann mir zudem vorstellen, mehr mit der Stimme zu arbeiten und möchte mir mehr Fähigkeiten aneignen. Ansonsten plane ich aber nicht – und ich weiß auch gar nicht, ob man überhaupt etwas planen kann. Man kann es ja versuchen, aber ob die Pläne sich dann verwirklichen lassen, steht auf einem anderen Blatt.“

Aktuelles Album „Scratch It“ (4AD / Beggars / Indigo)


Weitere Infos: https://www.yousgirls.com/ Foto: Colin Medley

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