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SLADJANA PERKOVIĆ

Tante Stanas Beerdigung

(eta, 232 S., 19,90 Euro)

Es ist eine zwischen Lakonie, Sarkasmus und derbem Humor schwingende Grundstimmung, die diesen wundervollen Text prägt – viele halten sie für typisch (süd)osteuropäisch. Wir kennen das z.B. von Barbi Marković oder auch von Anton Artibilov und Nikita Afanasjew – ohne dass ich an dieser Stelle irgendeinen Vergleich anstellen möchte. Perković ist insofern einzigartig, denn die hier in Rede stehende Beerdigung von Tante Stana ist ebenso skurril wie notwendig, so unausweichlich wie zufällig, so lustig wie (melo)dramatisch, geladen von Verzweiflung und Hoffnung, von Wut und Resignation, von Selbstdarstellungs- und Verdrängungskunst. Die in jeder Hinsicht bemitleidenswerte Tante der (Ich-)Erzählerin ist an einem verschluckten Hühnerknochen erstickt: "Onkel Radomir hat sie auf dem Küchenboden gefunden, ganz blau mit hervorgequollenen Augen. Sie hatte sich fast mit den Nägeln ein Loch in die Gurgel gekratzt." Gleich am nächsten Tag findet auf dem Dorffriedhof die Beerdigung statt und unsere Erzählerin wird allein hingeschickt, ihre Mutter hat nämlich leider so gar keine Zeit: "Morgen kommen die Leute fürs Bad. Hast du eine Ahnung, was für eine gewaltige Investition das ist! Ich muss sie beaufsichtigen. Handwerker musst du ständig im Blick behalten…". Papa ist sowieso "zu nichts zu gebrauchen". Also sucht Mama was "Anständiges zum Anziehen" heraus und am nächsten Morgen kommt Cousin Stojan mit seinem "Golfi". Und so geht’s (wegen des DorfDrecks in "echten Gummistiefeln") also los in das "fürchterliche Kaff auf einem Hügel". Dort lernen wir die illustre Trauergesellschaft kennen: Tante Mileva, die Popenfrau und Onkel Siebenschläfer, sogar den echten Popen sowie etliche mehr (viele Wichtige fehlen in dieser Aufzählung). Die meisten haben es auf die vermeintliche Erbschaft abgesehen, andere eher auf den Schnaps und wieder andere auf – man weiß es manchmal nicht genau. Aber es ist ungeheuer unterhaltsam, wie sich im strömenden Regen Frauen auf alte Grabplatten werfen und Männer auf dem frisch über Tante Stana aufgeschütteten Hügel herumstampfen. Andere (konkret der hinterbliebene Onkel) versuchen sich ungeschickt zu erhängen - auch der daraus resultierende Aufenthalt in der Notfallaufnahme ist ein Abenteuer für sich. Mit einer vordergründig flapsig wirkenden, aber sehr durchdacht eingesetzten Sprache beschreibt Perković die Wirrnisse der bosnischen NachkriegsWelt, das (natürlich nirgends wirklich eingelöste) Glücksversprechen des entfesselten Kapitalismus und auch die Sehnsucht nach etwas Halt im Leben. Der Roman ist zudem schlau arrangiert: da wird schon mal eine kurze Betrachtung über den Grad von Langweiligkeit, den der Text angeblich verströmt, eingestreut – der Abschnitt beginnt mit diesen Worten: "Wenn diese Geschichte zum Beispiel Hemingway geschrieben hätte, … Ich bin allerdings nicht Hemingway. Ihr merkt schon, bei Lichte betrachtet bin ich Statistin in meiner eigenen Geschichte. Ich laufe bergauf und bergab, werde in Golfis und Opel Corsas mitgenommen und niemand von den Lebenden beachtet mich auch nur im Geringsten." Anders als der Klappentext würde ich Perković zwar nicht mit Houellebeq vergleichen (mir gefällt ihre Art zu Schreiben eher noch besser) – aber empfehlen möchte ich diesen Roman wirklich jedem!
Weitere Infos: www.eta-verlag.de/shop/p/tante-stanas-beerdigung


November 2025
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