Eine schöne Dramaturgie kann man – vielleicht – beim Hören von RHODA SCOTTs "Movin Blues" (Sunset) erleben. Denn wenn die hier von Drummer Thomas Derouineau begleitete, auch mit 81 noch immer barfuß spielende Hammond B3-Göttin etliche Klassiker (u.a. "Caravan", "Come Sunday", "In A Sentimental Mood", "Honeysuckle Rose" und "Let My People Go") zu soulfully OrganGrooveSmashern werden lässt, geht es von spontanem Bewegungsdrang über "äh, jetzt wäre’s auch mal gut" bis zu "ej, das ist auch auf Dauer wirklich super!" durch alle Stufen von Begeisterung. 4 Eine Trilogie mit drei verschiedenen Trommlern plant RATKO ZJACAs Kombo NOCTURNAL FOUR. Nach Pat-Metheny-sideman Antonio Sanchez sitzt für "Light In The World" (In+Out) nun John Riley hinter den Fellen. Der Mann ist eine Fusion-Legende, hier stützt er B3, ts und die trademark-E-Gitarre des Bandchefs sehr solide, fast schon zurückhaltend, aber eben auch mit allen Tricks aus fast 50 Jahren Erfahrung. 3 Mit "Tweet!" (Octason) von MARCEL KRÖMKER & THE BATHING BIRDS wird’s "deutscher", also – folgt man dem Vorurteil – akademischer, verkopfter, überanstrengter. Zwischen 6 "Tweet"s lauern 9 b-tr-sax-dr-Stücke mit z.T. phantastischen Titeln ("Disjunction Between Fish And Piano" oder auch "Gasthaus der verbannten Diktatoren"), die sehr komplex, mitunter lateinamerikanisch eingefärbt (der "realismo mágico" von Márquez oder Borges war eine wichtige Inspiration), aber leider auch etwas unzugänglich sind. 3 Auch die auf "Glad There Is You" (Jazzsick) von REGINA MEISTER zu Klavier-/Kontrabass-Begleitung gesungenen Standards bleiben etwas arg gefasst und beinahe unterkühlt, auf jeden Fall aber ohne jene Prise Anarchismus, die Jazz erst wirklich lebendig macht. Im wahrsten Sinne GesangsLehrerinnenMusik. 2 Ganz anders, nämlich – ja, vielleicht etwas sentimental, aber trotzdem sehr angenehm seelenvoll ist das verträumte Saxophon von JOACHIM STAUDT auf "Quest" (Moveo). Manchmal greift Staudt auch zur Bassklarinette (ein von mir sowieso sehr geschätztes Instrument), wobei die Fender-Rhodes/Bass/Drums-Begleitung stets ebenso sensibel-spannend ist wie die Melodiestimmen. 4 RENAUD-GABRIEL PION ist gleichfalls ein Meister der Bassklarinette, flicht auf "Hinterwelt in Silicio" aber auch viel Elektr(on)isches in seinen Meditation, Minimal und Jazz abdeckenden und manchmal sogar bis hin zu Popstrukturen reichenden, meist sehr schmeichlerischen, manchmal aber auch mit angenehmer Schärfe ausgestatten KlangTeppich. 4 Als z.T. "amplified" Klarinette/Alt-Saxophon-Duo gehen die Impro-Helden XAVIER CHARLES & BERTRAND GAUGUET an den Start. "Spectre" (Akousis) ist eine wundervolle, aber auch fordernde Studie über statische Musik. Sehr konzentriert, sehr detailliert, sehr "hier und jetzt" erforschen die beiden die Sphären zwischen Geräusch und Ton, zwischen Körper und Geist, zwischen Gedanke und Gefühl. 4 Charles kennen wir ja uva. von Dans les arbes, was uns den Sprung ins Paradies avancierter Improvisationsmusik, also nach Norwegen, erleichtert. Dort gibt uns zuerst GARD NILSSEN’S 16-köpfiges SUPERSONIC ORCHESTRA den schönen Hinweis "If You Listen Carefully The Music Is Yours" (Odin). Sehr flott, schön laut, ziemlich wild und durchaus groovy – aber wir haben derlei auch schon recht oft in ähnlicher Weise gehört. 3 Dann haben wir vier gewohnt hochwertige Hubro-CDs: Zunächst das schon allein durch den massiven Einsatz von ERLEND APNESETHs hardanger-fiddle sehr schön die FolkTraditionen mit aktuellen JazzErkenntnissen verbindende "Fragmentarium". 4 Eine "Vesper" gibt’s von KIM MYHR & AUSTRALIAN ART ORCHESTRA. Extrem laid back und doch hochkonzentriert und ganz bei sich entfaltet der Gitarrist hier über drei sehr lange Stücke ein schwebendes Schwingen, das einen so wundervoll locker macht, dass man ganz vergisst zu fragen, wo sich in diesem schönen Bild eigentlich die sieben Musiker des AAO verstecken. Aber natürlich tragen Streicher und Bläser und Toni Buck an den drums zur Großartigkeit dieser Liveaufnahme genauso viel bei wie die autoharps, die "hammered dulcimer" oder Joe Talias electronics/tapes. 5 Dann das CHRISTIAN WALLUMRØD ENSEMBLE mit "Many", wo der der ECM-Pianist zu tr-sax-cel-dr/vibr (meist +electronics) 7 zarte, manchmal leicht impressionistische, dann aber auch wieder sehr experimentelle Fragilitäten herbeizaubert. Avantgarde+Jazz+Musique concrete – grandios! 5 Und schließlich ist da noch "Kroksjø" (alle Hubro) von JO DAVID MEYER LYSNE & MATS EILERTSEN, die ihre frischen Ideen auch sehr ruhig aus pedal steel oder akustischer Gitarre und Kontrabass locken. Dazu etwas turntable-Knistern, ein wenig ModularSynth und einige "effects" – fertig ist ein weiteres WunderKlangWerk, das man an manchen Stellen auch für die zu langsam abgespielte Instrumentalfassung einer frühen Múm-Platte halten könnte. 5 "Mille Feuille"(Sofa) heißt nicht nur dieser leckere Kuchen, sondern auch das Debut von OWL und das ist eine weitere Ausdeutung von Ruhe in Spannung. Die Saxofonistin Signe Emmeluth (u.a. Skarbø Skulekorps) und der Gitarrist Karl Bjorå streifen ohne jede Scheu vor Grenzübertretungen durch EchtZeit, Impro und Avantgardistische E-Musik. Der über 20 Minuten lange opener trägt übrigens den schönen, das Album sehr gut zusammenfassenden Titel "Upon Arrival You Forgot Why You Left". Also: zurück nach vorn! 5 Zum Schluss nochmal schnell nach London geschaut: das iyatraQuartet möchte gern "eye at ra" ausgesprochen werden und beweist damit schon mal, dass man keineswegs an mangelndem Selbstbewusstsein leidet (wobei die Hindi-Vokabel Yatra(=Reise) auch mitschwingen soll). Allerdings ist das selbstverlegte "Break The Dawn" auch wirklich stark: "inspired by English Poetry, Indian Ragas, Memorial Plaques and Arabic Love Songs" verweben die Briten mit Geige, Cello, Klarinette und Perkussion Minimalismus und Weltmusik mit Jazzelementen und Alter Musik. Professionalität und Inspiration in seltener Harmonie. 4
Fear No Jazz
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