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KLEE

Der samtene Untergrund - Engelsblau

KLEE

Es ist positiv überraschend, wenn sich aus einem Gespräch, von dem man nicht wirklich viel erwartet hatte, plötzlich eine Unterhaltung ergibt, in der sich viele Gemeinsamkeiten herauskristallisieren. Wenn sich aus der Diskussion über ein neues Popalbum eine Reise in die Tiefen der Underground-Musik ergibt. Wenn Menschen, die sich argwöhnisch beobachteten, nach der Konversation als Freunde auseinandergehen. Was so Märchenhaft schön klingt, wie das neue Album des Kölner Quintetts Klee, wurde an einem sonnigen Tag in der „Strandperle“ am Elbstrand in Hamburg auf wundersame Weise Realität.

EEngelsblau schimmerte das Wasser im Sonnenlicht, während unzählige Füße sich im samtweichen Sand des Strandes erholten. Unweit davon hatten sich die Sängerin Suzie Kerstgens, der Keyboarder Sten Servaes und der Gitarrist Tom Deininger mit der Westzeit verabredet, um ihre neue CD zu diskutieren. Servaes und Deininger waren bereits vor 15 Jahren als ´The Early Bert´ in Erscheinung getreten. Zusammen mit Kerstgens wurden später zwei Longplayer als ´Ralley´ veröffentlicht. Ein schwerer Autounfall der drei Musi-ker(innen) führte zu einer längeren Pause, die mit einer Produktion unter dem Namen ´Askona´ beendet wurde. Hieraus entwickelte sich, zusammen mit Daniel Klingen (Schlagzeug) und Pele Götzer (Bass), letztendlich die heutige Formation Klee. Das Debut „Unverwundbar“ erschien 2003.

Nach „Jelängerjelieber“ und „Zwischen Himmel und Erde“ liegt nun das vierte Album vor. Auf „Berge versetzen“ geht es um selbstbestimmte Freiheit. Alle Inhalte entsprangen mehr oder weniger autobiographisch gefärbten Erlebnissen. Klee möchten Verantwortung übernehmen; nicht allein füreinander, sondern für 2, 3, 4 oder 10.000 Menschen. Allerdings möchten sie dies nicht mit plakativen Schlagworten tun, sondern innerlich, um es dann weiterzutragen. Politik fängt schließlich zwischen zwei Menschen an. Daraus entwickeln sich Engagements wie jene für die „Aktion Mensch“-Kampagne. Oder es entstehen Beiträge für Alben wie z.B. „Starke Stimmen gegen Rechts“. Sten bringt die Fakten auf den Punkt:

„Wie man dem Songwriting entnehmen kann, sind wir große Beatles-Fans. Und einer der politischsten Songs, die je geschrieben wurden, ist deren ´All You Need Is Love´. Das hört sich banal an, aber würde es den Hass nicht geben, wäre nicht soviel schlechtes in der Welt. Das ist unser Thema, und das ist sehr politisch!“

Suzie ergänzt: „Die ´Aktion Mensch´ ist im Grunde das gleiche. Es ist eine Kampagne, die die Verantwortung des Einzelnen wecken möchte. Füreinander. Man ist nicht allein, sondern kann in einer Symbiose mit anderen Menschen aufmerksam wahrnehmen, annehmen. In der heutigen Zeit nur in seinen Landesgrenzen Definitionen auszusprechen, finde ich unverantwortlich. Man muss weltweit denken, Verantwortung haben. Verantwortung der Zukunft gegenüber!“

Sten: „Das Weiche ist wichtig, bewegt letzten Endes mehr. Das Harte zerbricht irgendwann!“

Insofern erklingen auf Klee-Alben weniger harte Töne.

Suzie: „Im Gegensatz zu ´Zwischen Himmel und Erde´ haben wir jetzt mehr mit elektronischen Elementen, auch mit Arrangements percussiver Art herumgespielt. ´Die Königin´ ist ein sehr elektronisches Lied, ´Mein Vertrauen´ hat ebenfalls viele solcher Elemente.“

Sten: „Man illustriert den Inhalt musikalisch. Manchmal ist es aber ein Zusammenspiel, was einfach so passiert. Das man am Klavier sitzt und alles sofort klar zusammenhat. Da muss man nicht mehr ausprobieren. ´Die Königin´ war so ein Song, wo der Text musikalisch illustriert wurde. Wir hatten zuerst die Musik, eine Art Dance-Pop mit einem euphorischen Refrain-Ansatz. Wir haben dann ein wenig mit den Spirits gespielt, mit dem Bild, was man auf der Tanzfläche so fühlt, wenn man durch die Nacht tanzt.“

„Wir haben das Klischee einer Diva umgesetzt, mit den vor dem Refrain hörbaren Glocken, mit ineinandergehenden Disco-Bässen. Bei `Zwei Herzen´ sollen die Tom-Schläge genau 1:1 übersetzen, was gesungen wird,“ ergänzt Suzie. „Du und ich“ bewegt den Hörer gar mit historischen Klängen.

Suzie: „Du meinst dieses Velvet Underground-Mo Tucker-Schlagzeug, nicht wahr? Die Popmusik ist ein großes Netz mit 1000 Knoten, die Bands machen, wo man sich dran weiterentwickeln kann, was man weiterknüpft. Wenn man Popmusik macht, hat man auch ein Interesse an Musik, die schon gemacht wurde, die wiederentdeckt werden könnte. Mit der man selbst groß geworden ist, wozu man eine Liebe hat. Das fließt ein in die Arbeit, die man macht.“

Sten: „Manchmal weiß man es gar nicht. Plötzlich hört man dann ´Wie Weit´ z.B. auf dem Album, und denkt, diese Bass-Drum-Figur ist ja wie bei ´Don´t Stand So Close To Me´ von Police. Es war aber keine Absicht.“

„Manchmal bewusst, manchmal unbewusst,“ bestätigt Suzie. „Wenn ich Velvet Underground nicht kennen würde, oder du, dann würden wir uns ja nicht daran erinnert fühlen. Ein Strokes-Fan hätte sich sicher an die Strokes erinnert gefühlt...“

Sten unterbricht seine Kollegin. „Aber die Strokes haben ja auch Velvet Underground gehört...“ Kerstgens: „Ja, aber es kommt immer darauf an, wo man ansetzt. Du bist halt früher angefangen als jemand, der mit den Strokes angefangen ist!“

Sten: „Die jüngere Generation kennt Velvet Underground wahrscheinlich gar nicht!“

Suzie: „Diese Verknüpfungen, diese Knoten in dem Netz...die sind doch gerade spannend!“

Womit bewiesen wäre, dass Musik verbindet. In diesem konkreten Fall beide Interview-Parteien. Worüber sich Sten sehr freut. „Es ist schön, wenn DU das so sagst. Weil es unsere Absicht ist, dass wir so Momente hineinpacken, die man entdecken kann, wenn man möchte. Dass es nicht nur eine Ausrichtung gibt, sondern das man spürt, dass wir viel gehört haben, andere Sachen auch toll finden.“

Besonders Tom Liwa hat es ihnen angetan. Einige Mitglieder von Klee kennen Liwa seit Anfang der 90er Jahre. Es besteht eine große Vertrautheit zwischen ihnen.

Tom: „Er legt auch gern mal die Hand auf. Mit Tom besteht eine Seelenverwandtschaft, weil man ähnlich tickt, so gut zusammenarbeiten kann.“

Laut Suzie war Liwa einer der ersten Singer/Songwriter, der auf Deutsch gesungen und Empfindsamkeit in den Texten verarbeitet hat. Liwa ist stetig auf Klee-Alben vertreten, aktuell war er an den Titeln „Wie Weit“, „Weil es Liebe ist“ und „Zwischen Glauben und Vertrauen“ beteiligt.

Diese Ansammlung von Einflüssen ist unter dem Sammelbegriff „Berge versetzen“ nun überall wahrnehmbar. Der im übertragenen Sinne, an den Kino-Film angelehnte, Einwurf „Was nützt die Liebe in Gedanken“ sorgt für Lacher, denn niemand hat den Film gesehen.

Sten: „Es ist klar, man kann keine `Berge versetzen´. Diese Worte stehen für ein euphorisches Gefühl. Gerade bei Verliebtheit glaubt man an alles. Alle Hoffnungen sind noch da, man ist nicht betrübt. Einerseits, im Song, geht es darum, dass man eben das nicht kann – Berge versetzen. Das Album heißt aber auch `Berge versetzen´, gerade weil in uns die Utopie noch da ist, es doch zu können. Es ist ein Bild, dass man sich von beiden Seiten anguckt.“

Suzie: „...getragen von Idealismus!“

Eine solche traumhaft-schöne, utopische Stimmung drückt auch das Cover von „Berge versetzen“ aus. Gleichfalls spiegelt es die Zerbrechlichkeit wieder. Alle Titel des Albums sind gleichwertig, auch wenn nicht alle potentielle Single-Kandidaten sind. Servaes weiß diese Stimmungen sehr farbenfroh zu beschreiben. „Jedes Lied steht für eine Farbe nebeneinander. Erst alle Farben ergeben das gesamte Bild. Nicht umsonst heißen wir ja Klee, weil der Maler ähnlich gearbeitet hat. Er hat Farbflecken zu neuen Bildern werden lassen.“

Ursprünglich gab es circa 50 Farben, von denen dann 13 „Berge versetzen“ geworden sind. Auf der Deluxe-Version befinden sich noch 2 weitere Farben, andere werden später sogenannte Single-B-Seiten bunter gestalten. „Dann wird aus Gelb vielleicht Grün, mit ein bisschen Blau, oder so.“

Engelsblau vielleicht, wie das Wasser der Elbe. Irgendwie entsteht so etwas wie ein „Wood-stock-Gefühl“. Vor dem geistigen Auge tänzeln Blumenkinder. Die Welt ist schön! Hoffentlich reißt uns die Realität nicht allzu schnell aus unserem Traum!

Aktuelles Album: Berge versetzen (Island / Universal)


Weitere Infos: www.kleemusik.de Foto: Espen Eichhöfer

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