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MOGWAI

Obama ist ein Habicht

MOGWAI

Schotten sollen sehr eigen sein, sagt man. Speziell diese eine Gruppierung schottischer Herren sei ganz besonders seltsam und kauzig, sagt man weiter. Dabei sind sie doch so nett, diese Mannen von Mogwai. Nur weil sie Blur schon immer blöde finden, sind sie doch keine bösen Menschen. Im äußerst unterhaltsamen Gespräch über ihr neues Album „The Hawk Is Howling“ beweisen die vermeintlichen Griesgrame ihren guten Humor und verraten, dass sie neben Blur auch noch Bono, Madonna, Radiohead und Johnny Rotten gefressen haben. Aber echt jetzt! Mogwai bleiben sich eben treu - und das in allen Belangen.

„Guten Tag!“ - Was für eine erstaunlich verständliche Begrüßung, die da aus dem Mund des auf dem Sofa herumfläzenden Barry Burns plumpst. Er ist ein waschechter Schotte und damit eigentlich nur schwer bis gar nicht zu verstehen, wenn er den Mund aufmacht. Aber Barry will gleich zu Beginn des Interviews nicht mit seinem schottischen Slang, sondern mit seinen frisch antrainierten Deutschkenntnissen glänzen. Diese hat er sich nicht netterweise für seine Interviewpartner draufgeschafft, sondern weil er bald ein neues Zuhause haben wird.

„Ich ziehe in Kürze nach Berlin. Weil es dort günstig ist und keinen beschissenen Curfew gibt. Aber in erster Linie weil ich Lust auf eine Veränderung habe“, verrät er in einer Art Schottisch, das ein in Wales lebender Bayer mit schwäbischem Dialekt nicht besser hätte phrasieren können.

„Mein Deutsch ist noch zu schlecht, um hier richtig loszuplappern. Aber ich weiß, dass auch unsere Muttersprache für euch Deutsche ein harter Brocken ist. Deshalb werde ich versuchen, ein Englisch wie aus dem Lehrbuch zu sprechen.“

„Ich nicht“, grinst Mogwai-Drummer Martin Bulloch, der in den Interviewraum des PIAS-Headquarters hereinmarschiert, sich zielstrebig ein Bier aus dem Kühlschrank schnappt, Platz nimmt und hinterher nuschelt: „War nur ein Scherz.“

Die beiden sind das Gegenteil vom hip geleckten Brit-Slacker und nun in Hamburg, um über das neue Album ihrer Band zu sprechen - ob sie wollen oder nicht. Diese Band ist seit nunmehr 13 Jahren Instanz und Institution. Weil ihre Musik wie ein Fels in der Brandung steht, der den modischen Stürmen und heißen Lüftchen trotzt und ein unerschütterliches Monument einer eigensinnigen Mischung aus einlullender Atmosphäre und mordsmäßigem Berserkerkrach darstellt. Ein Monster der Wall Of Sound, das im nahezu wortlosen Postrock mehr Kinder gezeugt hat, als ihm bewusst ist. Es ist für alle Mitglieder von Mogwai „ein stranger Gedanke, wenn wir uns selbst als einflussreiches Postrock-Vorbild für viele Bands oder gar einen bestimmten Sound sehen würden. Denn wir sind ja nur ein paar Typen, die Musik machen. Auch wenn wir es natürlich mögen, dass man uns als die Rolling Stones des Postrocks bezeichnet“, spricht Martin mit einem Augenzwinkern für alle. Aber auch sie als vermeintliche Schöpfer eines Klangbildes wurden einst selbst mächtig von Außen beeinflusst. Zu ihren Anfangszeiten hörten sie Slint, The God Machine, Low, My Bloody Valentine, Smashing Pumpkins und Sonic Youth. Als der Keyboarder, Gitarrist und Berliner in Spe Barry 1998 dazukam, brachte er erstmal den Funk in die schottische Bude, bevor sich die Band dann an die „Come On Die Young“-Aufnahmen machte. Funk?

„Ja, ich habe damals viel Funk und auch alten Dylan-Kram gehört. Eigentlich nur Zeug, das nichts mit dem Sound, den die Leute mit Mogwai verbinden, zu tun hatte. Das ist auch heute noch so. Ich steh auf Sachen aus dem Hause Kompakt und mag auch viel aus dem Techno- und Dance-Bereich.“

Trommler Martin knüppelt kurz und bündig dazwischen: „Meine absolute Lieblingsband ist momentan Converge. Die sind so grandios brutal.“

Eine bunte Mischung, die sich die Jungs da seit Jahren zu Gemüte führen. Umso erstaunlicher, dass sich die musikalische Entwicklung der Band nur peripher davon beeindrucken lässt. Zumindest allem Anschein nach: Mogwai klingt wie Mogwai, seit jeher - und das auch auf alle Ewigkeiten? Wie steht's denn um die eingangs erwähnte Lust auf Veränderungen?

„Wir wollen Mogwai nicht umkrempeln. Mogwai hat einen besonderen Sound, einen eigenen Klang und eine bestimmte Art, Songs zu schreiben - warum sollten wir nun plötzlich Jungle-Elemente in unseren Sound einweben oder auf experimentierfreudigen Bowie machen!? Wir sind sogar eigentlich sehr froh, dass wir nicht diesen Druck verspüren, uns von Platte zu Platte auf Biegen und Brechen verändern zu müssen. Das zermürbt doch total - und außerdem kommt oft ja auch nur Schrott dabei raus. Das kann dann auch nicht Sinn und Zweck sein, wenn deine Musik nur um der Veränderung willen wie ein Haufen Dreck klingt.“

Punkt. Da liegt ein nicht unerheblicher Teil Wahrheit in Martins Erklärung, ganz klar. Aber während so etwas für den Einen das einzig Wahre des Gewünschten und altbekannter Hörgewohnheiten ist, klingt das in den Ohren des Anderen nach künstlerischer Stagnation und Wiederholungstaten. Ausschlaggebend ist in diesem Fall aber nur, ob die „Rolling Stones des Postrocks“ höchstpersönlich damit gut fahren und sich selbst nicht manchmal anöden:

„Nö, eigentlich nicht - zumindest live nicht. Ich mag es sehr, wenn wir unterwegs sind und Konzerte spielen. Aber ganz ehrlich“, gesteht Barry, „ich gehe nicht gerne ins Studio. Ich finde Aufnehmen scheiße.“ Auch Martin geht es da ganz ähnlich:

„Es ist immer so steril im Studio, alles fühlt sich befremdlich an. Du hast blöde Kopfhörer auf und spielst in irgendwelche Mikros. Das ist hohl. Live ist das eine völlig andere Geschichte. Da herrscht ein ganz anderes Gefühl. Da sind wir miteinander in einem Element und vorne wird von Menschen etwas absorbiert. Und wenn die Leute das alles absorbieren, kommt eben auch meistens ganz viel von ihnen zurück. Derartiges kann dir ein Mikro im Studio nicht vermitteln.“

Apropos Vermittlung: Hat die Band Mogwai eigentlich irgendetwas zu sagen - oder stecken hinter Songnamen und Albumtitel noch immer keine Bedeutungen? Barry nickt, während Martin ausholt:

„Der Albumtitel unseres neuen Albums bezieht sich auf die aktuellen amerikanischen Präsidentschaftswahlen. Obama ist der Habicht, der jault.“

Barry ist perplex, reißt die Augen auf und runzelt die Stirn: „Das wusste ich gar nicht. Stimmt das wirklich?“ Martin nickt. „Du lügst doch, nicht wahr!?“

Martin nickt erneut und bricht in lautes Gelächter aus. „Auf die Obama-Interpretation kam neulich irgendein Journalist. Was für ein Schwachsinn! Musik und Politik - diesen Bereich sollte man ausschließlich Bono überlassen!“

Und wieder lachen die Schotten lauthals los. Bono ist selbstredend die perfekte Steilvorlage für die Frage, welche Band Barry und Martin denn gerne in den vorzeitigen Ruhestand schicken würden, wenn sie könnten.

„Madonna. Weil ich diese 50jährige nicht mehr in ihrer Unterwäsche sehen möchte. Sie hat gute Sachen gemacht, aber die letzten Jahre waren schlimm. Die soll sich einfach zurückziehen, ihr Geld zählen und ausgeben und damit einen schönen Lebensabend verbringen. Auch Paul Weller sollte einfach nur noch zuhause Gitarre spielen. Er ist ein alter Mann und er muss uns echt nicht mehr mit seinem Zeug belämmern. Das wäre sehr nett von ihm.“

Und wenn man schon mal am Lästern und Dissen ist, dann soll die Welt auch bitte und ausdrücklich erfahren, dass Johnny Rotten ein Rassist ist und Radiohead mit ihrem letzten Album der Musikindustrie alles andere als einen Gefallen getan haben. Ersteres hat mit den von Mogwai erlebten rassistischen Äußerungen des Sex Pistol-Frontmanns gegenüber Bloc Partys Kele Okereke zu tun und letzteres zielt auf die Pay-What-You-Want-Aktion von Thom Yorke & Co ab, was Martin doch partout nicht gutheißen kann.

„Ehrlich gesagt finde ich es eine Frechheit, dass Radiohead das gemacht haben. Denn das war sicher keine Heldentat, die eine Revolution der Musikindustrie zum Guten bewirkt hat. In deren Situation war das ein Leichtes!“

„Es ist doch so“, fügt Barry hinzu, „dass Gold irgendwann einen bestimmten Wert bekommen hat, weil die Menschen ihm diesen Wert beigemessen haben. Radiohead haben ihren Anteil dazu beigetragen, dass Musik auf Tonträgern noch weniger Wert ist, als sie eh schon in diesen Zeiten ist. Das ist megascheiße und hilft der Musikindustrie in keinem Fall weiter. Und sie haben das natürlich auch nur gemacht, weil sie es sich leisten können. Würden sie von den Verkäufen abhängig sein, hätten sie das nicht gemacht, da bin ich mir sicher. Bands wie uns hat diese Aktion das Leben noch schwerer gemacht. Fuck 'em all!“

So lieben und verstehen wir sie: Mogwai - laut und ehrlich.

Aktuelles Album: The Hawk Is Howling (Wall Of Sound / PIAS)

Foto: Steve Gullick

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