interviews kunst cartoon konserven liesmich.txt filmriss dvd cruiser live reviews stripshow lottofoon

MARIA SOMERVILLE

Katharsis auf leisen Sohlen

MARIA SOMERVILLE

Im WESTZEIT-Interview bezeichnet Maria Somerville ihr neues Album, ´Luster´, als "Liebeserklärung an den Ort, an dem ich wohne, und die Menschen, die hier leben." Tatsächlich ist Somerville nach einigen Jahren in der irischen Hauptstadt Dublin inzwischen wieder zu ihren Wurzeln im County Galway zurückgekehrt. Aufgewachsen ist sie in Connemara an der zerklüfteten Westküste der Insel inmitten von viel Natur und pittoresker Landschaft, und ihre oft zarten Songs zwischen Shoegaze und Folk sind in ihrer Weite und Ursprünglichkeit offenkundig ein Produkt dieser Umgebung.

Mit ihrer Musik erinnert Maria Somerville an das goldene Zeitalter des britischen 4AD-Labels, auf dem in den 80ern und frühen 90ern Bands wie This Mortal Coil, Cocteau Twins oder Lush mit ihren verträumten Indie-Pop-Songs einen unverwechselbaren Sound schufen, den sie nun für sich adaptiert und mit Einflüssen aus ihrer Kindheit vereint. Denn die erste Musik, mit der sie in jungen Jahren in Berührung kam, war deutlich ursprünglicher.

"Ich bin mit den traditionellen irischen Balladen aufgewachsen, die mein Vater und meine Onkel gesungen haben", erzählt sie. "Diese 'blood harmonies' waren mein erster Kontakt mit Musik, und diese Art des unbegleiteten Gesangs ist sehr kraftvoll. Deshalb habe ich, als ich jung war, genauso gesungen, und praktisch habe ich mich durch alle erdenklichen Situationen gesungen, ganz gleich, ob es glückliche oder traurige waren. Deshalb ist es immer sehr kathartisch für mich, wenn ich meine Stimme benutze, Gitarre spiele oder Sounds kreiere."

Der Wendepunkt kam für sie, als sie fürs College ihre Heimat verließ und nach Dublin ging. Dort besuchte sie einen Kurs in Tontechnik und lernte den Umgang mit elektronischen Produktionshilfsmitteln wie Ableton oder Logic, die sie als Musikerin auf den Weg brachten. Während es immer mal wieder Künstlerinnen und Künstler gibt, die lieber nicht zu viel über die technischen und formellen Aspekte des Musikmachens wissen wollen, weil sie glauben, dass das der Sache die Unschuld und die Naivität raubt, schätzt Somerville die Sicherheit, die ihr das angeeignete Wissen bringt.

"Ich mag die Autonomie, die daraus resultiert, ein bisschen Einblick zu haben und zu wissen, wie die Dinge funktionieren", sagt sie. "Das gilt besonders in den Zeiten, in denen wir leben, denn heute kannst du ja ein komplettes Album in deinem Haus, in deinem Schlafzimmer aufnehmen. Trotzdem funktioniert das aber nur bis zu einem gewissen Punkt. Das ist auch der Grund, warum ich für ´Luster' mehr auf Kollaborationen zurückgegriffen habe. Ich wollte die Platte klanglich an neue Orte bringen."

Die angesprochenen Kollaborationen mit Musikerinnen und Musikern aus ihrem Umfeld hatten entscheidenden Anteil daran, dass Somerville mit ´Luster´ einen ordentlichen Satz nach vorn macht. Doch gab es eigentlich bestimmte Lektionen, die sie im Laufe des veränderten Kreativprozesses gelernt hat?

"Nun, ich denke, das Ganze ist ein ständiger Lernprozess, und du entwickelst dich fortwährend weiter", erwidert sie. " Oft geht es darum, bestimmte Dinge durchzustehen und dann zu schauen, wohin dich der Weg führt, auch wenn dich das nicht immer ans Ziel bringt. Weil an ´Luster´ mehr Menschen beteiligt waren, war es auch nötig, mehr Entscheidungen zu treffen. Da musst du wirklich präsent sein."

Ein bisschen darf man sich einbilden, dass der Drang, mehr auf Kollaboration zu setzen, auch Ausdruck von Somervilles gewachsenem Selbstbewusstsein ist. Sich stärker auf die Unterstützung anderer zu verlassen, bedeutet ja auch, Kontrolle abzugeben, und das kann bisweilen eine Herausforderung sein.

"Ja, definitiv!", bestätigt Somerville. "Wenn du mit anderen zusammenarbeitest, musst du ihnen ja auch Freiräume gewähren, damit sie ihre Sicht der Dinge einbringen können und du die Gelegenheit hast, ihren Ideen bis zu einem gewissen Punkt zu folgen. In diesen Situationen musst du verletzlich sein, aber es herrschte ein großes Vertrauen in die Intuition der beteiligten Leute."

Die Frage, ob ihr das leichtgefallen ist, anderen zu vertrauen, beantwortet sie mit einem Lachen: "Das kommt ganz auf die Leute an!"

Dass auf der neuen Platte auch ihre Stimme viel deutlicher im Mittelpunkt steht als noch auf ihrem 2019 erschienenen DIY-Debüt ´All My People´, ist Resultat des bereits erwähnten Schubs in puncto Selbstvertrauen, aber auch auf neue helfende Hände und ein bisschen Magie beim Abmischen der Platte zurückzuführen.

"Für ´All My People´ habe ich den Gesang selbst aufgenommen, dieses Mal hatte ich bei einigen Liedern Hilfe", verrät Somerville. "Einige der Gesangsspuren sind trotzdem noch die aus den Demoversionen. ´Gardens´ zum Beispiel hat sich seit dem ersten Tag nicht verändert. ´Projections´ dagegen hat mein Freund Finn [Carraher] aufgenommen. Neben dem Selbstvertrauen hat aber auch geholfen, dass ich einen großartigen Tontechniker, Gabriel Schuman, für den Mix zur Seite hatte. Er hat aus den Pre-Mixes unglaublich viel rausgeholt und den Songs viel mehr Räumlichkeit gegeben. Das hat einen großen Unterschied gemacht."

Bedeutet das auch, dass die Texte dieses Mal eine größere Rolle spielen? Was ist Somerville beim Texten wichtig?

"Textlich spiegelt sich unbewusst immer das, was ich gerade fühle", erwidert sie. "Ich kann nicht sagen, dass ich beim Schreiben nach etwas Bestimmtem suche, trotzdem drehen sich viele Songs um das Thema Wasser."

In der Tat zieht das Wasser Somerville geradezu magisch an - typisch irisch, möchte man meinen. Für sie hat das Wasser eine ebenso heilende Wirkung wie die Verlangsamung der Dinge und ihre Beziehung zum Thema Zeit, was auch in den neuen Songs inhaltlich Spuren hinterließ. Auch dem Mond und den Sternen widmet sie sich auf ´Luster´. So ist der Song ´Réalt´ nach dem irischen Wort für Stern benannt.

Für den Moment freut sie sich aber erst einmal auf die anstehenden Konzerte - Anfang Mai stehen auch Auftritte in Hamburg und Berlin auf dem Programm - und ist gespannt, welche Kreise ´Luster´ ziehen wird.

"Platten haben es an sich, auf ihre ganz eigene Reise zu gehen", ist sie überzeugt. "Das ist wunderschön, denn du weißt nie, in welchem Laden sie irgendwann einmal auftauchen werden."

Aktuelles Album: Luster (4AD / Beggars Group / Indigo)


Weitere Infos: www.mariasomerville.com Foto: Cáit Fahey

Auch von Interesse
› Tonträger › Olymp › MARIA SOMERVILLE - Luster (2025-05-01) ‹‹


Mai 2025
ADAM LYTLE
BILLY NOMATES
CHRIS BROKAW
DAWN BROTHERS
MARATHON
MARIA SOMERVILLE
SOPHIE AUSTER
‹‹April