interviews kunst cartoon konserven liesmich.txt filmriss dvd cruiser live reviews stripshow lottofoon

DAWN BROTHERS

Weird is wonderful

DAWN BROTHERS

Bei den Dawn Brothers leuchtet der Geist der alten Helden in der Ferne: The Band, Little Feat, Bob Dylan, Neil Young, Leon Russell oder sogar Steely Dan haben alle ihre Spuren hinterlassen im leidenschaftlichen Americana-Sound des niederländischen Quartetts, das schon immer die Tugenden des Folk mit einer seelenvollen Performance verbunden hat. Das ist auch auf dem just erschienenen Album ´Cry Alone´ so, wenngleich ein Hauch von klanglichem Zeitgeist dafür sorgt, dass die eigenen Ideen von Bas van Holt, Tammo Deuling, Drummer Rafael Schwiddessen und Pianist Rowan de Vos dieses Mal mehr Gewicht haben. Ende Mai sind die Dawn Brothers auf Tour in Deutschland unterwegs.

Dass es die Dawn Brothers überhaupt gibt, ist einem glücklichen Zufall zu verdanken. Erstmals zusammen auf der Bühne standen die damals noch in unterschiedlichen Projekten aktiven Mitglieder des Rotterdamer Quartetts bei einem Tribut-Konzert für The Band, doch schnell war klar, dass es dabei nicht bleiben konnte. "Wir stellten fest, dass wir ein Händchen für diese Art von Musik haben, dass es einfach passt", erinnert sich van Holt im WESTZEIT-Interview. "Letzten Endes sind es einfach Folk-Songs, aber wir gehen sie auf eine wirklich seelenvolle, soulige Art und Weise an."

Der Erfolg gab van Holt schnell recht. Gleich mit dem Song ´Vampires´ vom 2017 veröffentlichten Debütalbum ´Stayin‘ Out Late´ gelang den Dawn Brothers der Hit, auf den viele andere Acts ihr ganzes Leben lang warten müssen. Bis heute ist das Lied das meistgestreamte der Holländer, und mit den anschließenden Konzerten erspielte sich das Quartett schnell den Ruf einer ganz ausgezeichneten Live-Band. Sich allein an das Erfolgsrezept des ersten Albums zu klammern, war den Dawn Brothers aber zu wenig. "Für unser erstes Album haben wir unser damaliges Live-Repertoire auf Platte festgehalten, nachdem wir die Songs ein Jahr lang in Bars und bei kleinen Festivals gespielt hatten", erklärt van Holt. "Auf der zweiten haben wir versucht, Musik mit einer Aussage zu verbinden, aber das hat nicht wirklich funktioniert. Dann haben wir ein Album gemacht, mit dem wir auf klangliche Perfektion abgezielt haben, bevor ´Alpine Gold´ sehr intuitiv beim Jammen entstanden ist."

´Cry Alone´ ist nun ein Album, auf dem die authentische Annäherung an den Sound der Idole von gestern, die den Dawn Brothers bei ihren ersten Platten den Weg gewiesen zu haben schien, dieses Mal weiter den je in den Hintergrund rückt. Stattdessen sind die bandeigenen Vorstellungen nun deutlich prägender, und das lässt die Band ein Stück weit näher an die Gegenwart heranrücken. "Ich weiß nicht genau, woran das liegt, wenngleich ich zustimmen würde", sagt van Holt. "Der Grund ist vielleicht, dass es auf diesem Album bestimmte Texturen gibt, die nicht unbedingt zum üblichen Roots-Americana-Vokabular gehören."

Dass dabei nicht alles über Bord geht, was die Dawn Brothers zuvor ausgemacht hat, versteht sich von selbst. "Schließlich haben wir auch mit dem gleichen Produzenten zusammengearbeitet und im gleichen Studio aufgenommen", sagt van Holt. "Das neue Album hat einen Jazz-Einschlag, in puncto Herangehensweise und wie wir nach schräg klingenden Mustern gesucht haben, die nicht so simpel sind, aber trotzdem noch das Gefühl vermitteln, dass sie Soul haben."

Deshalb ist auf ´Cry Alone´ der Wunsch nach dem Suchen und Finden einer neuen Perspektive unüberhörbar. Die Grooves treten deutlicher in den Vordergrund, John Coltrane stand bei den Kompositionen und Arrangements Pate und nicht zuletzt hatte die Band dieses Mal keine Scheu vor einer ordentlichen Portion Weirdness. Doch so organisch die behutsame klangliche Neuausrichtung auf "Cry Alone" auch klingt, war es doch ein gutes Stück Arbeit, dorthin zu gelangen: "Jeder Song hat eine gewisse Intuition in sich, und wenn man ihn so spielt, entsteht die geringste Reibung", sagt van Holt. "Als Künstler willst du eine Idee in einem Song festhalten, aber du musst dich auch immer fragen, wie du die Sache in den Griff kriegst: Welches Wort passt am besten, damit der Song möglichst frei fließt, welcher Rhythmus, welche Akkorde, welche Melodie?"

Dass die Songs auf ´Cry Alone´ passend zum Albumtitel nicht nur musikalisch, sondern auch inhaltlich düsterer und nachdenklicher daherkommen, spiegelt das Leben in ungewissen Zeiten wider. Zwar finden sich auf der LP vor allem traurige Liebeslieder, aber die nutzt van Holt lediglich als Metapher für all die Dinge in der Welt, die vielen derzeit schwer auf der Seele lasten. "Ich würde zwar nicht sagen, dass die Songs direkt von Dingen inspiriert wurden, die derzeit passieren, aber natürlich hat das einen Nachhall in den Liedern", erklärt van Holt. "Ich denke, egal, ob du rechts oder links, vorwärts oder rückwärts orientiert bist, alle dürften zustimmen, dass man momentan unmöglich sagen kann, was die Zukunft bringen wird. Alle haben Angst und niemand ist gelassen."

Im Mai gibt es nun die nächste Gelegenheit, sich von den mitreißenden Live-Qualitäten der Dawn Brothers bei Konzerten in Hamburg (Nochtwache), Berlin (Lark) und Köln (Tsunami) zu überzeugen – und tatsächlich sind es gerade diese vergleichsweise kleinen Läden, in denen van Holt und Co. am liebsten auftreten, wie er abschließend verrät: "Wenn du in großen Hallen vor Tausenden von Leuten auftrittst, wird alles verstärkt und es gibt keinen natürlichen Sound mehr, und das kann leicht etwas abgestanden wirken. Da muss man sich dann wirklich darauf konzentrieren, eine Show abzuliefern. In einem kleinen Laden, in dem die Leute schwitzen, weil sie dicht an dicht tanzen, ist einfach eine ganze andere Art von Sound im Raum, und es macht auch nicht so viel aus, wenn mal etwas schiefgeht auf der Bühne. Idealerweise würden wir immer in Läden für 100-200 Leute auftreten, denn wenn diese kleinen Venues rappelvoll sind mit Menschen, die dich lieben, fällt es dir leicht, auch sie zu lieben. Dann wird es wirklich intim, und das ist großartig!"



Aktuelles Album: Cry Alone (Excelsior Recordings/Bertus)





Mai 2025
ADAM LYTLE
BILLY NOMATES
CHRIS BROKAW
DAWN BROTHERS
MARATHON
MARIA SOMERVILLE
SOPHIE AUSTER
‹‹April