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AUGN (06.11.25, SO36 Berlin)

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Berlin, Donnerstagabend, kurz nach 8. Schon aus einiger Entfernung sehe ich im Herbstdunkel eine größere Menschentraube, die sich bis auf die Oranienstraße zurückstaut. Aha, wird voll. Ist ja auch ausverkauft. Trotz ihres unvergleichlichen Anti-Auftritts im Monarch vor 2 ½ Jahren (wir berichteten) ziehen AUGN noch immer eine nennenswerte Menge an Leuten an. Und weil man bei den beiden Jungs nie weiß, was wann passiert, wollten offenbar auch die coolen Hauptstädter nicht unbedingt zu spät sein. Also Rad an irgendwas Unverrückbarem anschließen und rein. Die wirklich legendären Zeiten des SO36 sind zwar lange perdu, aber dennoch hat der in feinster Berlin-Manier heruntergerockte Schuppen einen unwiderstehlichen Charme (das 6-Euro-Flaschenbier schenke ich mir trotzdem). Auf der Bühne stehen wieder zwei Schaufensterpuppen. Mein erster Gedanke: Nicht nochmal die Monarch-Nummer! Bitte! Einmal ist genial, zweimal nur dumm. Warten wir’s mal ab. Wieder läuft eine Bandschleife, heute mit so launigen Mitteilungen wie: "Macht euch bereit! / Wir sind veggie(?) / Und es juckt schon in unseren Hosen / Gleich geht's los / Fick fick / Ding Ding / 2 Schwänze / Kein Problem". Zwischen den Puppen ein Bettlakenbanner: "RÄGI". Aha. Heute also eher was legasthenisch-karibisches? Auch gut. Irgendwann mag ich über den ganzen FäkalSexSpäßchen vielleicht auch mal kurz eingenickt sein – jedenfalls räumen jetzt zwei stage-guys die Puppen weg. Schon zu Ende? Ach nee, es beginnt ein neuer PerformanceAbschnitt: die Herren hissen die Flagge der UdSSR und stellen einen Mikroständer auf, an dem das klebt, was man in meiner Kindheit "Negerpuppe" genannt hätte. Ganz hinten prangt an einem schwarzen Vorhang ein A4-Porträt von Sahra Wagenknecht, die sich in einer neuen WortSchleife endlos über den Anteil der NATO-Osterweiterung am Ukrainekrieg auslassen muss. Nun beschallen zwischen Sahras Tiraden auch die SU-Hymne oder Nicoles "Ein bisschen Frieden" den Saal, die jungen Menschen neben mir haben recht bald genug davon und brüllen "Es reicht!". Interessiert aber keinen. Warum auch. Flagge und Puppe verschwinden – mittlerweile ist eine gute Stunde vergangen. Und dann stehen plötzlich inmitten von den gesamten Bühnenraum einhüllenden Trockeneisnebelschwaden die beiden AUGN auf der Bühne – als wären sie von Himmel gefallen. Oder den dunklen Höllenkellern des SO36 entstiegen. Der schon vorher nicht unerhebliche Schalldruckpegel wird nochmal verdoppelt und eine vor mir auf der Bühnenkante stehende leere Getränkedose beginnt zu tanzen. Die beiden TouretteSituationisten drehen mit ihren Nylons auf dem Kopf voll auf: der barfüßige BassMann springt wie Tarantel-gestochen auf der Bühne umher, sein fülliger GesangsKollege hat die Schuhe vorsichtshalber mit viel Gaffa-Tape dekoriert und versucht, seinen Mund möglichst Musik-synchron ans Mikro zu halten. Denn dass die Show aus KonservenLippenBewegungen besteht, ist der Band mindestens so egal wie dem Publikum, das die Jungs freudig feiert. Als Hipster-Variante von Milli Vanilli zelebrieren AUGN zu knallenden Beats ekstatisch-genervt ihren Sunn O)))-Sound in einer PlayBack-Variante, die auch Deutsch-Rap-Fans verstehen. Beinahe brav, wie sie das ganze "Grüner Star / Rosarote Brille"-Album abspulen: nix Altes, nix Zukünftiges, nur das aktuelle Ding. Ding. AUGN finden eben nur im Jetzt statt. Klar und direkt. Mir hat’s gefallen.




Dezember 2025
AJA MONET (19.11.2025, Stadtgarten, Köln)
ANNA KATARINA (27.10.25 Aachen, Domkeller)
AUGN (06.11.25, SO36 Berlin)
DESTROYER (08.11.2025, Luxor, Köln)
GOODWIN & GINA ÉTÉ (17.10.25 Köln, Kulturkirche)
NATION OF LANGUAGE (18.11.2025, Gloria, Köln)
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