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POP-KULTUR FESTIVAL 2025 (25.-30.08.2025, Berlin)

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Man hatte sich als Besucher der letzten 10 Ausgaben des Berliner Pop-Kultur Festivals in den Spielstätten der Kulturbrauerei am Prenzlauer Berg schon daran gewöhnt, mehr zu verpassen als wahrnehmen zu können – besonders dann, wenn außer des Musikprogramms auch noch das Rahmenprogramm aus Panel Talks, Lesungen, Diskussionsrunden und Präsentationen zur Auswahl angestanden hatten. Deswegen war es sicherlich eine gute Idee der Festivalmacher, das Festival mit der diesjährigen Ausgabe über die ganze Woche verteilt zu organisieren und dazu auch noch auf mehrere Spielstätten zu verteilen (neben der Kulturbrauerei waren das das Kulturzentrum Silent Green und umliegende Kneipen im Wedding und das Kulturzentrum Festsaal Kreuzberg).

Oben: Malonda / E. Frawley, J.L. Parker, S. Brown

Mitte: Efterklang / Elfi

Unten: Eli Preiss / Anika

Die Trennung des „Wort-Programms“ am Montag und Dienstag sowie des Musikprogramms am Mittwoch, Freitag und Samstag und zusätzlich das neue Format des „Labelmarktes“, bei dem sich die Creme der Berliner Indie-Labels im Festsaal Kreuzberg dem Publikum und der Fachwelt präsentierten ermöglichten sowohl den Musikfans, wie auch den Business-Teilnehmern und den Künstlern, sich über die ganze Woche zu engagieren und auszutauschen. Als Bonus kam dann noch hinzu, dass am Montag, Dienstag und am Donnerstag im Festsaal Kreuzberg (bei freiem Eintritt) ein paar Musik-Ereignisse zusätzlich angeboten werden konnten: Am Montag etwa de Folkwang-Nachwuchs-Showcase mit lokalen Künstlern, am Dienstag weitere Nachwuchs-Showcases und Showcases der neuen Sonic Crossings-Reihe im Wedding und am Donnerstag ein Konzertabend mit Juli Gilde, Fastmusic, Charlotte Colace, Maurice Summen und Jörg Heidemann im Festsaal Kreuzberg).

Das Problem war dann, dass die normale Festivalordung damit nicht mehr greifen konnte. Die Eröffnung des Festivals begann etwa mit einem Grußwort von Balbina und diversen Ansprachen der Festivalmacher dann erst am Mittwoch im Kuppelsaal des Silent Green, wo dann auch die ersten „regulären“ Musik-Shows dargeboten wurden. Diese hatten es dann aber auch in sich, weil aufgrund des geschickten Timings in drei Spielstätten des Silent Green Komplexes dann erstmals in der Geschichte des Pop-Kultur-Festivals alle Musikereignisse eines offiziellen Festivaltages besucht werden konnten. In der sogenannten Betonhalle (vermutlich einer ehemaligen Tiefgarage) spielte das Hauptprogramm: Eingerahmt von kurzen Sets der DJane ABIBA gab es dort die Shows von Güner Künier (Postpunk-Power mit Kaputnik-Darkwave-Flair im Trio-Format), der Pop-Kultur-Veteranin Anika im erstaunlich authentischen Rampensau-Rock-Modus und des immer wieder überraschend agierenden Multi-Pop-Duos ÄTNA, wobei Inez Schäfer und Demian Kappenstein dieses Mal vom Kollektiv Reflektor – einem vielköpfigen Streicherensemble aus Norddeutschland unterstützt wurden. Das war dann als normales Konzert angekündigt – wobei die Grenze zwischen Commissioned Work und klassischen Shows in diesem Jahr eigentlich nur noch der Bezeichnung nach aufrecht erhalten wurden. Echte Commissioned Works gab es aber auch – und zwar in der Kuppelhalle (der ehemaligen Einsegnungshalle), wo FAYIM mit einer organischen Band Queeren Soul-Pop-zelebrierte und im Transmediale Studio im Betonhallen-Gebäude wo die österreichische Konzeptkünstlerin Teresa Rotschopf unter dem Motto „The Cave As An Instrument“ den zur Verfügung stehenden Raum tatsächlich in ein Instrument verwandelte, indem mittels 5 über den Raum verteilte „Klanginseln“ ein wahrlich immersives Sound-Erlebnis geschaffen wurde.


Die letzten beiden Festivaltage fanden dann – wie gewohnt – in der Kulturbrauerei am Prenzlauer Berg statt. Hier war das Club-Hopping dann nicht so ganz einfach zu leisten, wie zuvor im Silent Green, da hier die Shows in den 10 Spielstätten und der immer populärer werdenden, frei zugänglichen Çaystube und dem Frannz-Bioergarten teilweise zeitgleich stattfanden. Allerdings war es so. dass durch die thematische Schwerpunktbildung, die in diesem Jahr Hip/Hop, Rap-, DJ-Sets und Artverwandtes ins Zentrum stellte, hier die Auswahl – je nach Vorliebe – leichter fiel als in den Jahren zuvor. 


Am Festival-Freitag gab es dieses Mal dann zunächst Nachwuchsförderung im Frannz-Garten – etwa Bad-Bitch-Rap mit NYYA oder avantgardistischen Hard-Bob-Jazz der weißrussischen Wahlberlinerin KOOB und danach ein phantastisch abwechslungsreiches Club-Programm mit vielen spannenden Highlights. Etwa die Show von Bernadette La Hengst und ihrem 60-köpfigen Chor der Statistik mit dem Commisioned Work „Konkrete Utopien“, gefolgt von einer Show von Stella Sommer und Die Heiterkeit im Frannz Club – die Stella mit den Worten „Willkommen zu meinem Festival“ einläutete, da sie regelmäßig beim Pop-Kultur-Festival aufspielt. Der Düsseldorfer Rapper Boondawg präsentierte im Kesselhaus einen Mix aus DJ-Set und Rap-Gig während im Maschinenhaus das kurzfristig nachnominierte Ensemble døtre für ganz andere Sounds sorgte. Das von den Freundinnen Nynne Spangegaard und Sofie Herdorf Krøyer gegründete dänische Projekt präsentierte mit zwei MusikerInnen und insgesamt vier Sängerinnen und einer ausgefeilten Choreografie die verschiedenen Seiten der Weiblichkeit mit elektronischem Empowerment-Trip-Hop.

In der Çaystube zeigte die Nachwuchs-Hoffnung Ceren einen Mix aus multilingual dargebotenem R'n'B- und Soul-Pop mit türkischer Note und Coverversionen, neuen eigenen Songs und ihren Szene Hit „Dünya“ - bis ein Stromausfall die Playback-Show unterbrach. Ebenfalls in der der Çaystube zeigte das isländisch norwegische Duo Ultraflex (unterstützt von zwei Tänzerinnen) mit einem multidsizipliären Gig zwischen Musikshow mit anzüglich präsentiertem Empowerment-Pop, Pole-Dancing und Workout-Session, das eben nichts unmöglich ist. Im Maschinenhaus bewies die österreichische Rap-Pop-Künstlerin Eli Preiss, wie sich auch ohne großen Produktionsaufwand eine mitreißende Live-Show implementieren lässt, während der spröde Elektronik-Kraut-Pop des Duos Post Neo dann mangels erkennbarem Songmaterial im Ansatz stecken blieb. Für viele sicherlich das Highlight des Tages war dann das Commissioned Work von Andreya Casablanca, die ihre polnisch/schlesische Familiengeschichte und ihr gespaltenes Verhältnis zur institutionalisierten Religion auf ungemein unterhaltsame und witzige Art in einer Art Psychedelia-Messe unter dem Motto „Somebody's Sins But Not Mine“ zelebrierte.

Der letzte Festivaltag – in diesem Falle der Samstag – ist erfahrungsgemäß der mit dem größten Publikumszuspruch; zumal die inoffiziellen Headliner-Acts an diesem Tag im Kesselhaus spielen, was dann dazu führt, dass dort kaum noch ein Durchkommen ist – weswegen es sich empfiehlt, dann auch kleineren Acts in den anderen Spielstätten eine Chance zu geben. Zunächst ging es aber los im Frannz Garten mit den Residenz-Acts – beispielsweise mit der Schiene Accra-Berlin, bei der die Berliner Künstlerin Laura Robles nach Accra reiste, um mit der dort lebenden Multidisziplinären Künstlerin Lor (Laetitia Laure Nsoutou) ein Programm auszuarbeiten, dass dann beim Festival präsentiert werden sollte. Soweit die Theorie – nachdem aber seltsamerweise alle Instrumente (und insbesondere die Loop-Station von Lor) ausgefallen waren, musste das Duo dann auf weitestgehend akustische Improvisationen zurückgreifen – was aber durchaus seinen Reiz hatte. Das offizielle Club-Programm startete dann mit einer Show des aus Elfi Wildgruber und Fabian Merfort bestehenden Duo-Projektes Elfi, das sich an diesem Abend erstmals mit Band live präsentierte. Nur soviel: Das mit ungeheurer Intensiver Energie und ordentlich Rock-Druck präsentierte Set mit deutschem Indiepop allererster Güteklasse gehörte zu den absoluten Highlights des Festivals. Wenn da mal nicht kommende Superstars in the Making zugange waren. 


In der alten Kantine spielte dann die aus Vilnius stammende Künstlerin Migluma ein interessantes Solo-Set mit einem Mix aus Ambient-, Club- und Electronica-Songs, der mit einer ansprechenden Choreographie (bzw. Gestik) zu einem immersiven, hypnotischen Flow verknüpft wurde. Migluma war einer von mehreren Acts aus dem Baltikum, die das diesjährige Festival beehrten. Das ebenfalls aus Vilnius stammende, aus Emilija Kandratavičiūtė und Antanas Jakutis bestehende Projekt Kyla Véjas! begeisterte später nämlich mit ansprechendem semielektronischem, psychedelisch aufgebrezelten Art- und New Wave-Pop. Vorher jedoch präsentierte sich im Kesselhaus das offensichtlich gut aufgelegte dänische Projekt Efterklang mit einer unterhaltsamen erstaunlich organisch ausgerichteten Artpop-Show, dem gleich darauf das mit großen Erwartungen angekündigte Set der multinational besetzten, Londoner Combo Los Bitchos folgte, das mit seinen angeschrägten Cumbia-, Surf-Pop-, Psychedelia- und Tequila-Instrumentals das Kesselhaus in eine Party-Zone verwandelte.

Ein interessantes Thema hatte sich (Achan) Malonda für ihr Commissioned Work im Ramba Zamba Theater ausgesucht. In einem Mix aus Podcast, Theater-Produktion, Comedy und mit Visuals unterstützter Musikperformance präsentierte sich Malonda als schwarze Medusa, die live aus der Hölle (bzw. dem Hades) streamt, aus ihrem Leben als Höllen-Influencerin erzählte, von ihren Problemen mit der Götterwelt berichtete („Wir sprechen nicht ünber Poseidon“) und sich obendrein noch mit ihrer Rolle als schwarze Künstlerin machte und dabei die Metaebene des Theaterspiels gleich noch mit bedachte.

Angesichts dessen, dass es auch dem Pop-Kultur-Festival offensichtlich nicht mehr möglich ist, amerikanische Acts zu buchen, war es dann erfreulich, dass mit der australischen Art-Pop-Funk-Psychedelia Band Gut Health (mit der enigmatischen Frontfrau Athina Uh-Oh (!)) und dem britisch/kanadischen Folkpop-Geschwister-Trio The Gilberts jeweils im Maschinenhaus dann wenigstens noch ein paar originär englischsprachige Acts aufgetrieben werden konnten. Beide überzeugten – jeweils auf ihre Art – mit mitreißenden bzw. eher einfühlsamen Shows. Während die Pop-Kultur-Stammgäste Die Nerven im Maschinenhaus zum wiederholten Male ein gefeiertes – aber auch ziemlich überlaufenes – Set spielten, gab es im Panda Platforma Club die Möglichkeit ein rechtes Berliner Allstar Projekt zu bewundern. Die ursprünglich aus Australien stammende Kosmopolitin Eilis Frawley hatte sich mit Jean-Louise Parker (Crow Baby, Dear Reader) und Sally Brown (Plattenbau) zusammen getan um das gerade veröffentlichte, von Kat Frankie produzierte Album „Fall Forward“ zu präsentieren, auf dem sich Agit-Pop, Krautrock, angeschrägter Indie Pop und vor allen Dingen Frawley's politisch motivierter, wortreicher Sprechgesang zu einem zwar nicht ganz pflegeleichten, aber stets unterhaltsamen Soundmix verquirlen – dem übrigens auf der Bühne wesentlich einfacher zu folgen ist, als im stillen Kämmerlein. Auch wenn danach noch einige parallel laufende Shows ausklangen, war dies dann ein würdiger Abschluss des Pop-Kultur Festivals 2025.

Fazit: Der Gamechanger war tatsächlich die Trennung des Wort- und Musik-Programmes und die Verteilung über verschiedene Spielstätten im Wedding, Kreuzberg und der Kulturbrauerei am Prenzlauer Berg wirkte sich entspannend auf das gesamte Festival-Erlebnis auch (auch wenn die abschließenden beiden Tage in der Kulturbrauerei den Musikfreunden dann doch wieder einiges abverlangten). Dieses Konzept sollte unbedingt beibehalten werden.

https://www.pop-kultur.berlin/



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