
(Propyläen, 459 S., 29,00 Euro)
Vor ziemlich genau zwei Jahren besprachen wir an dieser Stelle ein anderes Buch, an dem die "Terra X"-Autorin Gisela Graichen beteiligt war (nämlich den zusammen mit Harald Lesch verfassten opulenten Band "Liegt die Antwort in den Sternen?") und waren davon nur mäßig angetan. Nun überzeugte der Berliner Landesarchäologe Holger Wemhoff die (natürlich auch hier wieder so beworbene) "Spiegel Bestseller-Autorin" am Rande einer Historiker-Konferenz von seiner Idee, gemeinsam ein Buch über die Welle von Städtegründungen im 13. Jahrhundert zu schreiben. Das Phänomen ist tatsächlich verblüffend: einer der zahlreichen Abbildungen in diesem Buch kann man einprägsam entnehmen, dass die Zahl der in Mitteleuropa stattfindenden Gründungen in der ersten Hälfte des 13. Jhd. von etwa 100 (pro Jahr!) auf über 300 und zwischen 1250 und 1300 gar auf unglaubliche 700+ hochschnellt. Graichen/Wemhoff vertreten dabei die These, dass praktisch jedes heute relevante (Ober)Zentrum seine "Stadt"Wurzeln in dieser Zeit hat. Wer jetzt denkt: "Und was ist mit Trier, Mainz oder Köln?" erfährt, dass nach dem Niedergang des Römischen Reiches die Bevölkerungszahl dieser einst so stolzen Städte rapide absank, in den römischen Ruinen lebte kaum (noch) ein Mensch. Ähnliches gilt für die Städte, die sich wie das hier näher beleuchtete Paderborn (oder Magdeburg) aus (früh)mittelalterlichen Königspfalzen entwickelt hatten - ein altes Machtzentrum war kein Garant für eine prosperierende Stadtentwicklung (s. z.B. Tilleda). Eine Ursache des StädteBooms waren sicher die klimatischen Verhältnisse: das 12./13. Jhd. lag im mittelalterlichen Wärmeoptimum, von dem die beiden zu berichten wissen, dass "an den Hängen des Oslofords ausgezeichneter Riesling gedieh" (woher auch immer die Autoren eine Kostprobe hatten). Auch die gesellschaftlichen Veränderungen, vom sich formenden kodifizierten Rechtsverständnis (Stichwort "Sachsenspiegel") bis zum aufstrebenden Bürgertum, befruchteten diesen Prozess, genau wie technischer Fortschritt (dessen hier für die 1200er behauptete besondere Intensität ich allerdings trotz der Verweise auf "Brille, Kompass, Uhrwerk" nicht unbedingt erkennen kann). Womit wir zum ärgerlichen Teil dieses Buchs kommen: schlüssig dargelegte und gut recherchierte Abschnitte wechseln sich nämlich mit Passagen voller Ungenauigkeiten oder effekthascherischer Behauptungen ab. So wird noch immer von "Sklavenheeren" geraunt, die die "Großbauten im Alten Ägypten" errichtet hätten (hier geht die aktuelle Forschung von vielen "Freiberuflern" aus) oder einem "Hobbyarchäologen" unterstellt, den Schatz, den er im März 1981 im schwäbischen Urach mit seinem Metalldetektor illegal aufgespürt hat, am liebsten umgehend im Internet als "Dachbodenfund" anzubieten. Im Internet. 1981. Nicht schlecht. Bei den Betrachtungen zur Stadtwerdung Berlins ist vom dicht bebauten "Krögel" die Rede, auf der Karte eine Seite später heißt die Gegend "Kröwel" (das alles geht zurück auf niederdeutsch "krouwel" = "krumm") - es fehlt die Stringenz. Und dass der Berliner Museumschef die neugebaute U-Bahn-Haltestelle (Rotes) "Rathaus" der U-Bahn-Linie 2 zuschlägt, lässt vermuten, dass H. Wemhoff die BVG eher selten nutzt. Denn durch diesen Tunnel fährt die U5 - interessante Funde zur Stadtgeschichte fanden sich bei den Bauarbeiten dennoch. Solcherlei Flüchtigkeitsfehler sind sicher verzeihlich, die Penetranz aber, mit der TV-erprobte Sensationslüsternheit hier immer mal wieder wissenschaftliche Gründlichkeit schlägt, weniger. So ist hier über weite Strecken das oft etwas arg "seichte" Terra X-Prinzip (nur keinen Zuschauer/Leser mit zu tiefgehenden Fakten oder überkomplizierten Zusammenhängen verschrecken!) Buch geworden. Der im Grunde hochspannende Ansatz hätte Besseres verdient.Weitere Infos: www.ullstein.de/werke/gruenderzeit-1200/hardcover/9783549100653