
(C.H.Beck, 315 S., 28,00 Euro)
Gleich zwei Untertitel sollen hier Interesse wecken (und tun das auch!): "Der dunkle Gott und seine Geschichte" - "Von den Germanen bis Heavy Metal". Der an der Kieler Universität die Skandinavistik leitende Autor ist ein ausgewiesener Experte für nordische Mediävistik, in seinem neueste Buch geht es also um Odin, Óðinn, Uuoden, Wuotan oder Wodan - der Name mäandert durch die germanische Sprachfamilie und geht wohl auf eine urgermanische Wurzel wie Wôðanaz oder Woðunaz (so bei Böldl) zurück; ein WortFeld aus "Inspiration und Ekstase". Über die Etymologie wird heftig gestritten, Böldl vermeidet eine allzu deutliche Positionierung und stellt mit Irina Kößlinger fest, dass der "gemeinsame Nenner … die 'ungerichtete, iterative, unberechenbare Bewegung schlechthin' sein" könnte, die "die Bewegung im Raum, die stete Wanderschaft … ebenso umfasst wie die geistige Bewegung, die heftige Emotion, die dichterische Inspiration, die Denkbewegung" (wobei beim letzten Wort "bewegung" zur Betonung des Doppelsinns kursiv gesetzt wird). Damit sind wir dem Naturell des germanischen Haupt(?)gottes schon recht nahe - wenngleich man den eigentlichen Zustand, das Wesen Odins mit heutigen Worten als "es ist kompliziert" beschrieben müsste. Schon Hölderlin meinte (wenn auch in etwas anderem Zusammenhang) ja: "Nah ist / Und schwer zu fassen der Gott." Eine ausführliche Analyse der Quellen zeichnet ein facettenreiches und auch widersprüchliches Bild. Das liegt nicht zuletzt auch daran, dass die ersten schriftlichen Belege keine aus erster, also "heidnischer" Hand sind (wie auch, bei einer bis auf die "magischen" Runen schriftlosen Kultur). Tacitus setzt Odin mit Merkur/Mercurius gleich, irische Missionare berichten von heidnischen Bieropfern und auch Snorri Sturluson, der isländische Dichter und Verfasser der (jüngeren) Edda, schrieb diese 200 Jahre nach der endgültigen Christianisierung seiner Heimat nieder. Böldl möchte aber der authentischen GottesFigur nahekommen, ihren religiösen und mythischen Rahmen erkunden und auch ihre Funktion im (spirituellen) Alltag der germanischen Völker ergründen. Dazu sucht er in Legenden, Sagas und Skalden nach Odins Wurzeln, analysiert Ortsnamen und zitiert die Merseburger Zaubersprüche. Episoden wie die vom Skaldenmet faszinieren Autor und Leser (beinahe) gleichermaßen - einer Wertung entzieht sich Böldl aber zumeist. Was dem populärwissenschaftlichen Anspruch dieses Buchs recht gut tut - wir interessierten Laien möchten ja nicht zuvorderst Teilnehmer eines philologisch-mythologischen Streits sein, sondern uns erst mal ein gewisses Grundwissen erarbeiten. Das fehlt(e) offenkundig jener völkischen Bewegung, die insbesondere in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts einem derart okkult-abstrusen OdinsKult frönte, dass es selbst den Nazis zu viel (oder zu gefährlich) wurde. Auch darauf und (wenn auch angesichts des o.g. Untertitels recht knapp) auf die popkulturell-musikalischen Adaptionen (v.a.) im Metal geht Böldl auf nachvollziehbare Weise ein. Dabei erkennt er durchaus an, dass "nicht jede Referenz auf Odin in einem Song bereits ein rassistisches Weltbild oder den Versuch, eine gewaltverherrlichende Einstellung mythologisch zu legitimieren" darstellt und nennt Faun oder Sigur Rós als Beispiele. Als ich letztens aber den Aufkleber "Odin's Söhne" auf einem Transporter prangen sah, fütterte das mein (Vor)Urteil über Nazi-Dumpfbacken denn doch (sofern es dabei um was ganz anderes ging: "Sorry!"). Aber das ist ein anderes Thema – für das hier in Rede stehende Buch gilt: Ob Wikinger- oder Skandinavien-Fan, Wagnerianer, Geschichtsinteressierter oder GermanenFreak - dümmer wird beim Lesen dieser spannenden und bestens recherchierten Ausarbeitung niemand.Weitere Infos: www.chbeck.de/boeldl-odin/product/36959119