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WOLF-RÜDIGER BAUMANN / CLAUDIA SAAM

Ein Haus schreibt Geschichte - Berlin, Mommsenstraße 6

(Transit, 198 S., 24,00 Euro)

In Berlin-Charlottenburg steht das "Mommsenschlösschen", in dessen Innenhof wohl noch heute ein Brunnen plätschern soll, den eine Kopie der Milo-Venus ziert. Es ist ein recht repräsentatives Haus, keine großbürgerliche Villa, aber auch keine Mietskaserne. Baumann und Saam interessierten sich aber nicht (nur) für die Fassade und architektonische oder gar Makler-relevante Details, sondern vor allem für die Geschichte des Hauses. Und die ist - wie so oft - auch im vermeintlich Banalen doch hochinteressant. Also gruben sich die Autoren durch Archive und Nachlässe, recherchierten und kombinierten Fakten und Namen - bis sich ein Gesamtbild abzuzeichnen begann. Erbaut wurde der Komplex 1903/04 vom (Reform)Architekten Albert Gessner und dessen Schwiegervater Ferdinand Harnisch (der praktischerweise nicht nur Bauunternehmer, sondern auch Eigentümer einer ganzen Reihe von Grundstücken in diesem Karree war) und stilistisch sind wir hier tief im Jugendstil. Wie die gesamte (nicht nur, aber gerade) Berliner Wohnungsbau(architektur)geschichte und ihre später in Vergessenheit geratenen baulichen, sozialen und auch kommerziellen Ideen und Errungenschaften einer eingehenderen Betrachtung würdig wäre, ließe sich auch zu den planerischen Überlegungen, die dem Mommsenschlösschen zugrunde liegen, vieles sagen. Einiges (für mich leider zu wenig) legen Baumann und Saam dar, vieles bleibt außen vor. Den Autoren geht es nämlich eher um die (z.T. recht prominenten) Bewohner, die die Wohnungen nach und nach beziehen und unterschiedlich lange bewohnen. Darunter sind mit dem Dirigenten und Königlich-Preußischen Generalmusikdirektor Leo Blech, dem Schauspieler, Regisseur und Theaterintendanten Emil Lessing, dem Autor und Theaterintendanten Alfred Schmidtgen-Schmieden, Ufa-Direktor Oskar Kalbus oder auch den Brüdern Adolf und Otto Neumann-Hofer diverse Koryphäen der zeitgenössischen Musik-, Literatur-, Kino- und Theaterwelt. Auch der Gesichtsprofessor Otto Hirschfeld, der Teppichhändler Adolf Chaskel, der Karikaturist Fritz Wolff und viele weniger Bekannte wohnten dort. Deren Lebenswegen versucht das Buch zu folgen, auch und gerade denen der zahlreiche jüdischen Bewohner. Die Machtergreifung durch die Nazis lässt die bis dahin ziemlich idyllische Hausgemeinschaft zerbrechen, langjährige Bewohner werden ausquartiert, Karrieristen ziehen ein - Geschichte wird hier konkret. Das ist ein Plus dieses Buchs, zu seinen Defiziten gehört der Umstand, dass dem Text ein erzählerischer Faden fehlt. Die Biografien bleiben fetzenhaft und unübersichtlich, der (sicher mit hohem Arbeitsaufwand erzielte) Umfang an Details, Fakten und Einzelheiten hätte besser strukturiert und vielleicht auch hier und da ein wenig eingekürzt werden können. Ebenso erfährt man wenig bis nichts zur Nachkriegsgeschichte des Hauses, wie auch nicht zu den Besitzverhältnissen und kommerziellen Aspekten. Dennoch bleibt das auch mit etlichen Bildern ausgestattete Buch ein schöner Beitrag zu gelebter Zeit, zu realer Geschichte - gerade vor dem Hintergrund der politischen Machtverhältnisse.
Weitere Infos: www.transit-verlag.de/produkt/ein-haus-schreibt-geschichte-berlin-mommsenstrasse-6


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