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QUICKSILVER

V.A.

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Vor vielen Jahren habe ich (womöglich unter dem un(ter)bewussten Einfluß von Phillip Boa und bestimmt auch wegen meiner schon damals ausgeprägten Faszination für steinzeitliche ZivilisationsLeistungen) mal einen Sommer auf Malta verbracht (damals hat mich die Hitze anscheinend noch nicht so gestört, auch wenn ich mich an einen fulminanten Sonnenbrand erinnern kann. Und an eine von einem Gullydeckel halbierte Ratte.). Auch wenn mir in Sachen holidays inzwischen die belgische NordseeKüste lieber ist, blieb ein Faible für maltesische Musik. Deshalb mag ich auch "unum" (Liminal Collective) von ĠENN. Derzeit zwar in Brighton stationiert, haben aber drei der vier hier GitarrenMusik spielenden Frauen ihre Wurzeln auf der kleinen Insel zwischen Sizilien und Libyen. Ihre zwar unterm Strich nicht übermäßig einfallsreichen Songs sind aber eben auch keineswegs wirklich schlecht: voller Verzerrungen, dezenter LärmElemente und mit angenehm theatralischem Gesang; trotzdem immer durchaus melodisch und bemüht, so unterschiedliche Einflüsse wie die lokalen Għana-Traditionen und NewPsychNoise, JazzInteressen und PostPunk unter einen musikalischen Hut zu kriegen. 4
Eine etwas andere Form von düsterer Aufgeregtheit und unterschwelliger Hysterie pumpen BABY FIRE in das schleppend-bass-betonte dunkle GitarrenSoundSetting ihrer EP "A Year Of Grace" (Coeur sur toi). Und dabei ist es ihnen ganz egal, ob der Song nun "Sign In Brightness" heißt oder nicht – bei den Belgiern regiert mal mehr mal weniger verzerrte Verzweiflung. 4
Hinter TAUGHTME steckt der Amerikaner Blake Aaron Henderson, der nach 10 Jahren Pause mit "Laugh On Me" im Eigenverlag ein neues Album herausbringt. Dabei sind einige isländische GroßKünstler, allen voran Úlfur Hansson. Aber auch Gýða Valtýsdóttirs Cello oder die TrommelKünste von Samuli Kosminen (beide Múm) und etliche Gäste mehr kommen zu Gehör. Hendersons eindringlicher Gesang wirkt angenehm brüchig-feminin und entzieht sich jeder Klassifizierung. Die Kompositionen sind ebenso fragil und leichtfüßig wie dicht – jeder Song ein kleines Kunstwerk, das seiner Entdeckung harrt. 5
Es gibt aber auch noch den guten alten IndieGitarrenPop, obschon der TEENAGE FANCLUB die mit seinen formidablen Creation-Alben in den 90ern selbst gelegte Messlatte gerade kläglich reißt. Das neue Album "Nothing Lasts Forever" (Pema) ist wenig mehr als langweilige SelbstReflektion, wenn nicht -Beweihräucherung. 3
Dass es ausgerechnet eine AmiBand wie die DROP NINETEENS ist, die in diesem Monat die Ehre der C86 rettet, spricht also durchaus für sich. Die hatten sich 1995 nach 5 Jahren und 2 Platten aufgelöst, spielen aber seit letztem Jahr wieder in (beinahe) Originalbesetzung. "Hard Light" (Wharf Cat) bietet Shoegazing in bester Ausprägung: laut und doch verträumt, heftig und doch verspielt. 5
Wie handwerklich gut gemacht und doch nichtssagend Musik sein kann, zeigt "We’re All Improvisers Now" (Whirlwind) von TOMMY CRANE. Viele SynthFlächen schmiegen sich an Cranes dezentes drumming und des öfteren auch eine HallGitarre, die in die "Kiss Me, Kiss Me, Kiss Me"-Cure-Zeiten zurück will. Da hilft auch nicht, dass der Mann eigentlich einen Jazz-Hintergrund hat und z.B. Chris Speed als Gast dabei ist: die im Titel von #4 erwähnten "Keys To The Darkroom" bekommt man hier sicher nicht, eher die zur MittagsLounge deiner BankFiliale. 3
Auch nicht wirklich schlecht gemacht und doch recht überflüssig ist der sendungsbewusst-deprimierte EndzeitRock von 1000 AUGEN. AnalogSynthWaveAgitPopKraut-Kram, der sogar in den 90ern nicht ganz auf der Höhe der Zeit gewesen wäre und mit einem Sänger dessen schräg-prägnante Stimme in meinen Ohren ein wenig nervenraubend ist (oder im Vocoder-Knarren untergeht). Im Info wird "Schock" (This Charming Man) so buchstabiert: "S-pionsspiegel in die nächste Welt / C-haos bricht aus / H-ysterie und Panik die Welt unter Schock / O-hne Vorwarnung trifft dich der Schlagstock / C-rash und Zusammenbruch, alles ist Science Fiction / K-alt und zitternd, ein Gefühl aus Eis." Aha – wisster Bescheid! Dazu ein dystopisches Comic-artwork: böse Wolf(s)Hunde beißen RoboterArme ab und panische KravattenTräger flüchten aus der kollabierenden MegaCity...nee, nix neues hier! 3
Das schöne (aber natürlich auf keinen Fall zu verallgemeinerungsfähige) Zitat "PostPunk ist öde" würde ich für vorgenannte Platte also durchaus unterschreiben; stammen tut es aus dem "Paul Frick ist müde-Remix" von "Hausmann", den man auf "Oui Mixes" der Hamburger STATION 17 findet. Dort wird das "Oui bitte"-Album track-by-track einer Remix-Kur unterzogen. Alles sehr cool, sehr groovy und sehr hip, denn auf der Gästeliste stehen hier Efdemin, Paul Frick, Pantha du Prince, Toto Belmont, Mense Reents, Ada und Lawrence, also durchweg technoide Hochkaräter. House regiert. Oder Dub, obwohl ich anders als Toto Belmont dessen Mix von "Der Monat" nicht unbedingt als "Sophisti-Dub" bezeichnet hätte, denn ein leicht penetranter Singsal durchzieht diese Version wie schon das Original. Andreas Doraus trällert seine WochenTage nämlich genauso linear herunter wie dortselbst – und zumindest der reinen Lehre nach haben vocals im DubMix nix zu suchen. Schön übrigens auch, dass mittlerweile selbst im Waschzettel niemand mehr auf das Thema Inklusion eingeht - Station 17 sitzen alle gemeinsam dort am Tisch, wo sie schon immer hingehören: bei den ernstzunehmenden Elektro(Pop)Musikanten. 4
Der gerade erwähnte Herr Dorau hat auch eine Meinung zum altgedienten Darmstädter ProduzentenDuo SENSORAMA: "kunstvoller Techno, was man früher Intelligent Techno nannte. Also sehr geschmackvoll und irgendwie der bildenden Kunst verwandt.". Naja, in den goldenen Ladomat-Zeiten haben die beiden schon jede Menge dicke Dinger zusammengebaut, die sich in meiner Erinnerung aber nicht unbedingt durch KunstWollen oder wirkliche HochIntelligenz auszeichneten. Eher durch TanzBodenOrientierung, aber anhand der von Ralf "Golden Pudel" Köster kompilierten Werkschau "Where The Rabbit Sleeps" (beide Bureau B) lässt sich das ja prima überprüfen. Und siehe: in der Regel gesangsfrei sind die Ein-Finger-Melodie-Linien-verzierten ChillClubGrooves meist ganz klug zusammengebastelt: aber warum und wofür das Ganze jetzt unbedingt nochmal hoch spülen? Zum Tanzen in meinen Ohren des Öfteren zu steif, zum ImSesselHören zu unterkomplex. Manches sticht aber noch immer positiv heraus, z.B. "Sunday Morning" mit seinem HipHop geschulten Groove und fetter BassLinie. 3
Mit Ryūichi Sakamotos Musik befasst sich der französische Sechser ASYNCHRONE schon seit einer ganzen Weile. Auf "Plastic Bamboo" (No Format) nehmen sie sich 11 Stücke des YMO-Meisters vor und verwandeln sie in ein aufregendes Etwas aus TechnoBleep, FreeForm, NuJazz(Punk), ElektroGroove und PostRock. Mir gefällt übrigens die getragen-beatfreie, quasi-akustische Interpretation von "Thatness And Thereness" (das Original stammt von Sakamotos 1980 erschienenem Super-Album "B-2 Unit") ganz besonders. 4
Was hingegen kommt heraus, wenn ein (Halb)Japaner und ein Österreicher gemeinsam Musik machen? Natürlich Tango. Denn genau ein solcher ist der opener "Nakahama", geprägt von einem konservativen Klavier und rau gerauntem japanischen (Halb)SprechGesang. Auch die nächsten Nummern auf "Taishô Romantica"(Noise Appeal Records) folgen diesem Strickmuster, wobei sich bald wie nebenbei doch ein zischender ElektroRhythmus einschleicht. Denn verantwortlich für diese wundervolle Platte sind PLATZGUMER/TOKUJIRO (also die zwei Musikanten, die man bisher als Shinto kannte). Der ElektroAnteil steigt weiter, in "Osugi" sind die drumsounds schon beinahe Disko-kompatibel. Und genau dann, wenn man glaubt, das Prinzip nun wirklich verstanden zu haben und sich fast schon ein wenig zu langweilen beginnt – genau dann zünden die beiden die nächste Stufe. "Ito" nämlich kommt auf (Indie)PopSohlen daher, auch "Zuhi" lockert den GesamtSound mit einer vorher hinter dem PluckerBeat kaum wahrgenommenen GitarrenLinie auf und "Wada" federt dann gar auf einem dub-riddim. Die (im booklet auch ins Englische übersetzen) Texte stammen von anarchistischen Dichtern und PolitAktivistInnen aus dem Japan der 1910/20er Jahre. "Kanno" z.B. wurde geschrieben von Suga Kanno, die auf dem back-cover als "japanese feminist and anarchist" vorgestellt wird und kurz vor ihrer Hinrichtung 1911 ausrief: "My twenty-year-old soul I leave behind. I dedicate it to those who will follow in a hundred years." Wir sollten uns dessen würdig erweisen - Hans Platzgumer und Carl Tokujiro Mirwald haben es mit dieser Hommage schon getan! 5
Auch ein Projekt aus Stuttgart möchte an rebellische Vorfahren erinnern. LAKVAR wurde "2017 von der ungarisch-bulgarischen Komponistin, Sängerin, Perkussionistin und Aktivistin Hajnalka und dem georgischen Komponisten, Gitarristen und Panduri-Spieler Zura Dzagnidze gegründet" (Zitat aus dem Info) und widmet sich den Traditionen osteuropäisch-kaukasischer Volksmusik. Ihr 2020er Debutalbum trägt den prima Namen "Sabotage und Tradition" – leider habe ich das seinerzeit aber verschlafen, so daß nun "Fiction and Folklore"(CPL) mein Einstieg in die Lakvar-Welt ist. Die Rufe einer Straßenverkäuferin prägen den opener "Malina", dazu griffige Gitarren-Bass-Schlagzeug-Motive und bald auch Lautenklänge. "Koga" lebt von einem herrlichen GrundRhythmus und einer treibenden MelodieLinie, dazu singt Péter türkische (oder doch ungarische?) Zeilen. Auch elektronische SoundElemente, Effekte und beats bauen Lakvar geschickt in ihre Musik ein. "Ilonas Lullaby" hingegen siedelt später sehr dicht am klassischen Folk, überhaupt regiert bei manchen Stücken (z.B. "Fiction") dann doch etwas zu viel JahrmarktMaultrommelAkkordeonSeligkeit. 4
TAYFUN GUTTSTADT gelingt ein durchaus gewagter Spagat, versucht er doch auf "Tarâpzâde" (good&lovely) türkische Volksinstrumente und -melodien in eine HipHop-Welt zu transferieren. Das "typische" Klagen in der Stimme passt bestens zu den satten beats und die traditionellen Instrumente behaupten sich an der Seite von StudioSoftware - Trap funktioniert tatsächlich auch mit 100 Jahre alten alevitischen Gedichten. 4
Etwas arg lax kommentierte mein Kind YILIAN CAÑIZARES’ CD "Habana-Bahia" (Planeta Y) mit der Frage: "Was ’n das für ’ne Kiffermusik?!". Wobei der GrasBezug in diesem Alter durchaus auch anerkennend gemeint sein könnte. Erfahrenere Hörer finden hier jedenfalls Elemente aus Cañizares’ kubanischer Heimat genauso wie solche aus (West)Afrika, Brasilien oder (West)Europa. Der Titelsong ist z.B. eine schöne Mischung aus traditionellem Latin-BarZeugs und irgendwie doch auch groovy UndergroundClubTanzMusik. Mal be-, mal entschleunigte CumbiaBeats und entrückt-exaltierter Gesang, exotische Perkussion und Violine (YC hat das Geige spielen bei einer russischen Lehrerin "richtig" gelernt!), Vibraphone und RapLines - vielleicht ist das einfach auch nur gute Musik? 4
Weiter im Norden ist JENNI VENÄLÄINEN daheim und die zaubert mit einer elektrifizierten Kantele-Zither jede Menge Spaß in die finnisch-karelische MusikGeschichte. Ihre "Melkutus Party" (Nordic Notes) bereitet uns große durch Tanzboden-kompatible beats aufgepeppte Tanz- und Mitwipp-Freude, bewahrt aber dennoch einen gewissen Respekt vor dem Erbe. 4
Aus deutschen Landen können wir noch das neue Album der TÜREN vermelden. Die sind jetzt die "Kapitalismus Blues Band" (Staatsakt) und bringen die Dinge natürlich sehr fein auf den Punkt. Politisch klar und nicht ohne den Blick auch mal ins (vermeintlich) eigene Lager zu richten: "Du hörst die Musik natürlich nicht auf Spotify.". Dabei grooven sie bei aller Sperrigkeit im SoundBild jetzt noch öfter und auch deutlicher und rücken so immer dichter an Spilkers wundervolle Sterne. Oder in ihrer krautigen Versponnenheit (probiert mal "Zu viel los hier gerade") an Faust, Can & Co.. Das passt bestens zu 20 Jahre Türen & Staatsakt (ja, so alt sind diese Unternehmen auch schon wieder) und zum Tag der Deutschen Einheit ebenfalls, denn hier werden 10 so hörens- wie bedenkenswerte Einwände gegen jeden DeutschTaumel gemacht: "Lost In Invest". 5

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