
Sie selbst bezeichnet sich mit einem Augenzwinkern als "Gothic Military Fairy", die Presse in ihrer englischen Heimat nennt sie "die furchtlose neue Stimme des britischen Post-Punk" oder "Superstar in Wartestellung". Jetzt veröffentlicht JoJo Orme alias Heartworms ihr Debütalbum ´Glutton For Punishment´, auf dem sie zwischen Zeitgeist-Electronica, Industrial-Wucht und Darkwave- Finsternis beeindruckend souverän ihr eigenes Ding macht und selbst die ihr bereits angedichteten Vergleiche mit Depeche Mode, PJ Harvey und LCD Soundsystem nicht scheuen muss.
Eine überall in den höchsten Tönen gelobte EP (´A Comforting Notion´) auf dem sagenumwobenen Speedy Wunderground-Label, eine vielbeachtete erste US-Tour mit The Kills und sogar ein Auftritt als Special Guest von St. Vincent in der altehrwürdigen Londoner Royal Albert Hall – schon vor der Veröffentlichung des ersten Heartworms-Albums hat Jojo Orme mehr erreicht, als viele andere Acts sich im Laufe einer langjährigen Karriere erträumen dürfen. Die Bodenhaftung verliert die heute in Südlondon heimische 26-Jährige deshalb aber nicht."Auf all diesen wunderschönen Bühnen zu stehen, bedeutet für mich die Erfüllung des Traumes, den ich vor vielen Jahren im Kopf hatte. Trotzdem versuche ich, nicht zu viele Pläne zu schmieden", sagt sie beim Videocall mit der Westzeit. "Alles, was ich will, ist zu singen und zu spielen – und das ist passiert. Über alles, was noch in der Zukunft geschehen könnte, habe ich keine Kontrolle. Natürlich haben wir alle Träume, aber ich versuche mich nicht zu sehr mit ihnen zu beschäftigen, damit meine Hoffnungen nicht enttäuscht werden."
Musik macht Orme nicht, um reich und berühmt zu werden oder weil sie sich als Sängerin, Songwriterin und Instrumentalistin für besonders begabt hält. Ihr Antriebsgrund ist deutlich existentialistischer. "Musik war ein Mittel zur Flucht für mich", erklärt sie.
"Ich bin nie gut darin gewesen, mich mitzuteilen, und das ist auch heute noch so. Die Musik, selbst das Hören von Liedern, die ich vor langer Zeit gemocht haben, hat mir geholfen, meine Gefühle zu verstehen. Die Musik war für mich schon immer ein reines Ventil, um mich auszudrücken. Ich habe mir nie gesagt: Musikerin zu sein, das wär's! Es ging immer nur darum, mich mitteilen und als Mensch funktionieren zu können."
Kein Wunder also, dass Orme in den Songs auf ´Glutton For Punishment´ beeindruckend freimütig und ungefiltert über zerrüttete Familien, zerbrochene Beziehungen und menschliches Leid singt, denn die Düsterkeit ist Spiegel ihrer eigenen Erfahrungen. Aufgewachsen in Cheltenham, einem Kurort im Südwesten Englands, verließ sie aufgrund einer angespannten Beziehung zu ihrer Mutter schon als Teenager ihr Zuhause. In den folgenden Jahren kam sie bei Freunden oder im YMCA unter und war kurze Zeit in einer Pflegefamilie. Diese Erfahrungen hallen nun auch in ihrem künstlerischen Tun nach.
"Wenn es so viele Dinge in deinem Leben gibt, über die du keine Kontrolle hast, dann klammerst du dich an die eine Sache, die du selbst bestimmen kannst", sagt sie. "Für mich war das die Musik, und sie hat mir die Chance geben, aus dem Haus zu kommen, neue Leute kennenzulernen und nicht immer nur von den gleichen Dingen umgeben zu sein."
Doch auch wenn ihr Antrieb klar ist, bedeutet das nicht, dass ihr die Songs immer leicht von der Hand gehen, in denen sie eine Vielzahl von Einflüssen zusammenführt: Als wichtige Inspiration auf ihrem künstlerischen Weg nennt sie ´Wincing The Night Away´ von The Shins, ´To Bring You My Love´ von PJ Harvey, ´Turn On The Bright Lights´ von Interpol, ´Bad` von Michael Jackson und sogar ´Every Kingdom´ von Ben Howard.
"Diese Platte zu schreiben, ist mir schwergefallen", gesteht sie. "Ich habe es bis zum letzten Moment aufgeschoben, denn ich hasse es, wenn mir jemand sagt, was ich zu tun habe. Also habe ich mir gesagt: OK, ich habe diese Platte zu schreiben, aber ich werde es nicht tun, weil ich muss. Ich werde sie schreiben, weil ich es will. Bis ich an den Punkt gekommen bin, hat es eine Weile gedauert."
Mit ´Glutton For Punishment´ lässt Orme den Sound der Heartworms-Debüt-EP ein Stück weit hinter sich. Die Kontraste sind dieses Mal größer, und klanglich gibt es auch Momente von zuvor ungekannter Leichtigkeit, ja Eingängigkeit.
"Es hat mir wirklich Spaß gemacht, anders zu schreiben, andere Ansätze zu wählen", erklärt sie. "Ich mag es nicht, wenn die Dinge gleichbleiben. Das habe ich schon sehr früh über mich selbst gelernt. Als ich dieses Album schrieb, wusste ich, dass es nicht wie meine EP klingen sollte. Die Leute mögen meine EP aus einem bestimmten Grund, aber ich wollte sie nicht kopieren. An dieses Album mit einer solchen Freiheit heranzugehen und in der Lage zu sein, mehr zu zeigen, wer ich innerlich bin, war wirklich aufregend."
Am Ende verließ Orme sich auf ihre Intuition und die Unterstützung von Produzent und Speedy-Wunderground-Vordenker Dan Carey, dessen ungemein direkte Art und Weise, Musik ungeschönt in Szene zu setzen, ihr in die Karten spielte.
"Als ich sah, wie er arbeitet, war ich sofort begeistert, denn ich mag es nicht, wenn Songs zu sehr produziert sind", verrät sie. "Mir gefällt, wie meine Stimme klingt, wenn man nicht das ganze Leben aus ihr rausgequetscht hat. Dan hat diese tolle Herangehensweise, bei der er sagt: 'Wir nehmen alles live auf und dann schauen wir weiter!' Also haben wir alles mit meinen Sessionleuten live eingespielt, und deshalb sind all die Emotionen greifbar. Anschließend haben wir dann angefangen, Kleinigkeiten zu entfernen oder hinzuzufügen, und das war wirklich großartig! Ich habe ja noch nie mit einem anderen Produzenten zusammengearbeitet, und ehrlich gesagt habe ich ein bisschen Angst davor, denn ich würde zwar hoffen, dass sie alle so wie Dan arbeiten, aber natürlich weiß ich, dass das nicht der Fall ist. Sie haben alle ihre eigene Methode. Das finde ich faszinierend, aber für den Moment ist die Zusammenarbeit mit Dan einfach magisch!"
Aktuelles Album: Glutton For Punishment (Speedy Wunderground / PIAS / Rough Trade) VÖ 7.2.
Weitere Infos: www.iamheartworms.com