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SOPHIE JAMIESON

Das Rätsel des menschlichen Herzens

SOPHIE JAMIESON

Die britische Songwriterin Sophie Jamieson macht es sich nicht eben leicht. Bereits 2014 tourte Sophie mit ihrer ersten, selbst produzierten EP „Where“ durch unsere Breiten und empfahl sich damals scheinbar als Next Big Thing in Sachen fragil/authentischer Neo-Folk-Attitüde und modern strukturierten, poetischen Songwritings. Dass sie danach zunächst mal in der Versenkung verschwand und erst 2020 wieder mit neuem Material von sich hören ließ bevor sie 2022 ihre erste LP „Choosing“ realisieren konnte, deutete schon darauf hin, dass das Leben die Pläne, die Sophie in Bezug auf ihre Karriere gehabt haben mochte, ordentlich durcheinandergewürfelt haben musste. Die brutal offenherzigen Texte des „Choosing“-Albums – auf dem sich Sophie mit jenen Dämonen auseinandersetzte, die ihr Leben in den Jahren zuvor bestimmt hatte, legte dann nahe, dass sie Ihre Musik nicht alleine aus kreativen Gründe machte, sondern wohl auch mit einem therapeutischen Hintergrund. In dem Sinne zeichnete „Choosing“ dann den Entwicklungs-Prozess einer Person nach die sich mühsam zu sich selbst durchkämpfen muss – einen Prozess, der offensichtlich noch nicht abgeschlossen ist, denn auf ihrem nun vorliegenden, zweiten Album „I Still Want To Share“ macht Sophie – nicht nur dem Titel nach – deutlich, dass sie immer noch viel mitzuteilen hat – wenngleich sie sagt, dass sie das heutzutage von einem „stärkeren, gesünderen Ort aus“ tun kann.

Mal so gefragt: Suchte Sophie mit dem neuen Album erneut nach Antworten auf die Fragen, die sich ihr seit dem „Choosing“-Album gestellt hatte, oder ging es – im philosophischen Sinne – einfach darum, diese Fragen zu stellen?

„Nun ich suche immer nach Antworten, wenn ich schreibe – denn das ist der Grund warum ich schreibe“, überlegt Sophie, „ich habe dieses Album auf die eine oder andere Weise vier Jahre lang gemacht. Philosophisch ist mein Verständnis über diesen Zeitraum gewachsen. Während des Prozesses in dem sich die Songs entwickelt haben, ging es zunächst darum, die Gefühle Groll und Wut und die Unfähigkeit, vergeben zu können einzufangen. Und dann ging es darum, sich zu verlieben. Und dann ging es um Herzschmerz. Und am Ende wurde ein voller Kreislauf daraus. Dann wurde mir klar, dass es auch gar nicht um all diese Dinge ging, sondern um etwas, dass darunter zu finden war und diese durchzieht und vom Einen zum Anderen springt und wieder zum Anfang zurückkommt. Es brauchte für mich aber diesen ganzen Prozess um herauszufinden, was ich davon lernen könnte. Es war dann ein sehr interessanter Prozess eines sehr langsamen Verstehens."

Ist Sophie denn dann zu einer Auflösung oder Erkenntnis am Ende dieses Kreislaufes gelangt?

„In gewisser Weise – aber hauptsächlich 'nein'“, räumt Sophie ein, „ich habe einige Dinge mich selbst betreffend besser verstanden. Ich kann versuchen, nun daran zu denken, so dass es mir leichter fällt, netter zu mir selbst zu sein und zu verstehen, was um mich herum und was mit mir passiert. Aber am Ende gefällt mir die Offenheit dieser Botschaft. Sogar wenn ich jetzt über die LP, die Visuals und das Artwork spreche, geht es immer noch darum zu verstehen, was ich eigentlich sagen will. Es ist schon ein Rätsel, wie das menschliche Herz funktioniert. Es ist so vielschichtig, so kompliziert und zugleich so simpel, dass man es nicht richtig zusammenfassen kann. Weder ich als zentraler Charakter meines eigenen Albums noch andere Menschen, die sich damit beschäftigen können das. Ich kann diese Beziehungsgeflechte für mich entwirren - und ich glaube langsam, dass das die Botschaft des Albums ist: Die Offenherzigkeit und die Akzeptanz des täglichen Kummers – und die Schönheit, die sich daraus ergibt."

Gibt es auf dieser LP eine Art roten Faden für Sophie, die sich über den Gebrauch von Metaphern und Bildern erstreckt? Auf der letzten Scheibe „Choosing“ war das ja das Bild des Wassers, das immer wieder auftauchte.

„Ich denke, Du müsstest diese Frage für mich beantworten“, meint Sophie, „bewusst habe ich jedenfalls nichts angestrebt. Die Texte sind vielleicht ein wenig direkter auf dieser Scheibe. Es gibt vielleicht das Thema des Loslassens oder Festhaltens. Ich denke, dass mein Therapeut vielleicht noch auf das Thema des Spiegels hinweisen würde. Es gibt einen Song namens 'My Love Is A Mirror'. Obwohl das Bild nur ein Mal vorkommt, hat mich das Thema sich selbst durch die Augen anderer zu sehen und wie sie die Welt sehen, schon sehr beschäftigt."

Kommen wir mal zur Musik selbst: Dass das neue Album musikalisch sehr viel opulenter und vielschichtiger klingt als das Debüt hängt ja sicherlich damit zusammen, dass Sophie dieses Mal mit dem Grammy-nominierten Produzenten Guy Massey zusammenarbeitete. Mit welchen Erwartungen ist sie aber selbst an das Projekt herangegangen?

„Ich habe nicht allzu sehr darüber nachgedacht, weil ich mit Guy ins Studio gegangen bin, nachdem ich das Album zuvor mit jemand anderem produzieren wollte, was aber nicht geklappt hat.“

Das muss in gewisser Weise ein Déja-Vu-Erlebnis für Sophie, denn das war Sophie schon ein Mal passiert, als sie ihre zweite EP aufnehmen wollte. Letztlich war das dann auch der Grund, warum es mehrere Jahre dauerte, bis sie mit den EPs „Hammer“ und „Release“ ihre Karriere 2020 wieder anstoßen konnte.

Gab es denn dieses Mal einen Plan, in welche Richtung das neue Album gehen sollte? Denn es fällt doch auf, dass die auf dem „Choosing“-Album noch gelegentlich aufgefächerten Rock-Elemente auf dem neuen Album in den Hintergrund gedrängt scheinen und auch das Piano als Leitinstrument ausgedient hat.

„Beim ersten Versuch das Album zu produzieren, hatte ich noch eine Vorstellung davon, wie es klingen sollte“, erinnert sich Sophie, „dieser Ansatz war dann aber sehr ernüchternd. Danach wusste ich gar nicht mehr was ich wollte. Mit Guy konnte ich dann einfach mal spielen, kreativ sein und Sachen ausprobieren, um herauszufinden wie sich das anfühlte. Der erste Song, den wir aufnahmen war der Song 'Vista'.“

Auf diesem Song ist erstmals ein Omnichord zu hören – ein Instrument, das im Folgenden immer mal wieder zu hören ist und das Klangbild deutlich mitprägt. War das vielleicht der X-Faktor, der die Produktion dann in eine bestimmte Richtung lenkte?

„Das kann sein“, meint Sophie, „das ist der Track, auf dem das Omnichord erstmals prägend eingesetzt wurde. Ich habe mir dann überlegt, alle Songs mit einem Gitarrenpart zu beginnen und dann darauf aufzubauen. Es ist nämlich so, dass ich dazu neige, ziemlich inkonsistent das Timing betreffend zu spielen. Ich mag es die Sachen mal zu verlangsamen und dann wieder zu beschleunigen – zu drücken und zu ziehen. Beim ersten Aufnahme-Versuch hatte man nämlich von mir verlangt, mit einem Clicktrack zu spielen – und das hat mich umgebracht. Deswegen habe ich dieses Mal die Gitarrenparts mit dem Drummer zusammen aufgenommen."

Lässt sich Sophie dabei vielleicht auch von der Musik selbst leiten?

„Definitiv“, bestätigt Sophie, „der Musik zu folgen macht für mich im Studio den meisten Spaß. Es gibt zum Beispiel den Song 'How Do You Want To Be Loved' für den ich gar kein Demo gemacht habe – obwohl ich das ansonsten tue. Der entstand während wir bereits mit den Aufnahmen begonnen hatten. Ich brachte den in den Mix einfach mal um zu sehen, was passieren könnte. Ich hatte eine gewisse Vorstellung davon, wie erklingen sollte, hatte aber keine Ahnung, wie wir das machen sollten. Wir haben dann Schritt für Schritt kleine Dinge hinzugefügt und ließen uns vom Flow leiten und am Ende ist das mein Lieblingssong auf dem Album."

Gibt es denn jetzt schon Pläne für die musikalische Zukunft von Sophie?

„Ich bin gerade damit fertig geworden, das Album nach diesem zu schreiben“, verrät sie, „es war wieder ein sehr seltsamer und langer Prozess. Ich bin noch dabei herauszufinden, was es eigentlich darstellt. Es verändert sich bereits jetzt und hat noch nicht aufgehört sich zu verändern. Es wird vielleicht ruhiger, düsterer und einfacher werden – aber wir werden sehen, wie sich die Sache entwickelt."

Aktuelles Album: I Still Want To Share (Bella Union / Rough Trade) VÖ: 17.01.


Weitere Infos: https://sophiejamieson.com/ Foto: Tatjana Rueegsegger

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