
Im Rahmen der "Power von der Eastside"-Buchpräsentation(en) machte Alexander Pehlemann dieses Mal in seiner Heimatstadt Leipzig Station. Zum einführenden Gespräch hatte der Autor und Herausgeber neben den Musikern Susanne Binas-Preisendörfer und Thomas Wagner auch (wieder) die DT64-Indie-Ikone Lutz Schramm geladen; man redete über die Produktionsbedingungen im Ost-Untergrund und die Relevanz von legal/illegal auch im Parocktikum, kramte rührselig in Erinnerungen und hielt die allgemeine Erkenntnis fest, dass seinerzeit die Techniker und Fahrer am besten verdient haben. Dann gingen "Sequential Immersion" auf die Bühne, ein aus Dennis Strobel (Modularsynthesizer) und Leo Binas (dr) bestehendes Duo, das mit einem sehr konzentrierten set aus offenem (aber hoch präzisem) Schlagzeug und SynthEinwürfen (oder umgekehrt) das durchweg eher ältere Publikum ziemlich begeisterte. Weil ich mit den musikalischen Inkarnationen von Jörg Wagner schon seit späten DDR-Zeiten eher fremdele, möchte ich an dieser Stelle zum Auftritt seines "Tom Error"-Projekts nur soviel sagen: in meinen Ohren ist dieses update alter Herr Blum/Tom Terror-Stücke ein eher dünner Versuch in Richtung "Neubauten on Acid". Manche Zuhörende mochten das aber dennoch. Und dann kam der Expander. Dessen aktuelle Verkörperung besteht aus den beiden Gründungsmitgliedern Susanne Binas-Preisendörfer (Saxophone & Flöten) und Eckehard Binas (Keys & Trompete), einer im Vergleich zur Elterngeneration eher jugendlichen Rhythmusgruppe (Jascha Wonerow (git), Christoph Chudaska (b) und Trommler Leo Binas) und der zwischen diesen beiden Altersstufen stehenden Sängerin Safi. Meine nicht zu leugnende Skepsis hatte ich vorher mit Ekke Binas ausgiebig diskutiert, aber schon nach wenigen Sekunden war klar: hier geschieht heute Großes. Safi intoniert die anspruchsvoll-sperrigen Expander-Texte mit bemerkenswerter Präzision und sehr passendem Duktus, sie wird - ohne den leider bereits verstorbenen OriginalExpanderSänger Uwe Baumgartner nachzuahmen – sofort zum integralen Bestandteil des Gesamtkunstwerks, auch durch die expressive Gestaltung ihres Bühnenauftritts. Der BandSound ist schneidend klar und (auch im engeren Sinne) hochmusikalisch: Suse Binas - die das Ganze mit kurzen Ansagen auch ein wenig moderiert - setzt mit ihrem Sax minimalistische, aber immer auch melodische Linien in den Raum, die Elektronik umspielt das mit Flächen und Spitzen, Samples flirren durch das KlangBild und die git-b-dr-Fraktion bewegt sich geschmeidig und auf spieltechnisch höchstem Niveau um all das herum. Die augenzwinkernd dramatischen Trompetenstöße von Ekke Binas und sein "Oh Mond"-Geheul korrespondieren bestens mit Safis expressivem Textvortrag und dem seinerzeit im DDR-intershop erstandenen Casio SK1 lassen sich noch heute die aktuellen "Wasserstände und Tauchtiefen" entlocken. Wie dieses Stück von "Ad acta" und den Band-"Hit" (S. Binas) "Der Fremde Freund" (ver)schiebt der Expander des Fortschritts an diesem denkwürdigen Abend zahlreiche andere Kostproben seiner anspruchsvollen Unterhaltungskunst durch die Zeiten - ohne im SelbstZitat zu erstarren und bar jeder melodramatischen Nostalgie, sondern hochaktuell und "heutig", nein: zeitlos! Das Binas-Motto: "Live zu spielen ist eine der raren Möglichkeiten, sich öffentlich zu irren. Und Irren ist menschlich." gewann hier weiter an Tiefe, denn dieser öffentliche Irrtum war ein ganz wunderbarer und ohne Zweifel für das am Ende doch recht zahlreiche Publikum ein echter Höhepunkt. Und "Sequential Immersion" behalten wir mal im Auge.