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BREZEL GÖRING & PSYCHOANALYSE (Köln, Bumann & Sohn, 10.12.2024)

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Nur wenige Orte in Köln sind so sehr ‚Berlin‘ wie das Bumann & Sohn. Egal, ob man diesen Satz für völlig unsinnig oder unendlich weise (oder für irgendwas dazwischen) hält: Sollte an ihm etwas dran sein, dann wäre diese wunderbare Location jedenfalls der genau richtige Ort für das hier beschriebene, nicht minder wunderbare Konzert gewesen – und sonst auch.

Bevor der Protagonist des Abends die Bühne betrat, war Brezel Göring erst einmal fleißig mitwippend an deren Rand zu sehen. Vor seinen Augen und Ohren schickten sich Die fremden Hände als Support an, so etwas wie die Personifikation eines illegalen Kreuzberger Technoclubs darzustellen (gibt es das überhaupt noch, illegale Clubs in Kreuzberg?). Zu Beats, die durchaus in der Lage wären, mittelschwere Herz-Rhythmus-Störungen auszulösen, schrie Sängerin Lucie Zeilen wie „Wer leiden will, muss schön sein!“ in ihr Mikro. Ihr Mitstreiter Louis nutzte für seine Gesangsparts stattdessen einen charakteristisch olivgrünen Telefonhörer, wie man ihn von alten Wählscheibenapparaten kennt. Die Darbietung der Beiden, die erst seit wenigen Monaten gemeinsam Musik machen, folgte dem Grundsatz, dass Kunst durchaus auch einmal weh tun darf, doch wer sich dennoch auf dieses Spektakel einließ, wurde mit einigen bemerkenswerten Textzeilen und Gedankengängen belohnt, die live leider ein wenig unterzugehen drohten. Mutige konnten sich nach dem Konzert jedoch für schmale fünf Euro am Merch-Stand mit (übrigens von Brezel aufgenommenen) Demotapes des schrägen Duos eindecken, auf denen in gleich drei Sprachen der selbstironische Warnhinweis „Keine Rückerstattung!“ zu finden ist.

Deutlich gediegener, aber mit dennoch temporeichem Rock ’n‘ Roll ging es dann mit Brezel Göring und seiner Band Psychoanalyse weiter, die an diesem Abend auf lediglich ein Mitglied – die Drummerin Chang Wang – zusammengeschrumpft war. Zu Beginn des Auftritts spielten die Beiden sich zunächst vornehmlich durch die aktuelle Platte „Friedhof der Moral“. Um die Sache für Chang Wang „interessant zu halten“, bekomme sie übrigens keine Setlist, erklärte Brezel mit einem verschmitzten Grinsen, so dass über den Wahrheitsgehalt seiner Aussage spekuliert werden darf. Die eifrig vollgeschriebenen Zettel, die seine Begleiterin auf und neben Teilen ihres Schlagzeugs abgelegt hatte (vom Grad der Labberigkeit her könnte es sich durchaus auch um Blätter einer Haushaltsrolle gehandelt haben), enthielten jedenfalls anscheinend keine Songabfolgen, sondern waren lediglich Spickzettel für Chang Wangs Gesangseinsätze, etwa im grandiosen „Ohne Licht“ (ebenfalls nachzuhören in der Studioversion).

Im Laufe des Abends gesellten sich zu den neueren Titeln zunehmend auch Lieder von Brezels erstem Soloalbum „Psychoanalyse Volume 2“ hinzu. Gemeinsam sind beiden Platten die wiederholten Bezugnahmen auf bewusstseinserweiternde oder zumindest -verändernde Substanzen. Seine „Drogensongs“ seien jedoch, so führt Brezel erklärend aus, lediglich „Metaphern für zwischenmenschliche Zustände und Verknotungen“.

Teil der minimalistischen Bühnendeko (und zugleich kreative Erweiterung des Drumsets) war eine Gasflasche, die vor allem zu „Feuerlöscher“ bestens passte. Den Text dieses Songs sang Brezel weitgehend originalgetreu, kombinierte die Zeile „Wäre ich ein Ufo, ich würde niemals über dieser Scheißstadt kreisen“ charmanterweise aber direkt noch mit einem entschuldigenden „Das geht nicht gegen Köln!“.

Das reguläre Set endete, wie es begonnen hatte: mit dem textlich durchaus streitbaren „Tschernobyl“, nun jedoch in einer „I Want To Hold Your Hand“-Version (ja, genau dieser Song, liebe Beatles-Fans!). Dadurch hätte der Auftritt zwar eine perfekte Rahmung erhalten, aber glücklicherweise scherte sich Brezel nicht um Dramaturgie und beschenkte das Publikum im ausverkauften Bumann als Zugabe stattdessen noch mit „Geh Deinen Weg“, das in der Live-Version von Anfang an deutlich beschleunigt daherkam, sowie mit „Défoncé“, dem Opener von Brezels erstem Soloalbum und zugleich seinem laut Eigenauskunft liebsten Wort der französischen Sprache (verharmlosender Übersetzungsvorschlag: ‚derangiert‘). Dieser Song enthält ein Sample aus Johann Pachelbels „Kanon in D-Dur“, das die Älteren (oh mein Gott, inzwischen sind das schon die Älteren!) noch aus Coolios „C U When U Get There“ kennen werden, und das sich hervorragend dazu eignete, die beseelten Besucher*innen anschließend in die Nacht zu entlassen.

Foto: © Gerhard Kraus
Weitere Infos: https://www.brezelgoering.de/


Februar 2025
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