
(DCV, 560 S., 49,00 Euro)
Ich bin ein Kind der 80er, New Wave und PostPunk (den damals niemand so nannte) waren genau mein Ding – auch und gerade als Mittel der Abgrenzung zu den unsäglich drögen Blues-Kunden, die in der kulturellen Abgeschiedenheit der heimatlichen Industriegemeinde den CoolnessFaktor definierten (bzw. das zu tun glaubten) und mein adoleszent-buntes Aufbegehren mit größtmöglichem Unverständnis ablehnten. Rettung bedeutete damals der ausbildungsbedingte Wechsel in die benachbarte Kleinstadt, wo es Menschen gab, die DAF, Yello und Human League kannten und sich die Haare nicht kragenlang wachsen ließen, sondern färbten und zerstrubbelten. Manchmal sickerte in diese Kreise eine Ausgabe der "Spex" ("Sounds" war da schon Geschichte) und man verschlang die semi-intellektuellen Texte über Spaceman 3 oder Felt – oft genug, ohne die zugehörige Musik wirklich zu kennen. Später versuchte ich dann, mir die westdeutsche Pophistorie rückwärts zu erschließen, ich lernte "Mode & Verzweiflung" oder "59 to 1" kennen und kaufte mir in einem Aachener Antiquariat sämtliche "Rocksession"-Bände…aber "ELASTE"? Nie gehört! Oder nicht aus dem Informationswust der Erinnerungsliteratur herauszudestillieren vermocht. Wie gut, dass sich die Macher dieses offenbar für Westdeutschland ebenfalls prägenden Magazins zu einer Rückschau auf das eigene Werk entschlossen haben und die Dr. Cantz'sche Verlagsgesellschaft überzeugen konnten, ebendiese mit der gebotenen Opulenz herauszubringen. Besagte Macher sind Thomas Elsner, Michael Reinboth und Christian Wagner, die sich 1980 in Hannover trafen und mit Schere, Kleber und viel Leidenschaft ein Magazin bauten, das die Wave-Ästhetik perfekt abbildete. Neon, Kajal und Geometrie – Zeitgeist in Reinkultur, der hier aus dem Vergessen (bzw. wie bei mir überhaupt erstmal auf den Schirm) geholt wird. Die TextBeiträge lieferten (auch) Leute, die später zu einiger Berühmtheit gelangten (z.B. Maxim Biller, Giovanni di Lorenzo, Diederich Diederichsen, Andreas Dorau, Lorenz Lorenz, Thomas Meinecke) und man interviewte mit gleichem Interesse Mick Jagger, Dieter Meier oder Phil Glass. Der Fokus lag dabei weniger auf (Pop)Theorie denn auf LifeStyle – die sorgsam arrangierten Fotostrecken über Mode und Design beweisen das noch heute. Und auf das Treffen mit Andy Warhol war (ist) man so stolz, dass sein Porträt nicht nur ELASTE #3 (in einer schönen Koloration von Elsner), sondern auch diese Anthologie ziert. Konsequenterweise siedelte man 1982 nach München um und wurde so Sprachrohr von FSK-Kunst wie "Schumann’s"-Bar-Hedonismus gleichermaßen. Das funktionierte ziemlich gut, bis 1986 in Hamburg "Tempo" an den Start ging und – nicht zuletzt dank enormer finanzieller Mittel – gemeinsam mit dem deutschen "Wiener" die von ELASTE gepflegte Form von PopJournalismus je nach Sichtweise zu neuen (kommerziellen) Höhen oder in den ästhetischen und inhaltlichen Untergang führte - das nach der legendären Elbbrücken-Werbung für "Plaste und Elaste aus Schkopau" benannte Magazin wurde im gleichen Jahr eingestellt. Auf jeden Fall macht das Blättern in diesem dicken Schinken großen Spaß, die Ästhetik ist ikonisch, die Texte noch heute lesenswert (zumindest zum größten Teil) und sogar eine von Compost-Chef Reinboth kuratierte Begleitmusik (u.a. mit Burnt Friedman, Indoor Life und Gorilla Aktiv) kann sich der geneigte Konsument bei Bandcamp herunterladen.Weitere Infos: www.elastemgzn.com

