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QUICKSILVER

V.A.

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Es ist tatsächlich wieder soweit – jeden Morgen kriecht die Sonne ein paar Sekunden eher über den Horizont, langsam, aber sicher is Frühling coming to town und der ewige Kreislauf beginnt von neuem. Das können wir mit fröhlicher Musik feiern, denn wenn die beiden (Wahl)Kölner Julia Klomfaß und Raphaël Hansen unter dem schönen Namen TOI ET MOI in ihrem (auch auf dem CD-Cover zu sehenden) ErinnerungsSchrank "Mon Armoire" (GMO) kramen, wird es gleich nochmal sonniger. Die bei aller Ironie durchaus ernst gemeinte Liebeserklärung "Cologne, mon amour" kommt da schon fast wie ein (genießbares) KarnevalsLied daher, "Ton Chien" ist eine den Künstlern vielleicht gar nicht bewusste Iggy-Pop-hommage inkl. jaulender AkustikKlampfe und Blues-Harmonik und den federleichten FrankoSwing von "Marie" (dass hierin die tragische Geschichte von Büchners Woyzeck-Marie verhandelt wird, überhört man schnell) hat man dabei noch immer im Ohr. Bei "C'est une chose" schwelgen die beiden dann nicht nur in zarter (wenngleich zunehmend energischer) Seligkeit, sondern auch in nicht minder zartem DoppelGesang. Das Streicher-satte "Souffle" ist mit seiner singenden Säge und der MelanchoTrompete der trauernde Nachruf auf einen unlängst verstorbenen Freund und zugleich ein LobLied auf das Leben an sich. Zum Schluß noch das von einer feinen KlavierLinie und Klomfraß’ schönem Gesang geprägte "Quand tu seras grand" – ein zukunftsfrohes RuheLied für ein Kind. Eine runde halbe Stunde guter, manchmal – genau wie das Leben – aber auch melancholisch eingefärbter Laune mit keineswegs oberflächlichen (natürlich französischen und im booklet mitlesbaren) Texten. 4
Während ich von jenen (Texten) zumindest noch ein wenig verstanden habe, bleibt mir dieser Zugang bei MARIA JOÃOs "Abundância" (Galileo MC) mangels Kenntnissen der portugiesischen Sprache verwehrt. Dass der CD-Titel was mit "Fülle" zu tun haben könnte, ließe sich vielleicht noch aus Englisch- oder Französisch-Resten herleiten (nein, die lateinische Wurzel hilft mir eher wenig, denn ein Latinum habe ich nie abgelegt - was ich heute bedaure), aber wovon die Dame da sonst so mit ihrer KindFrauenStimme singt, bleibt mir zunächst ein Rätsel. Umso mehr mag ich die Musik, denn dies ist keines jener sicher jeweils hörenswerten, aber eben doch meist ein klein wenig langweiligen Brasiliero-Alben, sondern eine zwar auf eben diesen (nein, in Wirklichkeit auf mosambikanischen) Traditionen aufbauende, doch sehr sorgfältig (de)konstruierte ElektroPop-Landschaft, über der João (manchmal angenehm gekünstelt) dahin trällert, schmettert, jauchzt. Da wird der "Maputo Jive" zum CumbiaHybriden und auch das kindische Klagen in "Beatriz" ist hochinteressant, zumal hier die Instrumentierung eher zurückhaltend bleibt. 4
Deutlich strenger der Tradition verpflichtet ist das deutsche Trio SILJA, das seinem 2020er Debut "tradfusion" nicht nur musikalisch, sondern auch in der Titulierung treu bleibt und nun "tradtuur" (Prosodia) vorlegt. Mit Geige und Gitarre, aber eben auch verschiedenen Säckpfeifen, Nyckelharpa und Cister setzen die drei eine "Sentimental Hora" neben einen als Mazurka gedeuteten französischen Jazzwalzer und ein "Bukowiner Freyleikhs" wird mit dem "Altländer Nr. 48" verschränkt. Ob Zwiefacher, Dobride und fränkischer Walzer, norddeutsche Polka oder "Schwaben Däntz" - SpielFreude und vorsichtig entstaubter (musik)historischer Ernst befinden sich hier in feinstem Einklang. Darunter finden sich mit "Es ist ein Schnitter heißt der Tod" oder dem hier mit einer sorbischen VolksMelodie verknüpften "Es saß ein klein wild Vögelein" auch zwei zwar schon oft, aber nicht immer so gelungen wie hier gehörte Lieder (obwohl: das allerschönste "Wildvögelein" ist immer noch das von Bobo & Herzfeld). 4
An einer Symbiose von Alt und Neu, Damals und Jetzt, Tradition und Moderne versucht sich auch die Koreanerin PARK JIHA – und das nicht erst seit "All Living Things" (tak:til/Glitterbeat). Zum Einsatz kommen hier sowohl Instrumente aus dem Universum der südostasiatischen Folklore (u.a. die Oboen-Verwandte Piri, eine Yangqin-Zither und eine Saenghwang-Mundorgel) als auch (hierzulande) vertrautere wie Flöte und Glockenspiel – dazu kommen natürlich reichlich electronics. Es entsteht ein exotisch texturierter Ambient mit strenger Struktur, der angenehmerweise niemals "wabert", sondern beständig fließt. 4
Rein elektronisch geht es weiter – mit dem "Card Catalogue"(Dragon’s Eye) von Kirk Markarian aka. NEURO… NO NEURO. In diesem semi-ambienten GesamtKunstwerk schwirren lauter bunt-aleatorische Versatzstücke vor einer sanft hallenden SynthWand schmetterlingsgleich durcheinander und machen so aus einer kleinen elektronischen SpielÜbung eine feine halbe Stunde tönender Entspannung. 4
"Månen, Armadillo" (Hubro) von den meinerseits sehr geschätzten BUILDING INSTRUMENT aus Norwegen verlängert den schönen TagTraum mit einer ähnlich verspielten ElektroPuzzelei, hier aber mit skandinavischem JungmädchenHauchen on top und – aller klanglichen Avanciertheit zum trotz - deutlich Pop-/Melodie-orientierter. Da singt eine "Elvesyntesis" in einem "Kokong" mir leider Unverständliches und nicht nur deswegen bin ich einmal mehr versucht, wirklich noch Norwegisch zu lernen. 5
Kein feenhafter Gesang, sondern trotzig-distanzierte männliche Spoken Word-Energie erwartet uns bei "That Moment" (Sub Rosa). Verantwortlich dafür ist SOPA BOBA und das ist vor allem der Belgier Pavel Tchikov (synths). Der collagierte die düsteren Klänge, zu denen G.W. Sok (The Ex) eine Geschichte des Moldaviers Nicola Esinencu vorträgt. Dieses "oratorio from the present age which unfolds a dramatic tale within a sociopolitical framework" erzählt vor einem schauerlich schönen Hintergrund aus ElektroNoise, schrägen Streichern und komischen beats eine coming-of-age-story gruseligsten Inhalts: da werden gleich zu Beginn einem Kind Finger abgehackt, weil es sich an Papas Geldbörse vergriffen hat. Es folgt die nächste traumatisierende "Erziehungsmaßnahme" (dieses Mal durch den Lehrer): eine Stunde Gangnam Style tanzen. Vor der ganzen Klasse! Irgendwann hat sich Papa dann totgesoffen, Mutti kauft dem Jungen ein Auto, denn er muss ja irgendwie zum College kommen, korrupte Ärzte verschreiben seltsame Medikamente…Trotz neuer Fingerprothesen geht das alles irgendwie nicht gut aus und kulminiert in einem ElektroDrumsDrönen. 4
Schon in unsere letzten Ausgabe haben wir an dieser Stelle auf die ersten Alben aus einer von Tapete initiierten S.Y.P.H.-re-issue-Reihe hingewiesen. Diese wird nun mit dem "anderen" Album von 1980 fortgesetzt: "Pst" (mit Imi Knoebel-Cover!) geriet unter den ProduzentenHänden von Holger Czukay zu einem wilden FreeForm-Kunstwerk aus semi-dadaistischer KrautImprovisation ("Lametta") und kalter PostPunkPower ("Modell") – "Do the Fleischwurst"! Mit der mal wieder schlicht "S.Y.P.H." geheißenen, den gleichen StudioSessions entstammenden und ebenfalls vom verehrten Can-Meister produzierten 4. LP gerieten die Düsseldorfer noch tiefer in den HalluzinationsWald: "Hänschen Horror" wackelt da verhallt mit dem lärmenden "Lämmerschwanz". Wobei sich das alles um zwei ellenlange Improvisationen dreht "Nachbar" auf der A- und "Little Nemo" auf der B-Seite zeig(t)en beispielhaft, wie gut sich die vermeintlichen Gegensätze Kraut, Punk und sogar die Idee Dub mit- besser: ineinander verschmelzen lassen. Obendrein gibt es nun noch die Compilation "Punkraut 1978-1981"(alle Tapete) mit Raritäten aus d(ies)er S.Y.P.H.-Frühphase. Aber ganz ehrlich – das hier ist (mir) in weiten Strecken deutlich zu "verstrahlt" und bisher nicht ohne Grund größtenteils unveröffentlicht geblieben. Denn auch wenn sowohl im Text wie auch in der Musik immer wieder geniale Ideen aufblitzen, besteht das Material eben doch aus typischem "Lass laufen"-StudioGedaddel (wie am Ende vom "Liebeslied" wörtlich dokumentiert). Hier wäre – ganz besonders bei dem fast einstündigen "Hello Mr."-Marathon, wo sich die Musik nach knapp 20 Minuten in einem meditativen Loop auflöst - etwas mehr editorische Disziplin dem nicht zu bezweifelnden ArchivWert vorzuziehen gewesen. 5/4/3
Kommen wir zu flotter GitarrenMusik: THE LOFT, die (kurzlebigen) alten Creation-Helden und Weather Prophets-Vorläufer vermelden mit "Everything Changes Everything Stays The Same"(Tapete) tatsächlich ihr "full-lenght-debut" – in Originalbesetzung! 30 Jahre nach der (ersten) Bandauflösung kommen Peter Astor & Co. endlich mal mit mehr als einer tollen Single aus dem Studio. Der gute "Dr. Clarke", die verträumten "Greensward Days" und so schöne Zeilen wie "Help me Jesus / I heard, that you might set me free." (aus "Ten Years") über gekonnt re-animiertem BritPop, der irgendwie zugleich Creation-rau und 00er-smooth ist. 5
Komplizierter verhält es sich mit den Walisern THE TUBS, deren zweites Album "Cotton Crown" (Trouble In Mind) einerseits schön jangelnde Boy-Girl-PopSongs wie den opener "The Thing Is" enthält, manchmal aber auch in etwas schmierige PubRock-Passagen abgleitet. Der Sänger Owen "O" Williams hat Lan McArdle, mit der er bei den famosen Ex-Vöid (deren "In Love Again" wurde im letzten Quicksilver gebührend gefeiert) spielt, überredet, auch auf "Cotton Crown" einige Gesangsparts zu übernehmen – und wie The Tubs-Bassist Max Warren und -Trommler Matthew Green waren die beiden schon vorher bei Joanna Gruesome auf dem Weg in den NoisePop-Himmel. Hier gehen sie den Weg weiter, vielleicht über eine kleine Seitenstraße. Mal sehen, wohin das noch führt...4
Dass es tatsächlich nicht so einfach ist, die enorme Energie zu generieren, wie sie z.B. AUF, Friends Of Gas oder Safi mit ihrer Musik transportieren, zeigt die im Ansatz den Genannten nicht unähnliche Band SPINNEN. Zwischen kleinen NoiseOrgien mit semi-existentialistischen Texten verstecken die beiden Damen auf ihrem Debut-Album "Warmes Licht" (Alien Transistor) mit "Warm" auch eine (am Ende leider doch etwas banale) SynthStudie. Aber ob (hier zumeist nur halb)brachiales Gitarren-Bass-Drums-Gewitter oder eben ElektroArbeit – das Meiste von (in?) diesem "Warmen Licht" zeigt zwar brauchbare Ansätze, aber kraftvoll ausformuliert sind diese Ideen dann eben doch (noch?) nicht. Auch aufnahme- und produktionstechnisch sehe ich hier durchaus noch die berühmte "Luft nach oben". Wenn denn der pubertär-adoleszente Weltschmerz aber irgendwann einmal nachlässt, könnte aus diesen Spinnen vielleicht eine wirklich gute Band werden. Oder brave BWL-Studentinnen. Oder beides. 3

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