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JAZZJANZKURZ

V.A.

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Eher wenig gibt’s aktuell aus dem Bereich strenger ExperimentalMusik zu berichten, ein paar Empfehlungen zu dieser ParallelWelt kann ich aber dennoch aussprechen: Die radikalen Improvisationen von JULIA STRZALEK & CORNELIA NILSSON auf "Scenery Somewhere" (Frim) z.B.: mit Alt-Saxophon und Schlagzeug kreieren die beiden eine so dichte, beinahe überwältigende Stimmung, dass man sich nach der knappen halbe Stunde Spielzeit verwundert die Augen (bzw. die Ohren) reibt. Ausbruch und Zurückziehen, actio und reactio, so geht Free Improvised Music – ganz im Sinne des Label-Akronyms. 4
Und dann natürlich die ebenso bestimmte und zupackende, aber eben auch auf eine sehr kluge (= typisch skandinavische?) Weise reduzierte Musik für Akkordeon (Ida Løvli Hidle), (Kontra)BassKlarinette (Christer Bothén), Hardangerfidel (Olav Luksengård Mjelva) und die SängerInnen von EMBLA aus Trondheim, dazu hier und dort noch solo-vocals von Kristin Amparo Sundberg und eine dezente Trompete (Goran Kajfeš). ALEX ZETHSON schrieb diese Musik für einen über hundert Jahre alten schwedischen Stummfilm, spielt selbst Klavier, Synths und ein "Xylorimba" genanntes Instrument und hinterlässt bei mir nach den beiden jeweils gerade mal um die 9 Minuten langen tracks auf "Terje" (Supertraditional) den dringenden Wunsch, mehr davon zu hören. 5
Auch hörenswert, aber schon eher einem KrautRock-haften Verständnis von improvisierter Musik folgend ist die s/t-LP (Den Pene Inngang) von TØRRFALL, einem norwegischen Trio mit Wurzeln u.a. bei den ElektroKrachRockern Golden Oriole. Die intensive Deklination einer wirr-wilden BassGitarrenFigur zu seltsamen SynthFlächen und durchdrehendem Schlagzeug, die trotz der Aufteilung in vier tracks doch ein zusammenhängendes Ganzes bildet. 4
Ganz auf das Prinzip "drone" setzen RADBOUD MENS & FERNANDO JOSÉ PEREIRA mit "The Inoperative Suspension of a Stoppage" (ERS) – eine hochelektronische Studie zu Ruhe, SchwingungsEmpfinden und meditativer Offenheit. Habe ich schon wesentlich schlechter gehört. 4
Auf der 2LP "Since Time is Gravity" (Aguirre/Eremite) von der NATURAL INFORMATION SOCIETY treffen die Vorstellungen von US-Minimal-Musikern (wir denken da insbesondere an Steve Reich!) auf indisch/afrikanische Rhythmik. Dazu Brechungen von Saxophonen, Harmonium-drones und Bläsereien, sogar eine Harfe fügt sich in dieses fulminante KlangBild stimmig ein – sehr schick. 4
Womit allmählich die WeltMusikEinflüsse stärker werden: zwar sind die goldenen Jahre des Mulatu-Astatke-Ethio-Jazz möglicherweise vorbei, was aber nicht heißt, dass niemand mehr diese Kreuzung aus ostafrikanischen Traditionen und westlichen JazzVorstellungen zu spielen weiß. Aktuell tut dies z.B. das aus insgesamt neun Tänzern und Musikern bestehende Projekt FENDIKA & K-SANCHIS. Dort sind neben Teilen der "Hausband" des Fendika-Kulturzentrums in Addis Abeba mit dem US-Schweizer Steve Buchanan und dem aus dem The Ex-Umfeld stammenden Jeroen Visser zwei AvantJazz-geschulte SaxSpieler zugange. "GOJO / ጎጆ" (121234.Rec.) gefällt mir am besten in seinen eher repetitiven Momenten (z.b. bei "Paean"). 4
Etwas weiter fassen BAIJU BHATT & RED SUN die weltmusikalischen Einflüsse auf ihre JazzGedanken. Als "People of Tomorrow" (Neuklang) mischen sie zu Afrikanischem Kubanisches, zu Indischem Türkisches, ProgRockParaphrasen zu lässigem GypsySwing und zur PianoBallade (mittel)fetten Funk. Das ist zumeist ziemlich brav, grenzt hier und da sogar an das, was ich immer etwas abschätzig "Gegniedel" nenne, hat aber auch seine großartigen Momente. 3
Ein anderes, gleichfalls sehr grooveorientiertes (Lounge)JazzProjekt hat sich den lustigen Namen DIE THERAPIE & DER NUSSIGMILDE verpasst und mischt mit "Reconnected" (JazzLab) den diskokugeligen TanzFlur auf. Vor 25 Jahren hätte man das für FutureAcidJazz gehalten, aber FunkLines, BreakBeats, HouseSynthies und flimmernde GitarrenRiffs funktionieren (vielleicht auch dank der behutsam eingestreuten Rap-Passagen) auch bei den Hedonisten von heute. Tiefbass, Orgelquietschen und zischender HiHat-Wahnsinn grooven hier um die Wette. Und wie die Hölle. 4
Aber wir waren ja noch gar nicht fertig mit der Verbindung Jazz/World. PETROS KLAMPANIS ist ein griechischer Bassist, der seine musikalischen Wurzeln sowohl in den heimatlichen Traditionen wie auch in meditativen Improvisationen sieht. "Tora Collective" (enja yellowbird) verbindet lyrische Exotik aus der Levante (dafür stehen nicht nur einige musikalische Strukturen, sondern auch die verwendeten Instrumente wie Oud und Laouto) mit westlichen Prinzipien (dafür stehen dann vielleicht Klavier und electronics). Dazu reichlich Klarinetten-Sentiment und orientalische bzw. peleponnesische SangesKunst, ein KontraBassSolo hier, ein KlavierAusflug dort: Entspannung allenthalben. Und das – so paradox es klingen mag - bei jeder Menge Spannung. 4
Die dänischen GIRLS IN AIRPORTS veröffentlichen ihr Album "How It Is Now" (Kaja) physisch nur auf recyceltem Vinyl – finde ich cool. Ihren bewährten post-rockenden HypnoKrautMinimalJazz auch. Ein sehnsüchtiges Sax wird von betörenden drums umspielt (Anspieltip: "18"), dann wieder (noch ein Anspieltip: "Yield") bereiten Bass- und KeyboardTupfen dem flatternd klagenden Sax ein weiches Bett, in das auch wir uns nur zu gern fallen lassen. 4
Auf einer ähnlichen Wiese grasen die Londoner DEATHCRASH, nur dass die sich dem Ganzen mehr vom PostRock nähern (wenn wir mal unzulässig vereinfachend behaupten, das die Flughafenmädchen im JazzLand abgeflogen sind). Das tönende Ergebnis auf "Less" (untitled) ist dennoch ähnlich gute Musik, hier allerdings mit brüchig-introvertiertem Gesang und (nicht nur) in der GitarrenArbeit etwas(!) spröder und stellenweise(!!) expressiv-aggressiver. 5
Mit diesem wunderschönen melancholischen SlowCore sind wir zwar ein gutes Stück vom JazzPfad abgekommen, auf selbigen finden wir aber mit PAUL BERNEWITZ’ Debut-CD "Someday" (Unit) ganz schnell zurück. Denn hier regiert das American Songbook, den opener "Take Five" (der hier listig und sicher nicht grundlos "Take Seven" genannt wird) erkennt wohl fast jeder nach wenigen Takten, auch wenn der Pianist mit seiner b-dr-ss/as-ts-Begleitung das Thema natürlich ebenso frei wie ehrfürchtig abwandelt. Es geht weiter mit "I Hear A Rhapsody" (bei dem sich in den credits ein Tipfehler eingeschlichen hat – ich würde behaupten, dass der eine der drei Autoren nicht George Frager, sondern Fragos hieß) und "Alfie" vom unlängst verstorbenen Burt Bacharach, zu dem Regina Heiß mit typischem JazzGesang beiträgt. "It Ain’t Necessarily So" ist noch so ein Klassiker, hier um ein feines Piano-Ostinato gestrickt und auch Mancinis "Days Of Wine And Roses" erfahren eine gefühlvolle, aber nicht gefühlige Ausdeutung. Kein Kitsch, nirgends! 4
Von einem begabten newcomer zu einem gestandenen Helden. Führt man sich vor Augen, für wen RICHIE BEIRACH alles schon in die Tasten gegriffen hat, verfällt man in ehrfürchtiges Staunen: die ellenlange Liste reicht von Stan Getz, John Scofield und Chet Baker bis Wayne Shorter, Dave Liebman und John Abercrombie. Aber auch als BandChef war der New Yorker, der von 2000-2014 in Leipzig Jazzpiano lehrte, immer wieder unterwegs. Mit dem Saxophonisten Reiner Witzel verbindet ihn eine lange Freundschaft, so dass er Witzels Bitte, ihn auf "The World Within" (JazzSick) als Co-Leader zu begleiten, gern nachkam. Für das REINER WITZEL/RICHIE BEIRACH QUINTET setzt sich Beirach sogar seit langem mal wieder hinter ein Fender Rhodes, dessen warmer Klang bestens zum setting aus Witzels verspieltem Sax, Alex Sipiagins Trompete und der b-dr-Sektion von Joscha Oetz und Tobias Frohnhöfer passt. 4
Ein weiterer Vertreter der Abteilung "Alte Recken" ist ein anderer Reiner, nämlich TrompetenMeister REINER WINTERSCHLADEN. Der fand im NDR-Archiv verblüffend perfekte Produktionen, die er mit der NDR BIG BAND zwischen 1996 und 2007 eingespielt, dann vielleicht auch ein wenig vergessen und nun beim nochmaligen Wühlen und Hören als höchst veröffentlichungswürdig empfunden hat. So finden sich denn auf "BOW" (Nemu) sowohl prägnante Beispiele für jaulenden FusionROCK (z.B. "Tango Andromeda"), aber auch für klassische BigBandKunst (probiert mal "Half The Battle", den Rausschmeißer diese feinen CD!). 4
Auf die erste von 2019 lässt der Kölner Pianist CHRISTIAN FRENTZEN nun konsequenterweise eine "Second Encounter" (roundrobyn) folgen. Auch hier bleibt alles in gewissem Sinne brav, auf jeden Fall "contemporary" und keinesfalls avantgardistisch, aber durch die streckenweise Einbeziehung eines StreichQuartetts, diverser BläserGäste und die zwar personell variable, dennoch stabile RhythmusGruppe werden die JazzSongs auf diesem Album niemals langweilig. Bei der dritten Begegnung darf’s dann aber gern ein wenig freier werden, das verträumte Moment ist nett, aber ich glaube, hier geht noch mehr (der mit afrikanischen GesangGästen verstärkte "Freedom Song" weist da schon in die richtige Richtung). 4
Ganz ähnlich wie Frentzen bevorzugen auch JANIECE JAFFE (voc) und MONIKA HERZIG (p) angenehm sanften (nicht seichten!), um ein Saxofon ergänzten KlavierTrioJazz, der auf "Both Sides Of Joni"(Acme) seine kompositorischen Wurzeln jedoch im Folk, nämlich (der CD-Titel weist ja den Weg) bei Joni Mitchell hat. Erstaunlich, welche Facetten die beiden Damen auch einem vermeintlich in 1000 schmierigen Nachtbars totgespielten Klassiker wie "Both Sides Now" abzugewinnen vermögen; ihr frei-respektvoller Umgang mit dem musikalischen Ausgangsmaterial führt zu durchweg hörenswerten Ergebnissen. Eine schmeichelnd-packende Stimme, ein souveränes Klavier und Jonis tolle Songs machen dieses Albums zu schöner Musik für Erwachsene, dass Janiece Jaffe kurz nach Ende der Aufnahmesessions überraschend eine Herzoperation nicht überlebte, das Ganze aber leider auch zu einem Vermächtnis. 4
Schwerer tue ich mich mit der polnischen Sängerin NATLIA KIËS. Deren "Phoenix" (JazzSick) fliegt für meinen Geschmack zu unüberlegt zwischen JazzPop, Synkope und Experiment hin und her. Manches will zu viel (Moja Wlasna Cisza), anderes zu wenig (Fall Asleep), am interessantesten finde ich da noch die Polnisch gesungenen Stücke wie etwa "Piksel i Pigment". Positiv formuliert: ein heterogenes Album. 3
Auch zu CECILE McLORIN SALVANT fällt mir der Zugang nicht leicht. Der opener von "Mélusine" (Nonesuch) kommt als existentialistisch-surrealer Chanson (der Text stammt ja auch von Louis Aragon), das Konzeptalbum an sich folgt mit Eigenkompositionen, aber auch Chanson-Interpretationen (von Trenet und Véronique Sanson), einem okzitanischen Troubadoura-Stück aus dem 12.Jahrhundert und anderen mittelalterlichen Vorlagen lose dem Weg der mythischen WasserFee. Die CD pendelt von BarJazz über Varieté-Nummern zu Karibischem (McLorin Salvant hat auch haitianische Wurzeln), enthält ein Stück nur mit Trommeln und Stimme ("Dites moi que je suis bell" – klar doch, machen wir gerne) und doch fehlt mir hier irgendwie eine Prise "je ne sais quoi". 3
Lupenreinen, ganz Klischee-getreu melancholisch-klagenden, keinesfalls aber irgendwie langweiligen oder (ha!) faden Fado präsentiert uns CARMINHO auf ihrem neuen Album "Portuguesa" (Warner). An ihrem "Marcha de Alcântara de 1969" demonstriert sie beispielsweise, wie luftig ein Marschlied sein kann und auch mit ihren selbstgeschriebenen Songs bezaubert die Lissabonerin, die auf dem besten Wege ist, eine ebensolche Fado-Legende zu werden wie ihre berühmte Mutter (d.i. Teresa Siqueira!). Sehr gelungen auch das gemeinsam mit ihrer (sonst deutlich elektronischer orientierten) Kollegin Rita Vian entstandene a-capella-Stück "Simplesmente Ser" - Tradition und Fortentwicklung sind (nicht nur) hier zwei Seiten der gleichen Medaille. 4
Aus einem anderen Sehnsuchtsland deutscher Gymnasiallehrer kommt die von mir ebenfalls schon seit langem geschätzte ETTA SCOLLO, deren CD "Ora" (Jazzhaus) mich zu Beginn an eine Art italienische Lula Pena denken lässt: die dunkle Stimme allein zur AkustikGitarre, der eindringliche Vortrag (vertraut und doch irgendwie einzigartig/neu). Später treten Klavier und Cello (meine Promo-CD hat leider kein booklet, dem man eine Besetzungsliste entnehmen könnte, aber ich vermute, dass da wieder Susanne Paul die Saiten streich(el)t) hinzu, manchmal sogar einige Elektronik-Verwischungen; der Sound wird voluminöser ohne ins Bombastische oder gar Kitschige abzugleiten. Und dass ihre "enge Freundin", die wunderbare Hanna Schygulla, mit ihr das düstere Brecht/Eisler-Lied "Von der Freundlichkeit der Welt" einrichtet, spricht zusätzlich für diese wirklich schöne, weil einmal mehr auch thematisch aufregende und Stellung beziehende Platte. 5

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