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MIU

Krisenmanagement hatte nie ein lässigeres Gesicht

MIU

Corona hat dieser Tage auch in der Musikszene viele Gesichter. Von absoluten Schreibblockaden bis zu verzweifelten Posts im Social Media ist derzeit alles drin. Die Hamburger Soul-Musikerin Miu hat sich zur Flucht nach vorn entschieden. Die aktuelle Krise bewältigt die Sängerin mit Galgenhumor. Sowie mit einem Westzeit-Interview zur ihren „Corona Tapes“…

Miu, Du hast es im letzten Jahr mit einer Eigenproduktion, also ohne Labelunterstützung, geschafft, mit dem Doppelalbum „Modern Retro Soul“ in die Charts zu kommen. Wie hast Du das geschafft?

„Durch viel Fleiß und Hartnäckigkeit. Mein Team und ich waren so überzeugt von der Platte, dass wir nicht akzeptieren wollten, dass sie nicht oder nur zu schlechten Bedingungen veröffentlicht wird. Und dann habe ich einfach alles selbst in Hand genommen und über Monate jeden Tag 12-14h gearbeitet.“

Anschließend standen ordentlich Konzerte auf dem Programm. Dann kam der Lockdown – nichts ging mehr. Wie schnell ist dann die Idee aufgetaucht, positiv mit der Sache umzugehen, und acht Tracks für eine EP zu komponieren? Oder waren die Kompositionen bereits vorhanden?

„Tatsächlich habe ich direkt Ende März gesagt `Flucht nach vorn, wir machen jetzt was´. Nicht, dass ich mich besonders positiv gefühlt hätte oder von Haus aus eine blumige Optimistin wäre, aber ich hab gefühlt, dass ich unbedingt etwas Sinn stiftendes machen muss, um dieser Ohnmacht, die ja viele gerade fühlen, zu entkommen. Alle Songs wurden innerhalb von wenigen Wochen geschrieben, aufgenommen und produziert - ganz Corona-konform im Social Distancing. Wichtig war mir, eine gute Laune-EP zu schreiben.“

Entstanden die Songs der neuen „Corona Tapes“-EP nur zu den Themen der Quarantäne, bzw. der Isolation, der Ungewissheit?

„Bis auf `Everybody dances but me´ sind alle Themen direkt in der Quarantäne aufgeploppt. Es geht teilweise um Langeweile, aber auch darum, dass man den goldenen Käfig für eine Zeit lang vielleicht auch gut finden kann, bis hin zur Faszination von Verschwörungstheorien. Ich habe mich während Corona sehr mit diesem Phänomen und der Rhetorik von Verschwörungstheoretikern auseinandergesetzt und bin echt erstaunt, was so alles im Internet herumgeistert und vor allem Anhänger findet.“

Mit einem Wohnort in Schleswig-Holstein gab es nicht die Unterstützung, die es vor gut eineinhalb Jahren als in Hamburg wohnhafte Künstlerin gegeben hätte. Worin lag der Unterschied?

„Gott sei Dank hat sich das zumindest für meinen Fall etwas verbessert, aber ja - Da Kultur in allen Bundesländern unterschiedlich gehandhabt wird, gab und gibt es teilweise regionale sehr unfaire Unterschiede, was die Unterstützung von Künstlern angeht. Viele meiner Musikerkollegen haben keine staatliche Unterstützung bekommen, während einige Bundesländer da besser reagiert haben.“

Folgte daraufhin quasi das kulturell-soziale-politische Engagement?

„Ja, mit dieser Ungerechtigkeit konnte ich nicht leben. Nicht unbedingt nur für mich, ich habe die Krise bisher relativ okay überlebt, aber vor allem auch aus Prinzip für meinen ganzen Berufsstand nicht. Ich habe mich laut gemacht und war öfter Gast bei politischen Panels. Im Kleinen konnte ich einige Dinge bewegen und bin darauf auch sehr stolz.“

Überhaupt scheint Kultur auch vor Covid-19 nicht immer den gebührenden Respekt gefunden zu haben. Supermärkte übermittelten oft Angebote, „honorarfrei“ Auftrittsmöglichkeiten anzubieten. Selbst große Städte wie Frankfurt und Mainz luden dazu ein, auf eigene Kosten mit Band anzureisen, ohne jedoch Hotelübernachtungen anzubieten…

„Solche Angebote sind teilweise gut gemeint, aber natürlich Grütze.

Es ist ein Missverständnis, dass wir Musiker halt irgendwie auftreten wollen und es nicht mehr dürfen - das ist natürlich eine Sache. Aber es geht ja darum, dass vor allem Auftritte, die die Miete zahlen, wegbrechen und das Leben als freiberuflicher Künstler eh schon schwer genug ist. Wenn man ohne Geld spielen will, kann ich auch einfach zu Hause in Ruhe üben und das Fenster aufmachen.

Ich würde mir wünschen, dass wir uns durch die aktuelle Krise die Frage erlauben, wieviel uns Kultur wert ist. Kein Mensch hätte den Lockdown ohne Musik, Filme oder Bücher geistig gesund überstanden. Die Menschen, die Dinge kreieren, müssen genauso bezahlt werden wie jeder andere Beruf auch.“

MIU steht also mehr oder minder für DIY (do it yourself). Auch wenn Soulmusik gespielt wird, ist das ja eigentlich Punk(-Ideologie). Oder?

„Ich bin vor allem DIY, weil ich mich nur in faire Geschäftsbeziehungen begeben möchte - ich hoffe, dass diese Form von Selbstermächtigung noch viel salonfähiger wird. Leute wie Fynn Kliemann machen’s ja eindrucksvoll vor!“

War es einfach, die neue Produktion in Krisenzeiten durch Crowdfounding zu finanzieren? War die Aktion zur neuen EP aufwendiger, leichter/schwerer zu realisieren, als zum Doppelalbum „Modern Retro Soul“ im letzten Jahr?

„Naja, zu Corona hat gerade jeder Geld gesammelt oder auch welches verloren - eine größere Herausforderung war das auf jeden Fall. Aber ich habe eine tolle Crowd, die den Ernst der Lage verstanden hat und absolut verzeiht, dass ich sie wieder um Unterstützung gebeten habe.“

Wie war die Unterstützung im Umfeld, um nicht „Hartz 4“ beantragen zu müssen?

„Glücklicherweise haben sich 2-3 Dinge ergeben, die mir geholfen haben, diesen Schritt nicht gehen zu müssen. Das war einerseits die Kulturhilfe SH, aber eben auch das Crowdfunding und eine Hilfe der Gema.“

Wie ordnest du deine EP vom Sound her ein?

„Wir haben eine fröhliche EP mit Disco-Anleihen und knackigen Bässen geschrieben. Genau das richtige, um gute Laune zu kriegen.“

Aktuelles Album: Corona Tapes


Weitere Infos: https://miu-music.org Foto: Ralf G. Poppe

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