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LERA LYNN (29.09.2025, Nochtspeicher, Hamburg)

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Eine Woche nach dem Reeperbahn-Festival beehrte die aus Nashville stammende Songwriterin bereits zum zweiten Mal nach 2019 den Hamburger Nochtspeicher mit einem Besuch. Im Rahmen ihrer gerade gestarteten Tour zu ihrem aktuellen Album „Comic Book Cowboy“, welches ein paar Tage zuvor auf den Markt gekommen war, präsentierte Lera mit Band einen Überblick über ihr gesamtes Schaffen, bei dem die Songs des neuen Albums über die ganze Show verteilt zum Tragen kamen. Mit dem Album „Comic Book Cowboy“ hatten Lera Lynn und ihr Partner Todd Lombardo Neuland betreten und ein klang- und produktionstechnisches Experiment gewagt, das es in sich hatte und man durfte gespannt sein, wie sie das Live umsetzen würden. Der Hintergrund für dieses künstlerische Wagnis war ein eher ernüchternder: Mit dem Versuch, kommerziell mit Ihrer Kunst zu den etablierten Kollegen aus der Music-City aufzuschließen (beispielsweise zu ihren Freundinnen Larkin Poe), indem sie sich an Spielregeln des Musikbiz gehalten und Erwartungshaltungen erfüllt hatte, die von verschiedenen Seiten an sie herangetragen wurden, war Lera nach eigener Aussage gescheitert – weswegen sie dann beschlossen hatte, zusammen mit Todd einfach mal das auszuprobieren, was sie selbst für gut und richtig empfand. Das Album „Comic Book Cowboy“ - der das Sinnbild für jenen verlorenen, zerrupften Charakter mit unpassender Kleidung widerspiegelt, als den sich Lera zu Beginn der Produktion des Album gesehen hatte – wurde so zu einem Appell an die Hinwendung zur Leidenschaft in der Musik. Und dabei wären wir auch langsam bei der Show im Hamburger Nochtspeicher angelangt. Nachdem die Show von 2019, mit der sich Lera weiland – damals noch im Duo-Format – dem Hamburger Publikum präsentiert hatte, war noch eine vergleichsweise coole (im Sinn von „kühler“) Angelegenheit gewesen. Dieses Mal spielte Lera mit einer kompletten Band auf, in der ihr Jugendfreund Robbie Handley als Bassist mit dabei war, dessen passionierte Performance die Show auf ein ganz neues Energie-Level hievte. Dabei ging es nicht alleine darum, das neue Album zu präsentieren, sondern auch das ganze Oeuvre Lera's in den Kontext dazu zu stellen. Dazu gehörten dann auch ganz frühe Stücke, wie der Track „Whiskey“, dem ersten Track, den Lera für ihr Debüt-Album „Have You Met Lera Lynn“ - damals noch in Sachen Country-Torch-Song Ballade – geschrieben hatte. Vor allen Dingen waren es aber die Songs „Shape Shifter“, „Fade Into The Black“, „Drive“, „Scratch & Hiss“, „Run The Night“ und „What You Done“ von ihrem Album „Resistor“, die den Ton des Sets bestimmten. Das kam sicher nicht von ungefähr, denn bereits mit diesem dritten Album hatte Lera Lynn versucht, sich als Künstlerin aus der Americana-Ecke freizuschwimmen, in die sie die Mechanismen des Business getrieben hatten. Damals noch mit überschaubaren Erfolg, denn das Duett-Album „Plays Well With Others“ hatte sie auf dieses Terrain zurück geführt. Aber auch dieses Album war mit dem Crowd Pleaser „Wolf Like Me“ auf der Setlist vertreten. Die Setlist war dabei äußerst geschickt aufgebaut: Nach ein paar Up-Tempo-Nummern (darunter auch das poppige „Cherry Tree“ vom neuen Album) gab es eine Phase der Konsolidierung, gegen Ende der Show dann noch ein paar Faves (neben „Wolf“ gab es auch noch eine lyrische Version von Nirvana's „Lithium“) – aber abschließend dann eher einen Rückgriff auf die Anfangszeiten im Torchsong-Setting – eben mit dem „Whiskey“-Song oder dem Track „My Least Favorite Life“ aus dem True Detective-Soundtrack – mit dem Lera Lynn auch bei uns zu einer gewissen Bekanntheit gelangt war. Das Highlight der Show – und der Song, dem die Tour den Titel „Ruin Me“ verdankte – platzierte Lera im Mittelteil der Show. Den Song „Beige“ hatte Lera geschrieben, als sie bei einer Autofahrt nichts Interessantes im Radio gefunden habe. Die zeitgemäße Pop-Musik etwa empfindet Lera dabei als „Beige“. In dem Song geht es dann darum, dass Lera Lynn von ihren Musiker-Kollegen eine gewisse Leidenschaft einfordert. Wenn sie Musik höre, erwarte sie, von der Musik aufgebrochen, zum Innehalten gebracht, umgekrempelt, ruiniert und zerstört zu werden – daher stammt die Zeile „Destroyer, come save me – Destroyer set me free.“ Interessanterweise entschied sich Lera, diesen Song ohne Band – begleitet nur von Todd Lombardo's Gitarre – vorzutragen. Die Sache mit dem „zum Innehalten gebracht werden“ klappte in diesem Sinne dann schon mal ganz gut, obwohl Lera's poetische Texte keineswegs selbsterklärend und ihre von Insider-Innuendos geprägten Ansagen in dieser Hinsicht auch nicht weiterhelfen. „Es braucht ja nicht jeder alles zu verstehen“, lächelte Lera nach der Show dieses Argument weg. Insgesamt war das dann eine Lera Lynn Show, wie man sie sich als Fan immer schon gewünscht hatte – einfach deswegen, weil hier alles zusammenwuchs, was zusammen gehört.


Weitere Infos: https://de.wikipedia.org/wiki/Lera_Lynn


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