
(Klett-Cotta, 299 S., 22,00 Euro)
Im letzten Winter war ich beim (digitalen) Durchblättern des Klett-Cotta-Frühjahrsprogramms aus mir bis heute nicht ganz erklärlichen Gründen bei einem Buch hängen geblieben, das so beworben wurde: "Der Sunday-Times-Bestseller über eine lebensverändernde Begegnung von Mensch und Tier" und "...wahre, herzerwärmende Geschichte einer außergewöhnlichen Freundschaft zwischen einer Frau und einem Feldhasen." – was mich neugierig, aber auch skeptisch machte. Meine schüchtern geäußerten Vorbehalte fegte die so freundliche wie geschmackssichere PresseDame mit einem Satz souverän hinweg: "Nein, überhaupt nicht kitschig oder rührselig!" und untersetzte diese Feststellung mit einer ersten Leseprobe. Bei der Leipziger Buchmesse war "Hase und ich" dann schon ein recht großes Ding und in der SPIEGEL-Bestsellerliste angekommen. Und eins lässt sich sicher sagen: völlig zurecht. Denn "Raising Hare", wie das Buch im englischen Original heißt, ist ein wirklich spannender, sehr gut geschriebener und ja, tatsächlich "herzerwärmender" Bericht über den Hasen "Hase". Dabei ist Chloe Dalton von Haus aus weder Autorin noch Journalistin oder sonst wie direkt der schreibenden Zunft verpflichtet, sie verdient ihren Lebensunterhalt als Politikberaterin – ständig unterwegs zwischen Asien, Europa und Amerika. Aber als sie wegen der Corona-Einschränkungen London verlassen und auf ihr einst aus ruinösem Zustand erwecktes kleines Landhaus ("eine niedrige, aus Stein gemauerte Scheune, die in einer Senke zwischen drei aneinandergrenzenden Feldern steht.") ziehen muss, geschieht etwas völlig Unerwartetes: mitten im Februar entdeckt sie auf dem Feldweg ein verlassenes Hasenjunges, nimmt es nach einigem Zögern, Hadern und Abwägen mit ins Haus und versucht gegen jede Vernunft, den kleinen Kerl zu retten. Was zum allgemeinen Erstaunen gelingt und den Auftakt zu einer eigenartigen Beziehung darstellt: Hase bleibt ein wildes Tier, hat aber zugleich ein enges und vertrauensvolles Verhältnis zum Haus und seiner Besitzerin. Nicht nur, dass es Dalton gelingt, Hase zu einem ausgewachsenen Prachtexemplar aufzupäppeln, dabei stets die Grenze zwischen Mensch und Tier zu wahren und allen KuschelVersuchungen zu widerstehen – nein, auch sprachlich bewegt sie sich durchweg auf hohem Niveau. Mit großer WortGestaltungsKraft gelingt es ihr, Fell- und Augenfarben in feinsten Nuancen zu schildern, auch das Verhalten von Hase ist Gegenstand staunenden Betrachtens und gelungenen (Be)Schreibens. Dazu arbeitet sich die AußenpolitikExpertin in biologische und ökologische, historische und ethische Themen ein, liest jede Menge FachLiteratur und gräbt sich immer tiefer in die HasenKunde. In bewundernswerter Form gelingt es ihr, wissenschaftlich präzise Beschreibungen und von tiefer Poesie durchzogene Gedanken bruchlos aneinander zu fügen. Wir wollen an dieser Stelle auf Hases Entwicklung gar nicht weiter eingehen (das sollte besser jeder selbst nachlesen) - auch weil diese einige überraschende Wendungen erfährt, die wir hier natürlich nicht verraten können. Kurz: "Hase und ich" ist ein Musterbeispiel für geglücktes zeitgemäßes "nature writing" mit Anspruch und ein wirkliches Lesevergnügen.Weitere Infos: www.klett-cotta.de/produkt/chloe-dalton-hase-und-ich-9783608966381-t-8966