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GUNTER LANGE

Der Nahschuss

(Ch. Links, 253 S., 22, 00 Euro)

Am 26. Juni 1981 endete um 10:10 Uhr das Leben des Stasi-Hauptmanns Dr. Werner Teske durch einen "Nahschuß in das Hinterhaupt", vollzogen von Major Hermann Lorenz in einem fensterlosen Raum des Gefängnisses in der Leipziger Arndtstraße. Damit war eines von mindestens 164 Todesurteilen der DDR-Geschichte vollzogen (für Henker Lorenz war es Exekution Nr. 20). Weil es das letzte war (die Todesstrafe wurde in der DDR formell 1987 abgeschafft, zuvor aber schon nicht mehr vollstreckt), hat sich der (West)Berliner Publizist Lange des Opfers angenommen und rekonstruiert in diesem aufwühlenden Buch nicht nur die Biografie und den beruflichen Werdegang Teskes, sondern auch die politischen Rahmenbedingungen des kalten Krieges, die zumindest mitverantwortlich für diese Zuspitzung waren. Dabei war Teske durchaus überzeugter Anhänger des DDR-Sozialismus, auf jeden Fall kein West-Spion - die Gründe für die ihm vorgeworfene versuchte Fahnenflucht liegen im privaten Bereich. Dem begabten Ökonomen fehlt im MfS die angestrebte (und wohl auch versprochene) wissenschaftliche Perspektive, "Dienst"Reisen in den Westen rufen materielle Ansprüche und Konsumwünsche hervor. Das kulminiert in Unterschlagungen (am Ende sind es jeweils ca. 20.000 Ost- und Westmark), Eheproblemen und Alkoholismus. Der Ausweg scheint für Teske darin zu liegen, sich unter Ausnutzung einiger MfS-Privilegien nach West-Berlin abzusetzen – als Beweis seiner Glaubhaftigkeit und wohl auch als Startkapital schafft er einige Dokumente und Informationen beiseite. Die Sache fliegt auf und der durch einige kurz zurück liegende Spionagefälle (u.a. der in den Westen geflüchtete Doppelagent Werner Stiller und der wie Teske hingerichtete Winfried Baumann) hoch nervöse Stasi-Apparat greift mit maximaler Härte durch. Mielke und Honecker kennen keine Gnade mit dem "Verräter", zwischen Anklage und Urteil liegen beim nach MfS-"Drehbuch" absolvierten Prozeß wenig mehr als vier Wochen. Durch penibles Aktenstudium und detailgenaue Recherche gelingt es Lange, den beinahe kafkaesken Strudel nachzuzeichnen, in den Teske geraten ist – nicht ganz unschuldig, aber doch als Opfer eines paranoiden Apparats. Dabei nahm sein Leben zunächst einen für die Kriegskinder/DDR-Aufsteiger-Generation durchaus typischen Verlauf - bis er von der Stasi angeworben wurde und so in die Mühlen eines emotionslosen Systems geriet. Die Akribie und Härte, mit der Staat und Partei den Abtrünnigen verfolgen, die Nüchternheit der Aktenführung und die erbarmungslose Konsequenz machen noch heute betroffen - gerade diesen Bürokratismus herauszuarbeiten gelingt Lange brillant. Dr. Werner Teske wurde 1993 rehabilitiert, seine Familie wusste bis 1990 nicht, was 1981 mit ihm geschehen war.
Weitere Infos: › www.christoph-links-verlag.de/index.cfm?view=3&;titel_nr=9117


September 2021
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